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Da s Buch für Alle
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Gigantiſche Launen der Natur
PNDon Dr. Rob. Zander, Halle
ehen wir hinaus in die Welt, in jene Zonen Amerikas, wo die Kakteen
zu Hauſeind, ſo packt uns das Riesenhafte und Groteskedieſer Pflanzen
derart, daſßz wir uns recht gering vorkommen in der Natur mit ihren gigan-
tiſchen Launen. : :
Durchwandern wir nämlich das nördliche Südamerika oder die Ebenen
Mexikos, so finden wir dort jene Kakteenarten, die in den Glashäuſern unse-
rer botaniſchen Gärten als ſchlanke Säulen bis an das Dach reichen, als
Stämme vor, die bis zu zwanzig Meter hoch werden und bis sechzig Zenti-
meter Durchmesser erreichen. Und die bei uns in Töpfen gehaltenen kug-
ligen Arten haben dort zuweilen bei drei Meter Höhe und zwei Meter
Durchmeſſer etwa tauſend Kilogramm Gewicht. Auch die bekannte lang-
haarige Art, das „Greiſenhaupt“, wird dort bei zwölf Meter Höhe neben
ihrer Verwandten, der „Trajanssſäule“, die gar achtzehn Meter erreicht, zur
Riesſenform. j
Von Jolchen Rieſenkakteen gibt uns Alexander von Humboldt in seiner
„Reise in die Uquinoktialgegenden des neuen Kontinents“ bei Schilderung
der Hügel um die Stadt Cumana in Venezuela treffliche Beſchreibungen:
„r «. Der Hügel aus Kalkſtein iſt mit Fackeldiſteln bedeckt. Manche davon
ſind dreißig bis vierzig Fuß hoch, und ihr mit Flechten bedeckter kronleuchter-
galrtiggeteilter Stamm nimmtſich höchſt ſeltſam aus. Bei Maniquarez maßen
wir einen Kaktus, deſſen Stamm über vier Fuß ;
neun Zoll Umfang hatte ... Ein Ort, wo ſtach-
lichte Kaktuſſe von hohem Wuchs in Reihen
ſtehen, gilt faſt für undurchdringlich. Solche
Stellen heißen Tunales ~ sie gelten als wich-
tiges militäriſches Verteidigungsmittel. Wo
man Erdwerke anlegt, ſuchen die Ingenieure
recht viele ſtachlichte Fackeldiſteln darauf anzu-
bringen." Heute werden ſolche undurchdring-
lichen Hecken als Gehege menſchlicher Wohn-
ſtätten angelegt. Sie ſind bekannt unter dem
ſpaniſchen Namen Carambullas. Die Abbil-
dungen zeigen eine Reihe Wuchsformen dieser
Fackeldiſteln (Cereusarten), die ihren Namen
daher haben, daß die Indianer Zweige von
dieſen Kakteen abbrachen, in Wachs (cera)
tauchtenundals Fackelnbenutzten. Eine einzelne
Säule nennt man Columna; stehen mehrere
beieinanderwiedie Orgel-
pfeifen, so heißen ſie Or-
ganos; verzweigte wer-
den Armleuchtergenannt.
Betrachten wir eine
einfache Säule, so fällt
uns vor allem auf, daß die
regelmäßige Veräſtelung
unserer Baumſtämmeund
der Blattſchmuck fehlen.
