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Da s B u ch f ür Y 11e
Heft 26 |
einen verzweifelten Schritt auf die tückiſche Rasenfläche machen wollte.
Etliche Minuten furchtbarer Spannung vergingen, dann richtete ſich die
Geſtalt des Bauern wieder auf. Ein harter, eiſerner Wille ſtählte seine Züge.
„Allein! Jett bin ich allein!“ sagte er endlich mit furchtbarer Ruhe.
Mit jähem Entſchluß wandte er Jich. „Kommt, Herr! Wir wollen zur
Wiese. Ich kann jetzt noch nicht ins Haus zurück zu der . .. !“
Er rief dem zögernden Hunde, der mit einem letzten, erſchütternd weh-
vollen Aufheulen von dem Grabe ſeiner kleinen Herrin Ahſchied nahm, und
ſchritt den Weg weiter.
Nach etwa drei Minuten wurde der Boden feſter, eine gemähte Wiese
lag da, auf der etliche Heuſchober plump und ungefügig aus der Nacht in
das Licht der Laterne ſprangen. Auch ein Bänkchen stand dort. Auf ihm
ließ ſich der Bauer niederund bedeutete dem Studenten, ein Gleiches zu tun.
Zaghaft und langſam begann es zu tagen. Über das Moor legte ſich ein
feiner Schleier grauweiß und hauchzart. Der Oſten begann zu brennen.
Feurige Streifen liefen wie Straßen durch die dort lagernde Wolkenbank.
Der Sturm ließ nach, ſein großes, machtvolles Rauſchen verklang allmäh-
lich in der ungeheuren Weite der ebenen Fläche.
Da begann der Bauer unvernittelt, jäh ausbrechend, als stürzten ihm
die Worte aus dem leidbeladenen Herzen: „Ihr seid mit mir gegangen,
Fremder, auf dieſem bitteren Gang, Ihr Jollt wissen, wie alles kam. Das
Unheil begann, als die dort" ~ er ballte die Fauſt gegen das in der Ferne
ſichtbare Dach ſeines Hauſes + „in unser Haus kam. Die hat mich umgarnt,
umſtrickt mit ihren ſchwarzen, ſündhaften Augen. Darüber habe ich Weib,
Kind und Pflicht vergeſſen. Es war wie eine fremde Macht in mir, über
mir. Hier auf dieſer Wieſe haben wir geheuet + mein Weib blieb immer
im Hauſe. Und hier hat mich der Teufel gefangen. Das erſte Mal dann
kam ich nicht mehr los. Immer wieder, immer wieder! Mein Weib hat-
es geahnt, dann gewußzt. Man heuet nicht in finſterer Nacht auf dem Moor.
Sie hat es mir auf den Kopf zugesagt . ich habe es ihr geſtanden. Und sie
hat mir verziehen. Aber die Polin war ſtärker. Das nächſte Mal war ich
wieder in ihren Klauen. Nachts um zwölf sind wir heimgekehrt. So ging
das tagelang. Da hat mich die Gertrud ſuchen wollen, mich heimholen
und hat den Weg nicht gewußt, den einzigen Weg, der durch das Moor
führt. Ihr habt das Kreuzlein geſehen + ich habe es dort gesetzt, wo ſie
verſunken iſt. Wir beide hörten ihren Todesschrei über das Moor gellen.
Ja, wäre ich damals stark gewesen und hätte die Bronislawa aus dem
Hauſe gejagt, dann wäre mir das Kind geblieben. Aber Jie tat mit mir,
was sie wollte. Und sie wollte Bäuerin werden.
„Dentet, Herr, von jener Nacht an, da ich ihr das versprach, erschien das
Licht auf dem Moor. Das Kind war mein alles, aber die Bronislawa war
böſe zu ihm. Und da hat es die Gertrud in ihren Frieden gerufen. So kam
das, Herr, durch meine Sünde!"
Er senkte das Haupt auf die Bruſt, und Tränen rannen ihm leiſe über
die braunen Wangen.
Es war vollends Tag geworden. Die Sonne ging kalt und groß aus den
Wolken empor, und im Moore begann das Jubilieren der erwachten Vögel.
Der Bauer erhob ſich langſam, und ein harter, wilder Trotzlag auf seinem
Geſichte. „Kehren wir heim, Herr. Ich bin nun allein, und auch Ihr geht
Eure Straße weiter. Ich werde jetzt einſam ſein - darf darübernicht klagen.
Aber mein Haus will ich vorher ſauber machen.“
Er ſchritt dem Studenten voran auf dem ſchmalen Wege durch den
Sumpf, an dem armseligen Kreuze vorbei, darunter das Glück dieses
Mannes im tiefen Schlammgrabe des Moores ruhte.
