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S34

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Bilder aus dem Leben

Durch Weiberliſt / Bon Heinz Steguweit

ies war der ewige Hader zwiſchen Bauer Hinkebühl und ſeinemreichen

Nachbar, einem ſtörriſchen Prot: Des Nachbars Hühner liefen allweil
hinüber in den Garten Hintebühls, taten Jich da gütlich an Straucherbſen,
Kletterbohnen und reifen Sonnenblumen, ſcharrten Löcher wie Täler Fo
tief in den braunen Grund und ſtörten gar den Mittagsſchlaf Hinkebühls
durch ihr grelles Gackern und Krähen.

Hundertmal schon hat Hinkebühl seinen Nachbar gebeten: „Deine
Hühner fresſen alle meine Früchte auf, zerwühlen mir den Grund und
bringen mich um meinen Schlaf, bitte, laß einen Zaun ſchlagen zwischen
deinem Garten und meinem, ich bin zu arm dazu !Ú

Der andere aber war hart wie Granit. Er hob nur immer grinsend die
Schultern, paffte ein paar Kringel blauen Tobaks in die Luft und knurrte:
„Laß du den Zaun ſchlagen, wenn dich meine Hühner quälen; mir iſt's
gleich, wenn sie nur drall und fett werden!"

Der Richter hatte ſchon gesprochen, der Amtmann entſchieden, der
Pfarrer chriſtlich zu vermitteln geſucht: umsonſt; der ſataniſche Protz
brüſtete ſich mit dem ihm zuſtehenden Recht als Nachbar und blieb mit
feiſtem Spott dabei: „Anbinden kann ich die Hühner nicht; mag derjenige
den Zaun ſchlagen, deſſen Gemüse verfüttert, deſſen Boden zerkratzt
wird!" –ÈfÖÔt –~

Nun stand Hinkebühl verärgert und verzweifelt Tag und Nacht am
Fenſter und ſuchte die Störenfriede zu versſcheuchen, platſchte in die Hände,
jagte den Hund zwischen die Hühner, aber geholfen hat's alles nix, bis end-
lich eines Morgens sein Weib des ewigen Haders überdrüſſig wurde.

„Laß mich machen," krähte ie, „laß mich machen, Hinkebühl, ihr Manns-
volk seid halt ſchauerlich blöd!“

Damit ging Hinkebühls Weib + die Verſchlagenheit ſah ihr aus den
Augen > hin, kaufte eine Handvoll Eier, stürzte damit zum Nachbar und
ſagte mit honigſüßem Lächeln: „Vergebt, Herr Nachbar, ſchon ſeit drei
Jahren find’ ich Eier in unſerem Garten, und erſt heut erfahr' ich, daß die
von Euern Hühnern ſind !“ ~

Tags darauf stand der Zaun.

Hinkebühl bekam durch die Liſt endlichen Frieden, im Nachbarhaus aber
mischte der Bader ein Pulver gegen Gelbſucht.

Der Stein der Weiſen / Von Otto Boehn

Z fernen Osten gibt es ein Land, das eine ganz eigenartige Verfaſſung
hat, einzig auf dem ganzen Erdenrunde. Es regieren dort nämlich die
Klügſten, die Tüchtigſten, die Erleſenſten. Ein besonderer, unabhängiger,
hochweisſer Rat, der Oberſte Prüfungshof, beschäftigt ſich mitnichts anderem,
als die Beſten des Volkes zuſuchen, Liſtenanzulegen und darüber zuwachen,
daß alle drei Jahre die wahrhaft Berufenen als Regierende beſtellt werden,
daſz sie während ihrer Amtszeit mit allem Wissen und Können dem Volke

dienen, und daß jeder, der ſeiner hohen Pflicht zuwiderhandelt, ohne Rück- :

ſicht und Schonung beſiraft werde.

In der Chronik des Obersſten Prüfungshofes wird nun berichtet, daß
einmal ein Gelehrter nach langem mühſeligen Schaf-
fen einenungeheuren Erfolg errungen hatte: der Stein
der Weiſen war in seinen Händen, und alles ſtand
ihm frei, denn die Natur mußte ihm gehorchen.

Der Vonoſitende des Obersſten Prüfungshofes lud
den Weisen zur Berichterſtattung ein. Stolz trat er
vor den ehrwürdigen Rat. ,Seht,“ sagte er, ,ich
bringe den Menſchen das erſehnte Glück."

„Das Glück?" fragte zweifelnd der Vonroitende,
fragten ſinnend die Beſſiter.

„Jawohl, das Glück," rief der Forſcher. „Gelingt es
meiner Macht doch zum Beispiel, die Erde frucht-
barer zu machen, ohne daß es hinfort der Mühe
und des Schweißes bedarf !"

„Schlimm,“ sagten die hohen Richter.

„Und nicht genug. Jedes Stück Blei wandelt Jich,
wenn ich es befehle, zu Gold H" :

„Entsetzlich," sagten die Prüfenden ringsum.

„Der Stein der Weiſen iſt dem Staate verfallen,“
kündete der Oberste des weiſen Rats.

„Gut,“ erwiderte der Entdecter, ,ſo ſchaffe ich
einen anderen."

