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Das BuchfürAlloe

Heft 26

Illustrierte Familienzeitschrift

1926



Das Irrlicht / Erzihtung vn Ouſtav Renker

n einer ſchwülen Frühlingsnacht kam Hans Wigold, der Student der

Medizin im fünften Semeſter, anläßlich einer Ferienreise in eines
jener großen, unabſehbaren Moorgebiete, die ſich in troſtloſer Gleichförmig-
keit ausdehnen, nur hie und da durch kleine Weidengehölze oder lang-
gestreckte. gleich ſilbernen Schlangen in die ſchwarzdüſtere Landſchaft hin-
geringelte Seen unterbrochen. Der Himmel war von wild jagenden, ein-
ander drängenden und ſtoßenden Wolken bedeckt, in denen ſich zeitweilig
eine Gasse aufrißz, durch die das Mondlicht wie Bündel glizernder Spinn-
webfäden niederfiel. In der Einſamkeit der Nacht waren vielerlei Stimmen
hörbar. Eintönig trompetete derChor der Fröſche des Sumpfes, eine Quint
tiefer rollte das grauſchattige Gurgeln der Unken hin, Nachtvögel jammer-
ten und klagten in wirrem Gemenge von Stimmen und Höhenlagen. Über
die abendliche Symphonie des Moores hin ſummte das ſcharfe, ſauſende
Raſcheln der hohen Schilfgräſer, durch deren Riſpen der Wind ſtrich.

Mit einem Male ſchien es Wigold, als ob da draußen, rechter Hand von
der Straße, ein kleines, zitterndes Licht aufhuſche. Es ſtand über dem
Dunkel des Moores gleich einem jener Sterne, die manchmal in wilder
Gewitternacht durch einen winzigen, plötzlich entſtandenen Spalt in der
Wolkendecke auf die ſturmgepeitſchte Erde niederſchauen. Wigolds geübtes
Auge jedoch erkannte bald, daß dieſes Licht nicht in der Sumpföde des
Moores lebte. Es war von grünlichblauer Farbe, ſchien an den Rändern
in ein lebhaftes Gelb überzulaufen und zuckte in auf und nieder ſpringender
Bewegung. Wigold dachte beim Anblick des Lichtes, daß er ſich einem jener



26. 1926

uralten, an einſamer Landſtraße gelegenen Wirtshäuser nähere, in denen
die Fuhrleute einzukehren pflegten. Hans Wigold kannte dieſe Gasthöfe
und liebte ihre Behaglichkeit. Das lockende Bild einer altväteriſchen Heide-
wirtschaft ſtieg vor ihm auf, er ſah ſich vor einer dampfenden Schüſſel und
einem Kruge Bier und beflügelte ſeine Schritte.

Die Gegend glitt lautlos, ſchattenhaft vorbei, das Licht tanzte unver-
ändert über dem Moore. Es befand ſich nach der Schätzung Wigolds etwa
zweihundert Meter abſeits der Landſtraße, und der Student erwartete,
nun bald auf einen abzweigenden Weg zu treffen, der ihn an das Haus
heranführen würde. Doch das Moor wich nicht, es lag klobig und zäh längs
der Straße wie ein ſchwarzes Ungeheuer. Wigold ſtand ſtill und ſah neuer-
dings nach dem Lichte. Er befand sich nun faſt in gleicher Höhe mit ihm,
ohne bisher die Spur eines Seitenweges entdeckt zu haben. Und ohne einen
solchen wollte er ſich der Tücke des Moores nicht ausliefern.

Wieder ſchritt er die Straße hin, der taktmäßige Aufschlag der Füße und
das Stampfen des Stockes miſchten ſich wie Paukenſchläge in das wunder-
liche Konzert der Fröſche, Unken und Nachtvögel.

Aus der Finſternis, die wie eine ſchwarze, rieſige Wand vor Wigold ſtand,
löſte ſich eine hohe Masse los, ſchien eine zuſammengeballte Fauſt ſich dem
Wanderer entgegenzuſtrecken. Dann verſchärften ſich die Umùrisse, löſten Tich
aus der Gleichheit der Nacht; ein breites, wuchtig auf ſeinem Grund laſten-
des Haus ſtand an der Straße.

Das unſtete Licht aber zitterte nach wie vor ferne über dem Moore.



Stumpfſinn / Nach einem Gemälde von Hermann Hendrich
 
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