Einen Eichbaum könnten
wir uns wohl nie in der
Art vorſtellen; aber ge-
denken wir nur unſerer
Nadelhölzer, ſo wird uns
ſchon dieſe Baumformbe-
greiflicher. Wer einmal
eine Dammartanne oder
ſtatt dieſer Verwandten
unserer Zimmertannegar
ihre Urform, die brasi-
lianiſche Araukarie, ge-
ehen hat mit den ein bis
drei Zentimeter breiten
Nadeln, dem iſt der Rück-
gang der Blätter zu Na-
deln bei Pflanzen trocke-
ner Standorte verständ-
lich. Wir wissen, daß die
Pflanze durch die Blätter
Wasser abgibt. Wo, wie
in den Ebenen Mexikos
lichen Nordamerikas, nur geringe Regenperioden zu verzeichnen ſind und
wo die Pflanzen in dem weitaus größten Teil des Jahres in trockenem
Boden unter ständig heißer Tropenſonne ſtehen, da hätten ſelbſt Nadeln
noch zuviel Oberfläche zum Verdunsten geboten. So mußten ſich hier also
dieſe bedauernswerten Geschöpfe auf das Mindeſtmaß der äußeren Aus-
breitung beschränken, und ihre Blätter wurden zu Stacheln, die im Verein
mit Zotten- und Wollhaaren die Stammoberfläche vor den direkten Son-
nenſtrahlen ſchüßen. Man hat auf der Sonnenſeite Stacheln bis zu zwanzig
Zentimeter Länge gemessen, auf der Schattenseite ſind ſie ſtets kürzer. —
Was sonst an Blättern als Verdunsſtungsſchutz bekannt ist, wie lederige
Oberhaut und Wachsaussſcheidungen, finden wir hier auf dem Stamm.
Einzelne Übergangsformen zeigen heute noch typiſche Blätter, wie zum
Beispiel die Peireskia. Die Blattkakteen und die indiſche Feige, Opuntia,
mit ihren blattähnlichen Gebilden gehören allerdings nicht hierher, denn
bei ihnen ſind Stengelteile blattähnlich abgeflacht. Einen Vorzug genießen
aber die Kakteen gegenüber anderen Pflanzen trockener Standorte: Jie
verlegten den Ausbau ihres Organismus in das Innere. Dieſes wurde zu
großen Wasserspeichern, die ſich in der Regenzeit mit einem das Überdauern
langanhaltender Trockenperioden ermöglichenden Saft füllen. Das Wasser
wird außerdem an ſchleimige Subſtanzen gebunden, die es lange feſtzu-
haltenvermögen. Beider Waſſeraufnahme
sſieht man solche Stämme ſich um vierzig
bis fünfzig Zentimeter ſtrecken.
Noch ein anderes wurde diesen äußerlich
unansehnlichen Geschöpfen in reicherem
Maße zuteil als den ſonſt beglückteren Ge-
ſchwiſtern, das ſind die großen prachtvollen
Blüten mit ihrem Vanilleduft. Die Zeit
der Blütefällt, entgegenunſeren Pflanzen,
die zu anderer Zeit blühen, als ſie wachſen,
hiermitder Vegetationsperiodezuſammen,
nämlichmitden Regenmonaten. Wennvor
der Wachstumsperiode durch Sturm oder
künſtliche Verſtimmelung die Spitze eines
Stammes entfernt wurde, so wachſen aus
derWundſtelleneue,Köpfe"hervor. Dieſer
Prozeſz; des Köpfens, der ſich beliebig oft
wiederholen läßt, erlaubt es daher, trotz
der ungeheuren Höhe, die
erreichtwerdenkann,diese
Cereusarten in unseren
Treibhäuſern zu ziehen.
Was wir indeſſen bei uns
nie zu ſehen bekommen,
ſind die Löcher in den
Stämmen, die nach Bil-
dern häufig als Stellen,
an denen Seitenzweige
herausgebrochen ſind, be-
zeichnet werden. InWirk-
lichkeit aber ſind es Flug-
löcher der Papageien-
neſter,denndie Papageien
hackenzuersſt zu ihrer Nah-
rung das feſte Fleiſch aus
dem Stammund benutzen
sodann die entstandenen
Höhlungen als Wohnſtät-
ten. Klopftmanbei einem
Gang durch einen Kak-
teenwald andie Stämme,
so ſieht man zahlreiche
Papageien entfliegen.