„Führt ihn ab,“ winkte der Obmann des Rats.
„Und laßt uns beraten."



Die Roſenkdnigin
Scherenschnitt von Fritz Boldt

Die ehrwürdigen Mitglieder des Rates waren erſtaunt und zugleich
ſchmerzlich bewegt. „Der Törichte wagt es, dem Volke die Arbeit zu
nehmen!" :

Der Ankläger ſprach: „Gott hat mit tiefem Vorbedacht Mühe und
Schweiß vor die Erfüllung gesetzt."

Der Verteidiger aber bat den Prüfungshof zu bedenten, daß die große
Tat wie keine andere beweise, daß ſie einem Auserleſenen im Geiſte zu
danken ei.

Die Richter erwiderten: „Dann werden wir im ganzen Lande Trauer
anlegen, wenn der Fürwitzige den Weg durchs dunlle Tor geſchritten ſein
wird.“

Und es senkten lauter ſchwarze Kugeln die ebenholzene Schale der
Wage, die vor dem erhöhten Sitze des oberſten Richters ſtand. Keine weiße
fiel in die Schale aus Elfenbein. Das Urteil war gefällt.

Der Stein der Weisen ward in das Meer versenkt, da es am tiefſten iſt.

Der Erleuchtete aber wurde, ohne daß er es ahnte, ſanft und ſchmerzlos
in den ewigen Frieden eingeschläfert. Alle Glocken läuteten. Das ganze
Land pries den Heimgegangenen als den Weisesſten der Heimat, den Be-
gnadetſten der Welt, beweinte ihn und ehrte hoch und heilig ſein Andenken.

Dann aber gingen wieder alle an die Arbeit, an die harte Arbeit, die
von der Sehnſucht nach dem Glück gesegnet iſt.

Die ſprechende Hand / Von W. Popper

< habe mich nie mit Handleſekunſt beschäftigt und weiß aus den
W Linien der Hand die Zukunft nicht zu künden; doch weiß ich aus ihren
Runen die Vergangenheit und die Gegenwart zu deuten, und ich will
hier berichten, was mir jüngſt eine Greiſinnenhand erzählte. + Es war
die ſchmale, edelgeformte Hand einer blaublütigen Ariſtokratin. Als ſie
einige Minuten lang, von ſchwerer Tagesarbeit ausruhend, auf der Arm-
lehne eines Polſterſtuhles lag, da redeten die hervortretenden blauen Adern,
die harten Schwielen, eine ſo deutliche Sprache, daß ich ihnen meine volle
Aufmerkſamkeit zuwenden mußte.

„Es war eine Zeit," ſprach die Hand, „da ich rund und voll Grübchen
in der Rechten meines Vaters ruhte, ohne Zagen vor dem kommenden
Tage, nur dem Geborgenſein, dem Glück der Gegenwart hingegeben.

Es war eine Zeit, daich mir die Nägel ins Fleiſch grub, da mich das Leben
und der Tod hart anfaßten und in den Abgrund der Verzweiflung ſtießen.

Es war eine Zeit, da ich den Pinsel führte und die Kunſt mich über den
Erdenjammer hinweghob.

Es war eine Zeit, da ich vertrauensvoll die Führerhand eines geliebten
Gatten ergriff, die mich auf die Sonnenſeite des Lebens geleitete.

Es war eine Zeit, da runde, weiche Kinderhändchen dich an mich ſchmieg-
ten, um von mir den Lebenspfad entlang geleitet zu werden. Es war eine
Zeit, da ich mich zum Gebete erhob, und da dieſes nicht erhört wurde,
mich zur Faulſt ballte.

Ich hatte den weisen gütigen Führer verloren. Doch noch hielt mich die
Pflicht, die eiſerne Pflicht. Ich mußte meinem Sohn, meiner Tochter, die
Führerhand des Vaters erſezen. + i

Es kam eine Zeit, da ich zitternd den Feldpoſtbrief
öffnete, der mir den Tod des einzigen Sohnes mel-
dete, und es kam eine Zeit, da ich nur noch ſo viel
Kraft hatte, mich ſegnend auf das Haupt des ver-
waisſten Enkelkindes zu legen.

Der Todeskampf der Männer war vorbei, nun be-
gann der Lebenskampf der Frauen. Alle Muskeln
angeſpannt, mußte ich arbeiten, mußte Pinſel und
Palette weglegen, um den Besen, die Scheuerbürſte,
den Kochlöffel zu führen. + Die Erfahrungen machen
die Seele hart, die Schwielen machen uns unemp-
findlich; Brandwunden, Schnittwunden, die ich kaum
mehr fühlte, verunſtalteten mich. ß

Der Schraubſtock der Pflicht hält mich unerbittlich
feſt, bis ich nichts mehr tun kann, als den Stab um-
klammern; wird dieſer nur meine Altersſtütze ſein,
oder — der Bettelſtab? ;

Ich habe es verlernt, mich zur Fauſt zuballen, doch
habe ich es gelernt, Knoten zulöſen, Faltenzuglätten,
Wunden ſchonend zu berühren; junge Häupter zu
segnen.

So sprach die Hand der Greiſin.

Ich aber beugte mich zu ihr nieder und drückte
ſie ehrfurchtsvoll an meine Lippen.
 
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