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H t 34











Deutſche Heimat: Am Chiemsee / Nach einem Gemälde von Willy Moralt

die nicht lesen konnten, liefen mit dem Schreiben zum Lehrer,
auch zum Paſtor, aber bekamen überall dieſelbe Auskunft.

Ihnen war, als ſtürzten ihnen ihre Häuſer über den Köpfen
ein. Es geriet eine namenloſe Verwirrung über das Dorf. Die
Leute hatten Jich ſo in Sicherheit gewiegt, daß dieſer Schlag als
etwas völlig Unbegreifliches kam. Ein alter Bauer lief an sein
Bettsſtroh und wühlte darin, als müßten die verlangten Taler Jich
da noch verkrochen haben. Die Frauen weinten und ſchrien. Das
Gejammer pflanzte Jich fort, es war, als wenn plötzlich Kriegsnot
über das Dorf gekommen wäre. Selbſt die, die noch nicht betroffen
waren, fühlten bereits den Boden unter ihren Füßen beben.

Am furchtbarſten war auf Wilhelm Koß der Schlag gefallen.
Er hatte nichts von dem ehemals geſparten Schatz mehr übrig.
Dafür hatte seine Frau ein blaues Staatskleid hängen, und seine
Tochter hatte ſtädtiſches Modezeug bekommen, weil das Selbſt-
gewebte anfing, nicht mehr als fein zu gelten. Er gehörte zu
denen, die nicht zum Lehrer zu laufen brauchten, er buchſtabierte
ſich die Kündigung Jelbſt heraus, und je länger er daran las, umſo
drohender und eiſiger ſtand Jie vor ihm.

Unterdessen hatte der Lehrer den Leuten geraten, zum Fräu-
lein hinaufzugehen und um Stundung zu bitten. Ein paar liefen
ſofort und. kamen mit vergnügten Gesichtern wieder. Sie war
gar nicht bös gewesen, erzählten Jie wichtig, und Jie brauchten
noch nicht zu zahlen, erſt nach der Ernte. Dabei hatten Jie noch
allerhand Düngemittel, wie ſie damals aufkamen, von ihr ge-
kauft, die Summe war zu der Schuld geſchlagen, dafür hatten Jie
ihren Namen bloß auf einen kleinen Zettel geſchrieben, brauchten
gar nicht erſt damit zum Notar. Bis nach der Ernte, meinten Jie,
ſei Zeit genug, alles einzubringen, besonders mit dem neuen
Dünger, der ja Wunderkräfte haben sollte. Das waren dann die
erſten Wechſelreiter von Söderdiek. + Es ging alles raſch genug.

Wie der Frühling übers Jahr kam, waren von den Leuten, die

in der Schuld beim Fräulein geſtanden hatten, nur noch wenige
im Dorf, und diese auch nur als besſitloſe Tagelöhner oder Ar-
beiter im Eiſenwerk und in der Ziegelei. Wilhelm Koß war eines
Morgens in dem Pferdeſtall erhängt aufgefunden. Es war andem
Vormittage, an dem in der Stadt ſein Hof verſteigert wurde. Jetzt
gehörten alle die ehemaligen Bauernſtuben, auf die der neue
Frühling ſchien, zum Gut.

Der Sturz der freien Besitzer ging unaufhaltſam weiter. Da
haben sich furchtbare Auftritte in der Schreibſtube des Gutsfräu-
leins abgespielt. Männer mit verzerrten Geſichtern ſtanden vor
ihr wie Bettler, manche weinten, einer machte den Verſuch, vor
ihr niederzuknien, andere reckten ihr die geballten Fäuſte entgegen.

Es iſt nicht zu sagen, mit welcher kalten Ruhe das einſt ſo fröh-
liche, herzwarme Mädchen diesen Verzweiflungsausbrüchen ſtand-
hielt. Es war nicht, als ſäße da ein lebendiges Menſchentind von
Fleiſch und Blut, das Mitleid und Furcht fühlen, oder dem das
Gewissen schlagen konnte, ſondern ein Steinbild, das nur Men-
ſchenzüge trug, aber kein inneres Leben hatte..

Es endete fast jedesmal damit, daß die Bittenden, von Grauſen
erfaßt, jählings aufhörten zu flehen und zu drohen und mit ge-
ſträubtem Haar hinaussſtürzten, denn mit einem Male war es
ihnen, als sprächen sie gar nicht zu einem natürlichen Menſchen,
ſondern als hätte aus den unbewegten Augen ſie ein Jemand
angesehen, desſſen Anblick kein Irdiſcher ertragen kann. >

Albertine Brant blieb allein zurück. Der verzweifelte Menſchen-
jammer warf ihr noch einigemal seine grauen Wellen vor die
Füße, dann ebbte er ab, und sie hörte nur in weiter Ferne ſein
ſchweres Wallen und Wogen, und hörte auch bald das nicht mehr.
Die Höfe, in die ſie einſt als Kind hineingelaufen war, beſuchend,
arglos teilnehmend an allem Geſchehen, waren jetzt alle nur noch
Teile ihres Besitzes. Sie riß ein und baute neu, ſie trieb die Men-
ſchen hinaus und behielt ſie da, je nach Laune und Ermessen.
 
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