Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 23

durch die Tage, und nur in Gegenwart des Herrn von Bewers-
torff trat ein ſolches Leuchten in ihr Gesicht, daß niemand es über-
sehen konnte.

Die Eltern vertrauten dem vornehmen Herrn lange nicht o,
wie sie dem jungen Lehnhardt vertraut hatten. Aber da ſie mit
bitterem Kummer ihre Tochter hilflos in dem reißenden Strom
dieſer Liebe treiben ſahen, konnten ſie nur wünſchen, daß dieser
Freier bald das erlöſende Wort spräche. Er war auch einigemal in
Söderdiek, ging mit dem Vater durch die Wirtſchaft und erwies
Albertine große Aufmertkſamkeiten. Aber ſtatt des erwarteten
Heiratsantrages kam eines Morgens ſeine gedruckte Verlobungs-
anzeige mit der Tochter eines benachbarten reichen Gutsbesitzers.

Zu Bekannten, die ihn über ſein Verhalten gegen Albertine
befragten, hat er dann
lächelnd geſagt, daß dch,bmnammIa l.
wohl niemand von im Pb [
im Ernſt erwartet vbleeOeb..tÇSSvÚÚQ
daß er die Tochter eneesnee
armen, mi ehbeneeoíaíona=o = w
kämpfenden Hofbeſike.
zu seiner Frau machen y
werde. Das Ganze ſei
nur ein kleines luſtiges
Zwiſchenspiel gewesen.

An diesem Punkt von
Albertines Lebenliegtdie.
geheimnisvolle Stune, ...n
von der jedes Kind in . x
Söderdiek weiß, daß ie
ihrem ganzen nachfolgen-
den Leben die Richtung
und Farbe gegeben hat.

> ? %
%

Bald danach ſtarben
ihre beiden Eltern. Zuerst
der Vater, der in einem
Kampf mit Wilderern hy
umtkam. Die Leute ſag-
ten, er hätte Jich retten
können, aber erhättenicht
mehr lebenwollen. Wire |
ſchaftlichwar ernichtrcet..
vorwärtsgekommern, trotz
aller Arbeit und Mühe,
und die bittere Erfahrung
mit seiner Tochter ver-
leidete ihm das Leben
vollends. Die Mutter
überlebteihnum mehrere
Monate, aber in einen W
sonderbaren Zuſtand zwi-
ſchen Schlafen und Wa-
chenundihres Verſtandes
nicht mehr ganz mächtig. Auf Rudolf laſtete jetzt alles, er war
y' ganzen Tag auf dem Felde und ſah ſeine Frauen oft nur ein-
mal am Tage.

Als die Mutter starb, fand sich ein Teſtament von ihr vor, in
dem Albertine das ganze Gut zugeſprochen und Rudolf mit einer
ſchmalen Rente abgefunden wurde.

Niemand hatte eine Ahnung, wie das zugegangen war. Es war
einmal ein Herr in einer Mietskutſche hier gewesen, in Rudolfs
Abweésenheit, und bald wieder fortgefahren. Das Gesinde hatte
ihn für den Dokttor gehalten, aber genau gesehen hatte ihn keiner.
Die Kutſche war geſchloſſen, mit zugezogenen Vorhängen durchs
Dorf gefahren. Das war allen aufgefallen, da es doch ein warmer
Tag gewesen war. h

Das Teſtament war aber rechtsgültig und von dem Notar der
nächſten Stadt aufgenommen, den auch die meiſten Söderdieker
kannten. Aber etwa zehn Tage, nachdem die Gutsfrau begraben

D a s Buch für Alle



Aus unserer Lichtbildermappe: Das Märchenbuch
Nach einer künstleriſchen Aufnahme von L. Wehner in München

war, erzählte ein alter Einlieger, der auf dem Gericht zu tun hatte,
er habe den Notar geradezu nach der Sache gefragt, und der habe
gesagt, er sei nie im Dorf gewesen, habe überhaupt kurz und barſch
das weitere Fragen abgewehrt.

Das iſt dann einer der ganz ungeklärten Punkte geblieben.
Jeder wußte aber von der Stunde an, wer in Wirklichkeit in der
verhängten Kutsche geſeſſen habe und was für eine Art von Ver-
trag das Fräulein neben dem Sterbebett ihrer Mutter unter-
ſchrieben habe.

Der Kulscher und der Rademacher, die beide aufgeklärte Män-
ner waren und dem Sput auf den Grund gehen wollten, redeten
ſtark auf Rudolf ein, daß er auch zu dem Notar ginge und ihm
dieſelbe Frage stelle, die der alte Einlieger geſtellt hatte. Aber

s T dem Jüngling war der
| Boden unter den Füßen

I] weggezogen, und er war

] ſo verſtört, daß es lange
dauerte, bis er dem guten
Ratder Leute folgte. Der
Kutſcher fuhr ihn dann
hin und wartete mit dem
Wagen vor der Tür in
großer Aufregung. Als
Rudolf herauskam, ſah er
grauim Gesicht aus, ſchüt-
telte nur den Kopf und
ſtieg niedergeschlagen ein.
Der Kutlſcher fuhr, bis die
Stadt hinter ihnen lag,
dann drehte er ſich um
und bedrängte ihn mit
Fragen.

Es habe alles eine
Richtigkeit, sagte Rudolf
| ] mit einer llangloſen
| Stimme, die dem alten
J Mann durch Mark und
, HBein ging. Der Notar
habe es mit seiner Hand-
. ſchrift wirklich unterfer-
, tigt. Es sei kein Rütteln
mehr daran. Und eigent-
lich, ſezte er leiſe hinzu,
dürfe er in diesem Wagen
gar nicht mehr fahren
ohne die Erlaubnis seiner
Schwester.

Der Kutscher ſagte ſpä-
terjedesmal, wenn ervon
dieſer Fahrt ſprach, daß,
wenn ihm jemand mit
dem Beil vor den Kopf
geſchlagenhätte, ihmnicht
ſchlinmmerzumute gewesen
wäre als bei dieser Rede. Den Ausgang habe er nicht erwartet.

Von nun ab aber wußten alle, daß der Notar, der Schwarz
hieß, und der leibhaftige Schwarze, der in der verhängten Kutſche
gesessen hatte, ein und derselbe gewesen war. Nun war gar kein
Zweifeln und Fragen mehr, und auch der arme Rudolf, der noch
eine lange Weile wie betäubt umherging, hat nie geſagt, daß er
anders darüber dachte.

Der Notar starb bald danach und ſeine Wirtſchafterin erzählte,
daß er mit einem gellenden Schrei und mit Hinterlasſung eines
durchdringenden Schwefelgeruchs abgefahren ſei.

Von nun an verwandelte ſich das Leben auf dem Gutshofe von
Grund aus. Albertine entließ alle Leute bis zum Gänſejungen
hinab und führte fremdes Gesinde ein. Aber sie verwahrte alle
Schlösser und Riegel, wie es vordem nie Sitte und auch nicht
nötig gewesen war. Sie löſte die geſamte Schafzucht auf, ver-
kaufte alle Beſtände und legte das Geld auf Zins. Mit Rudolf

Z29
 
Annotationen