Diese und andere Vögel
) orgendurch Verſchleppen
~ und Ablagern der unver-
dauten Samenterne auch
für die Verbreitung der
Kakteen. So konnten eini-
ge Arten ſchon früh ihren
und den Hochländern des
nördlichen Süd- und ſüd-
24. 1926
Ein eigenartig geformter Riesenkaktus in Mexiko
Weg bis nach Europa fin-
den, während wir nach
Da s Buch für Alle
t
Gigantiſche Launen der Natur
PNDon Dr. Rob. Zander, Halle
ehen wir hinaus in die Welt, in jene Zonen Amerikas, wo die Kakteen
zu Hauſeind, ſo packt uns das Riesenhafte und Groteskedieſer Pflanzen
derart, daſßz wir uns recht gering vorkommen in der Natur mit ihren gigan-
tiſchen Launen. : :
Durchwandern wir nämlich das nördliche Südamerika oder die Ebenen
Mexikos, so finden wir dort jene Kakteenarten, die in den Glashäuſern unse-
rer botaniſchen Gärten als ſchlanke Säulen bis an das Dach reichen, als
Stämme vor, die bis zu zwanzig Meter hoch werden und bis sechzig Zenti-
meter Durchmesser erreichen. Und die bei uns in Töpfen gehaltenen kug-
ligen Arten haben dort zuweilen bei drei Meter Höhe und zwei Meter
Durchmeſſer etwa tauſend Kilogramm Gewicht. Auch die bekannte lang-
haarige Art, das „Greiſenhaupt“, wird dort bei zwölf Meter Höhe neben
ihrer Verwandten, der „Trajanssſäule“, die gar achtzehn Meter erreicht, zur
Riesſenform. j
Von Jolchen Rieſenkakteen gibt uns Alexander von Humboldt in seiner
„Reise in die Uquinoktialgegenden des neuen Kontinents“ bei Schilderung
der Hügel um die Stadt Cumana in Venezuela treffliche Beſchreibungen:
„r «. Der Hügel aus Kalkſtein iſt mit Fackeldiſteln bedeckt. Manche davon
ſind dreißig bis vierzig Fuß hoch, und ihr mit Flechten bedeckter kronleuchter-
galrtiggeteilter Stamm nimmtſich höchſt ſeltſam aus. Bei Maniquarez maßen
wir einen Kaktus, deſſen Stamm über vier Fuß ;
neun Zoll Umfang hatte ... Ein Ort, wo ſtach-
lichte Kaktuſſe von hohem Wuchs in Reihen
ſtehen, gilt faſt für undurchdringlich. Solche
Stellen heißen Tunales ~ sie gelten als wich-
tiges militäriſches Verteidigungsmittel. Wo
man Erdwerke anlegt, ſuchen die Ingenieure
recht viele ſtachlichte Fackeldiſteln darauf anzu-
bringen." Heute werden ſolche undurchdring-
lichen Hecken als Gehege menſchlicher Wohn-
ſtätten angelegt. Sie ſind bekannt unter dem
ſpaniſchen Namen Carambullas. Die Abbil-
dungen zeigen eine Reihe Wuchsformen dieser
Fackeldiſteln (Cereusarten), die ihren Namen
daher haben, daß die Indianer Zweige von
dieſen Kakteen abbrachen, in Wachs (cera)
tauchtenundals Fackelnbenutzten. Eine einzelne
Säule nennt man Columna; stehen mehrere
beieinanderwiedie Orgel-
pfeifen, so heißen ſie Or-
ganos; verzweigte wer-
den Armleuchtergenannt.
Betrachten wir eine
einfache Säule, so fällt
uns vor allem auf, daß die
regelmäßige Veräſtelung
unserer Baumſtämmeund
der Blattſchmuck fehlen.
