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Deutſche Heimat: Kleinſtadtfrieden / Nach einem Gemälde von Fritz Bergen
Alo bezog der Franzl zu Oſtern das Gymnasium. Er war ein fleißiger
Schüler und konnte jedes Jahr eine Klasse höher steigen. Als er dann nach
ſechs Jahren das Zeugnis zum „Einjährigen“ in der Taſche hatte, da traten
auch ſchon gewisse ſtudentiſche Allüren bei ihm zutage. Auf einer Feſt-
kneipe, die ſeine Mitschüler abhielten, durfte er die Festrede halten.
An das übermäßige Kneipen nicht gewöhnt, brachte er zum Schrecken
der Eltern einen „Fetzenrauſch“, wie man hier zu ſagen pflegt, nach Hauſe.
Da patkte ihn der Alte beim Krawattl und ſchrie ihn an: „Wos ~ an
Kapuziner willſt wer'n, du Bſuff, du ölendiga? An Lump wirst, wannſt
ſo weita machſt. Aber wart, Bürschei, i werd's dir scho austreib’n !“
Da nahm die Vroni beſchwichtigend den Waſtl bei der Hand: „Geh,
Voda, i bitt di, reg di net auf. Der Franzl tut's gewiß nimma!"
Der Waltl ſchwieg. Er konnte der gutherzigen Art seiner Vroni nicht
widerſtehen. Sie zeigte ihm auch nicht die trüben Gedanken, die ihre
Seele durchzogen. Wie oft hatte der Kummer Jie beſchlichen, wenn Jie
nachdachte über die Wesensart des Jungen, die so seltsam abwich von ihrer
und ihres Mannes ſchlichter Art! War Jie nicht durch ihre Nachgiebigkeit
zur Mitſchuldigen an dem Leichtſinn des Buben geworden?
Allein Jie war nicht imſtande, strengere Saiten aufzuziehen. Ihre Güte
und ihre Liebe zu dem Jungen waren zu tief gewurzelt. Und darin lag ihre
Schwäche, die der Franzl zu seinem Vorteil auszunützen versſtand.
Im Laufe der nächſten Jahre entwickelte sich der Franzl zu einem
hübſchen Burſchen, zu einem sogenannten ,feschen Kerl“. Er fing an,
Zigaretten zu rauchen und den Mädeln nachzuſteigen. Meiſtens kam er
dann erſt ſpät nach Hauſe und log Jich irgend eine Ausrede zuſammen.
: Die gute Mutter, die die Wahrheit ahnte, erfüllte es mit tiefer Be-
kümmernis, daß der Franzl auf dem Wege war, auch ein raffinierter
Lügner zu werden, und gar manchmal ſtand ſie mit erhobenen Händen
betend vor dem Bildnis des Gekreuzigten : „Du lieber Herrgood, i bitt di,
hilf, daß der Franzl net z'’grund geht !“ f
Aber es kam noch ſchlimmer. Es war einige Monate vor ſeinem Abitur,
da wurde der Franzl wegen dummer Streiche vom Direktor verhört.
Er gab ungezogene Antworten und beleidigte ſeine Lehrer in gröblicher
Weise. Das Lehrerkollegium beſchloß darauf, ihn sofort zu entlassen.
„A so a Lausbua a miſerabliga, " ſchrie der Vater, „oiwei han i g'fürcht,
daß der Schlawiner noch Schand üba'’s Haus bringt. Aba i drah eahm 'n
Hals um !"
Dabei ſchlug er so wuchlig auf die Tiſchplatte, daß die Teller klirrten.
Und wiederum war es seine Vroni, die ihn mit ſanften Worten beſchwich-
tigte. Er drückte ihr die Hand und sagte weich :: „Was für a Glück, Vronerl,
daß du oiwei bei mir biſt, wie an Schutzengel . . . ſunſt wiſsat i net, wos
ois paſſierat !“
„Aber geh, Waſtl, buid dir do nix ei . . . du biſt bloß a bißl reſch und
fuchti, aba ſunſt der bravſte und liabſte Mensch auf der Welt !Û
Dann schaute er ihr in die Augen: „Sso, moanſt dös wirkli, Dite ~ han?“
Darauf gingen sie zuſammen zum Direktor. Mit Rücſsicht auf den guten
Ruf der Eltern wurde dann der Entlasſungsbeſchluß wieder aufgehoben.
Der Franzl mußte dann noch Abbitte leiſten und versprechen, ſich bis zum
Ende der Schulzeit tadellos zu führen.
Kaum aber hatte er die Prüfung bestanden und das Zeugnis in der
Hand, das ihm die Pforten der Hochſchule öffnen sollte, da empfand er
zum erſtenmal das stolze Gefühl des freien Studenten. Und das gedachte
er gründlich auszukoſten.
Auf der Schlußkneipe betrank er sich ſo maßlos, daß er erſt am anderen
Nachmittag in elender Verfassung nach Hauſe kam. Der Vater, der mit der
Mutter den ganzen Tag in ſteigender Besorgnis zugebracht, ſtürzte drohend
auf ihn zu. Ganz gewiß, er hätte ihn gewürgt und geohrfeigt, wäre die
Mutter nicht dazwiſchengeſprungen. Sie faßte seinen Arm und bat ihn
aus tiefster Seele: „JI bitt di, Wastl, vergreif di net am Franzl! Schau, an
ſoichnem Tag kann dös an jed'm passier'n . . . geh, sei vernünfti !“
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Deutſche Heimat: Kleinſtadtfrieden / Nach einem Gemälde von Fritz Bergen
Alo bezog der Franzl zu Oſtern das Gymnasium. Er war ein fleißiger
Schüler und konnte jedes Jahr eine Klasse höher steigen. Als er dann nach
ſechs Jahren das Zeugnis zum „Einjährigen“ in der Taſche hatte, da traten
auch ſchon gewisse ſtudentiſche Allüren bei ihm zutage. Auf einer Feſt-
kneipe, die ſeine Mitschüler abhielten, durfte er die Festrede halten.