Rettung der Kren;zſpinne / Stizze von Fritz Sänger
liſabeth ſaß am Ufer eines Baches und beobachtete Fiſche, Wasser-
ſchlangen, Kaulquappen, Süßwaſſerſchildkröten - ~ das heißt, ſie
wollte das alles beobachten, vorläufig hatte ſich von diesem ganzen Pro-
gramm noch keine einzige Nummer sehen lassen. Sie war eines von jenen
großen, ſtarken Menſchentindern, die versſonnen in die Welt blicken und
warten können. Beides tat ſie auch jetzt. Auf dem luftklaren Wasserspiegel
lag das Bild von Gras und Blumen, hinten war Wald und darüber ein
blauer Himmel mit einem feinen Rot.
Während Eliſabeth darüber nachdachte, wie unsagbarſchön das alles war,
tam eine Kreuzſpinne mitten durch dieſes Bild geſchwommen.
Sie zappelte hilflos, ungeschickt, und Eliſabeth meinte, daß ie leiſe seufze.
Ohne ſich lange zu beſinnen, grifs ſie nach dem Insekt. Ihr Arm war nicht
lang genug, Jie angelte mit einem Grashalm, aber die Spinne ſchien be-
reits ſo weit zu ſein, daß; ſie die gutgemeinte Hilfsaktion nicht mehr unter-
ſtützen konnte.
Nun war es eigentlich nicht mehr die Kreuzſpinne, um die es ging, son-
dern Eliſabeth hatte ſich etwas vorgenommen, und das mußztte auch durch-
gesührt werden. Al alles nichts nützte, slieg sie in den Bach und rettete
die Spinne.
Sie ſetzte ſich ans Ufer und ließ das Tier, das ſich an der Sonne des
neugewonnenen Lebens freute, über
dafür iſt man Gottes Geschöpf, daß man dulden und lieben lernt, du Ca-
naille !“ Eine leichte Röte kam in Eliſabeths Gesicht, und auf der Stirn
trat die eine feine Ader in ſchwach dunkleren Andeutungen hervor.
„Es iſt nicht nur UnTinn, daz ich dich gerettet habe, ich kann mich dabei
noch erkälten, ſondern ein blöder Eingriff in das Widerſpiel der Natur, die
dich deinem verdienten Schicksal überlassen hätte. Meinſt du etwa, ich bilde
mir auf eine ſolche Heldentat etwas ein? Übrigens habe ich es überhaupt
wegen mir und nicht wegen dir getan, das iſt eben die ſchwache Seite an
mir, daß ich niemanden leiden ſehen kann. Was hab' ich doch deswegen ſchon
für Unsinn in meinem Leben gemacht! Aber wart’, einmal muß Schluß
sein. Jawohl, einmal muß Schluß sein!“
Eliſabeth krampfte die Hand zu einer Fauſt zuſammen, und wer sie
kannte, wußte, daß eben jetzt der Augenblick gekommen war, in dem man
nicht mit ihr ſpaßen konnte.
Auch die Spinne erfuhr das. Che sie ſich davonmachen konnte, flog Jie
in großem Bogen wieder mitten in den Bach hinein.
„Dal!“ sagte Eliſabeth halblaut.
Die Spinne trieb hilflos auf dem klaren Wasser, und das Menſschenkind
warf den Kopf zurück und sah, wie eben hinter dem Walde ein weißes
Wölkchen an dem blitziblauen Himmel hochſchwebte.
Auf einmal ſenkte es den Kopf und
die Handſpazieren. Dankbar treichelte EN]
es die weißen Finger, und Eliſabethhe. [S > e W
gann mit ihm zuſprechen: „Eigentlich V
ſeid ihr ſchauderhafte Viecher. Es gibt
nichts Gräßlicheres als euch Spinnen."
Die Spinnebliebstehen, horchte auf.
„Man Jollte euch die Nächstenliebe
dadurch beibringen, daß man euch bei
ſolcher Gelegenheit zappeln läßt und
d eettrinten. Nattrlich. Ich wüßte
nicht, warum man anders mit euch
verfahren müßte. Gibt es etwas Ge-
meineres, als ſein ganzes Leben seine
ganze raffinierte Geſchicklichkeit dazu
zu verwenden, Netze für andere zu
ſpinnen? Nur keine niederträchtige
Ausrede: Du ſseieſt zum Raubtier be-
ſtimmt, das nützt beimir nichts, meine
Liebe ! Auch der Menſch iſtzum Raub-
tier beſtimmt, es gibt ja auch gerade
genug Exemplare, die das mit Erfolg
immer wieder beweiſen. Meinſt du
etwa, daß ich nicht auch manchmal Luſt
und Neigung hätte, den oder jenen
Teufel um die Ecke zu bringen? Aber
ſuchtemit den Augennach der Spinne,
gerade ſah es noch einen Puntt in
etwa zehn Schritt Entfernung.