Einen Eichbaum könnten
wir uns wohl nie in der
Art vorſtellen; aber ge-
denken wir nur unſerer
Nadelhölzer, ſo wird uns
ſchon dieſe Baumformbe-
greiflicher. Wer einmal
eine Dammartanne oder
ſtatt dieſer Verwandten
unserer Zimmertannegar
ihre Urform, die brasi-
lianiſche Araukarie, ge-
ehen hat mit den ein bis
drei Zentimeter breiten
Nadeln, dem iſt der Rück-
gang der Blätter zu Na-
deln bei Pflanzen trocke-
ner Standorte verständ-
lich. Wir wissen, daß die
Pflanze durch die Blätter
Wasser abgibt. Wo, wie
in den Ebenen Mexikos
lichen Nordamerikas, nur geringe Regenperioden zu verzeichnen ſind und
wo die Pflanzen in dem weitaus größten Teil des Jahres in trockenem
Boden unter ständig heißer Tropenſonne ſtehen, da hätten ſelbſt Nadeln
noch zuviel Oberfläche zum Verdunsten geboten. So mußten ſich hier also
dieſe bedauernswerten Geschöpfe auf das Mindeſtmaß der äußeren Aus-
breitung beschränken, und ihre Blätter wurden zu Stacheln, die im Verein
mit Zotten- und Wollhaaren die Stammoberfläche vor den direkten Son-
nenſtrahlen ſchüßen. Man hat auf der Sonnenſeite Stacheln bis zu zwanzig
Zentimeter Länge gemessen, auf der Schattenseite ſind ſie ſtets kürzer. —
Was sonst an Blättern als Verdunsſtungsſchutz bekannt ist, wie lederige
Oberhaut und Wachsaussſcheidungen, finden wir hier auf dem Stamm.
Einzelne Übergangsformen zeigen heute noch typiſche Blätter, wie zum
Beispiel die Peireskia. Die Blattkakteen und die indiſche Feige, Opuntia,
mit ihren blattähnlichen Gebilden gehören allerdings nicht hierher, denn
bei ihnen ſind Stengelteile blattähnlich abgeflacht. Einen Vorzug genießen
aber die Kakteen gegenüber anderen Pflanzen trockener Standorte: Jie
verlegten den Ausbau ihres Organismus in das Innere. Dieſes wurde zu
großen Wasserspeichern, die ſich in der Regenzeit mit einem das Überdauern
langanhaltender Trockenperioden ermöglichenden Saft füllen. Das Wasser
wird außerdem an ſchleimige Subſtanzen gebunden, die es lange feſtzu-
haltenvermögen. Beider Waſſeraufnahme
sſieht man solche Stämme ſich um vierzig
bis fünfzig Zentimeter ſtrecken.
Noch ein anderes wurde diesen äußerlich
unansehnlichen Geschöpfen in reicherem
Maße zuteil als den ſonſt beglückteren Ge-
ſchwiſtern, das ſind die großen prachtvollen
Blüten mit ihrem Vanilleduft. Die Zeit
der Blütefällt, entgegenunſeren Pflanzen,
die zu anderer Zeit blühen, als ſie wachſen,
hiermitder Vegetationsperiodezuſammen,
nämlichmitden Regenmonaten. Wennvor
der Wachstumsperiode durch Sturm oder
künſtliche Verſtimmelung die Spitze eines
Stammes entfernt wurde, so wachſen aus
derWundſtelleneue,Köpfe"hervor. Dieſer
Prozeſz; des Köpfens, der ſich beliebig oft
wiederholen läßt, erlaubt es daher, trotz
der ungeheuren Höhe, die
erreichtwerdenkann,diese
Cereusarten in unseren
Treibhäuſern zu ziehen.
Was wir indeſſen bei uns
nie zu ſehen bekommen,
ſind die Löcher in den
Stämmen, die nach Bil-
dern häufig als Stellen,
an denen Seitenzweige
herausgebrochen ſind, be-
zeichnet werden. InWirk-
lichkeit aber ſind es Flug-
löcher der Papageien-
neſter,denndie Papageien
hackenzuersſt zu ihrer Nah-
rung das feſte Fleiſch aus
dem Stammund benutzen
sodann die entstandenen
Höhlungen als Wohnſtät-
ten. Klopftmanbei einem
Gang durch einen Kak-
teenwald andie Stämme,
so ſieht man zahlreiche
Papageien entfliegen.
Diese und andere Vögel
) orgendurch Verſchleppen
~ und Ablagern der unver-
dauten Samenterne auch
für die Verbreitung der
Kakteen. So konnten eini-
ge Arten ſchon früh ihren
und den Hochländern des
nördlichen Süd- und ſüd-
24. 1926
Ein eigenartig geformter Riesenkaktus in Mexiko
Weg bis nach Europa fin-
den, während wir nach