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Stück deutſcher Erde laſtet wie die der Faſchiſten auf dem einzigen
deutschen Land unter ſüdlichem Himmel. Sie fühlen das deutſche
Herzblut, den deutſchen Pulsſchlag dieſer Erde, die gediegene Schwere,
den würdigen Ernſt und poſeloſen Stolz dieſes Volkes. Da reißen sie den
Kindern die deutſche Zunge aus dem Mund und den deutſchen Gott aus
dem Herzen und glauben nun mit jener wohlbedachten, quälenden Grau-
samkeit töten zu können, was ſich durch glatte Worte und blankes Geld
weder vergiften noch betäuben läßt. Sie können Kinder und Greiſe und
Prieſter und Bauern den Arm zum römiſchen Gruß erheben machen,
können ehrliche deutſche Namen in welſche Tunke tauchen, können die
jungen Männer hinabsenden in ihre Heimat, italieniſche Kunſt und italiſche
Weisheit zu ſehen und zu fühlen, der dreifarbigen Fahne zu ſchwören und
ſie dennoch als deutſche Lümmel Geringschätzung fühlen laſſen. Sie
können ausweisen, wer nicht ſchweigen, und einkerkern, wer sich nicht fügen
will, ſie können Denksteine weihen und Palazzi bauen, Reden halten und
Grenzmanöver ſpielen: die alten Berge stehen unter alten Sternen, die
alten Flüsse rauſchen in alter Erde, und die alten Herzen ſchlagen in altem
Glauben. Und das ſtachelt die Wut der Bedrücker: dieſes Bewußtsein,
immer Bewußterwerden ihrer Machtloſigkeit troß allem, ihre Ohnmacht,
den Geiſt zu zwingen. Sie fühlen ihren Tag kommen und setzen nun alle
Höllen in Bewegung, die vierzehn Jahrhunderte organiſchen deutſchen
Werdens und Seins in einem Jahrzehnt des Schreckens begraben und
vergessen zu machen.

Denn seit der Eroberung, Durchdringung und durchgreifenden Besied-
lung des Landes durch Stämme der Bajuwaren im ſechſten Jahrhundert
nach Chriſtus ſind das Vintſchgau, die Becken von Meran und Bozen, das
Etschtal bis ſüdlich der Salurner Klause, das Tal des Eiſack und das Puſter-
tal, um nur die Hauptbezirke anzudeuten, unabgelenkt und noch unablenk-
bar die Wege deutſcher Geschichte und deutscher Kultur, deutſcher Kunſt
und deutſchen Wesens gegangen. Daß diese Entwicklung auch hier im Süden
auf das Wesen der Landschaft, ihre Bedingtheiten durch Klima, Boden
und so weiter, die Anlagen des Volkes abgeſtimmt war und . o, wie jeder
der deutschen Kulturkreiſe, eine Abwandlung des großen deutſchen Themas

Da s Buch f ür Aite

Heft 234

darſtellt, daß dieſer deutſche Süden mit dem Romanentum in regerem kultu-
rell-künſtleriſchem und wirtschaftlichem Austauſch undunter ſtärkerem Einfluß
ſtand wie etwa nördlichere Gebiete, verſteht ſich von ſelbſt und kanninkeiner
Weise den eindeutig deutſchen Charakter dieſer Gebiete beeinträchtigen.

Deutlich ſcheiden ſich ſchon die freiheitsſtolzen Einzelhöfe der deutſchen
Siedler, deren gärten- und giebelreiche Straßenzüge von den flachdachigen,
Wand an Wand drängenden, klettenhaft aufeinandergerückten, maleriſchen
Dörfern der Romanen. Auch die Ortsnamen geben Kunde von der frü-
hen bajuwariſchen Germaniſierung und Neubesiedlung. Es kommen die
Zeiten des gewaltigen Sanges deutſcher Kämpfer, deutſchen Heldenliedes:
die Sagenkreiſe um Dietrich von Bern, den Rosengarten König Laurins,
um nur die bekannteſten anzuführen, wurzeln in dieſen Tälern. Zwei
Texte des Nibelungenliedes und zahlreiche Handſchriftenfragmente ließen
eine Annahme erſtehen, der Ursprung dieser größten aller deutſchen Helden-
geſänge sei im Etſchtal zu ſuchen. Bis in die Zeit ausklingenden Mittelalters
erhielten sich dieſe Heldenlieder dort unten lebendig. Und dem Befehl
Maximiliansk., in Bozen das „Heldenbuch an der Etſch“ abzuſchreiben, ver-
danken wir neben vielem anderen die einzige Überlieferung des Gudrun-
liedes. – Dann zogen die Fahrenden von Burg zu Burg. Aus der Menge
der tiroliſchen Minnesänger ſei nur des letzten bedeutenden deutſchen
überhaupt, Oswalds von Wolkenſtein, gedacht, deſſen Stammburg am
Fuße des Schlern stand. Und hat nicht gar Walther den Vogelweiderhof
zu Layen bei Weidbruck seine Heimat genannt? So war ein kampffrohes
Rittertum erwachsen, ein vollblütiger Adel, wohlgeſchult im lieblichen Lied
der Minne wie im ſchweren Fluß seiner höfiſchen Epik. Daneben baute der
handeltreibende reiche Bürger feſte, kunſtreiche Städte, der freie, unbeug-
bare Bauer pflügte fettes oder felsgründiges Land, und der gelehrte Diener
des Herrn dichtete, betete und malte in angeſehenen Stiften. Das Volk
aber hatte seine eigenen Faſtnachtsſpiele und Mummenſchanze, ſpielte die
ganze heilige Geschichte und alle Legenden dazu und ſchuf ſich ſein grob-
knochiges Drama und ſein vogelleichtes Lied. Da ſpielte man droben in
Sterzing ein Passionsspiel, das nicht weniger als drei Tage währte, und
Bozen erweiterte den Text zum Füllen einer ganzen JFeſtſpielwoche.





Franzensfeſte in Südtirol / Nach einer Aufnahme von Niſtler
 
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