An das übermäßige Kneipen nicht gewöhnt, brachte er zum Schrecken
der Eltern einen „Fetzenrauſch“, wie man hier zu ſagen pflegt, nach Hauſe.
Da patkte ihn der Alte beim Krawattl und ſchrie ihn an: „Wos ~ an
Kapuziner willſt wer'n, du Bſuff, du ölendiga? An Lump wirst, wannſt
ſo weita machſt. Aber wart, Bürschei, i werd's dir scho austreib’n !“
Da nahm die Vroni beſchwichtigend den Waſtl bei der Hand: „Geh,
Voda, i bitt di, reg di net auf. Der Franzl tut's gewiß nimma!"
Der Waltl ſchwieg. Er konnte der gutherzigen Art seiner Vroni nicht
widerſtehen. Sie zeigte ihm auch nicht die trüben Gedanken, die ihre
Seele durchzogen. Wie oft hatte der Kummer Jie beſchlichen, wenn Jie
nachdachte über die Wesensart des Jungen, die so seltsam abwich von ihrer
und ihres Mannes ſchlichter Art! War Jie nicht durch ihre Nachgiebigkeit
zur Mitſchuldigen an dem Leichtſinn des Buben geworden?
Allein Jie war nicht imſtande, strengere Saiten aufzuziehen. Ihre Güte
und ihre Liebe zu dem Jungen waren zu tief gewurzelt. Und darin lag ihre
Schwäche, die der Franzl zu seinem Vorteil auszunützen versſtand.
Im Laufe der nächſten Jahre entwickelte sich der Franzl zu einem
hübſchen Burſchen, zu einem sogenannten ,feschen Kerl“. Er fing an,
Zigaretten zu rauchen und den Mädeln nachzuſteigen. Meiſtens kam er
dann erſt ſpät nach Hauſe und log Jich irgend eine Ausrede zuſammen.
: Die gute Mutter, die die Wahrheit ahnte, erfüllte es mit tiefer Be-
kümmernis, daß der Franzl auf dem Wege war, auch ein raffinierter
Lügner zu werden, und gar manchmal ſtand ſie mit erhobenen Händen
betend vor dem Bildnis des Gekreuzigten : „Du lieber Herrgood, i bitt di,
hilf, daß der Franzl net z'’grund geht !“ f
Aber es kam noch ſchlimmer. Es war einige Monate vor ſeinem Abitur,
da wurde der Franzl wegen dummer Streiche vom Direktor verhört.
Er gab ungezogene Antworten und beleidigte ſeine Lehrer in gröblicher
Weise. Das Lehrerkollegium beſchloß darauf, ihn sofort zu entlassen.
„A so a Lausbua a miſerabliga, " ſchrie der Vater, „oiwei han i g'fürcht,
daß der Schlawiner noch Schand üba'’s Haus bringt. Aba i drah eahm 'n
Hals um !"
Dabei ſchlug er so wuchlig auf die Tiſchplatte, daß die Teller klirrten.
Und wiederum war es seine Vroni, die ihn mit ſanften Worten beſchwich-
tigte. Er drückte ihr die Hand und sagte weich :: „Was für a Glück, Vronerl,
daß du oiwei bei mir biſt, wie an Schutzengel . . . ſunſt wiſsat i net, wos
ois paſſierat !“
„Aber geh, Waſtl, buid dir do nix ei . . . du biſt bloß a bißl reſch und
fuchti, aba ſunſt der bravſte und liabſte Mensch auf der Welt !Û
Dann schaute er ihr in die Augen: „Sso, moanſt dös wirkli, Dite ~ han?“
Darauf gingen sie zuſammen zum Direktor. Mit Rücſsicht auf den guten
Ruf der Eltern wurde dann der Entlasſungsbeſchluß wieder aufgehoben.
Der Franzl mußte dann noch Abbitte leiſten und versprechen, ſich bis zum
Ende der Schulzeit tadellos zu führen.
Kaum aber hatte er die Prüfung bestanden und das Zeugnis in der
Hand, das ihm die Pforten der Hochſchule öffnen sollte, da empfand er
zum erſtenmal das stolze Gefühl des freien Studenten. Und das gedachte
er gründlich auszukoſten.
Auf der Schlußkneipe betrank er sich ſo maßlos, daß er erſt am anderen
Nachmittag in elender Verfassung nach Hauſe kam. Der Vater, der mit der
Mutter den ganzen Tag in ſteigender Besorgnis zugebracht, ſtürzte drohend
auf ihn zu. Ganz gewiß, er hätte ihn gewürgt und geohrfeigt, wäre die
Mutter nicht dazwiſchengeſprungen. Sie faßte seinen Arm und bat ihn
aus tiefster Seele: „JI bitt di, Wastl, vergreif di net am Franzl! Schau, an
ſoichnem Tag kann dös an jed'm passier'n . . . geh, sei vernünfti !“