Dort wird ja der Bach immer tie-
fer, dachte das Menſchentind, und ein
Entsetzen faßte ſeine Seele, dort iſt
er mindeſtens ein Meter tief. Das
Menſchenkind ſprang auf und rannte
der Spinne nach.
Es sah ſie ganz in der Mitte treiben,
hilflos, und es meinte Jie leiſe weinen
zu hören. Ohne Jich zu beſinnen, ging
es mitten in den Bach und rettete die
Spinne, obwohl das Wasſer dort wirk-
lich ein Meter ties war. Es legte
die Spinne voroichtig auf das weiche
Gras und ging davon, ſstampfte ein-
mal auf die Erde, über ſich ſelber er-
boſt, und stieß die Worte hervor: „Ich
bin doch wirklich zu dumm und zu
kleinlich !“
Es hatte noch immer nicht begrif-
fen, daß es eben einmal ganz groß
J| und in höherem Sinne ganz, ganz
gescheit gewesen war.
Da s B u ch f ür Y 11e
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einen verzweifelten Schritt auf die tückiſche Rasenfläche machen wollte.
Etliche Minuten furchtbarer Spannung vergingen, dann richtete ſich die
Geſtalt des Bauern wieder auf. Ein harter, eiſerner Wille ſtählte seine Züge.
„Allein! Jett bin ich allein!“ sagte er endlich mit furchtbarer Ruhe.
Mit jähem Entſchluß wandte er Jich. „Kommt, Herr! Wir wollen zur
Wiese. Ich kann jetzt noch nicht ins Haus zurück zu der . .. !“
Er rief dem zögernden Hunde, der mit einem letzten, erſchütternd weh-
vollen Aufheulen von dem Grabe ſeiner kleinen Herrin Ahſchied nahm, und
ſchritt den Weg weiter.
Nach etwa drei Minuten wurde der Boden feſter, eine gemähte Wiese
lag da, auf der etliche Heuſchober plump und ungefügig aus der Nacht in
das Licht der Laterne ſprangen. Auch ein Bänkchen stand dort. Auf ihm
ließ ſich der Bauer niederund bedeutete dem Studenten, ein Gleiches zu tun.
Zaghaft und langſam begann es zu tagen. Über das Moor legte ſich ein
feiner Schleier grauweiß und hauchzart. Der Oſten begann zu brennen.
Feurige Streifen liefen wie Straßen durch die dort lagernde Wolkenbank.
Der Sturm ließ nach, ſein großes, machtvolles Rauſchen verklang allmäh-
lich in der ungeheuren Weite der ebenen Fläche.
Da begann der Bauer unvernittelt, jäh ausbrechend, als stürzten ihm
die Worte aus dem leidbeladenen Herzen: „Ihr seid mit mir gegangen,
Fremder, auf dieſem bitteren Gang, Ihr Jollt wissen, wie alles kam. Das
Unheil begann, als die dort" ~ er ballte die Fauſt gegen das in der Ferne
ſichtbare Dach ſeines Hauſes + „in unser Haus kam. Die hat mich umgarnt,
umſtrickt mit ihren ſchwarzen, ſündhaften Augen. Darüber habe ich Weib,
Kind und Pflicht vergeſſen. Es war wie eine fremde Macht in mir, über
mir. Hier auf dieſer Wieſe haben wir geheuet + mein Weib blieb immer
im Hauſe. Und hier hat mich der Teufel gefangen. Das erſte Mal dann
kam ich nicht mehr los. Immer wieder, immer wieder! Mein Weib hat-
es geahnt, dann gewußzt. Man heuet nicht in finſterer Nacht auf dem Moor.
Sie hat es mir auf den Kopf zugesagt . ich habe es ihr geſtanden. Und sie
hat mir verziehen. Aber die Polin war ſtärker. Das nächſte Mal war ich
wieder in ihren Klauen. Nachts um zwölf sind wir heimgekehrt. So ging
das tagelang. Da hat mich die Gertrud ſuchen wollen, mich heimholen
und hat den Weg nicht gewußt, den einzigen Weg, der durch das Moor
führt. Ihr habt das Kreuzlein geſehen + ich habe es dort gesetzt, wo ſie
verſunken iſt. Wir beide hörten ihren Todesschrei über das Moor gellen.
Ja, wäre ich damals stark gewesen und hätte die Bronislawa aus dem
Hauſe gejagt, dann wäre mir das Kind geblieben. Aber Jie tat mit mir,
was sie wollte. Und sie wollte Bäuerin werden.
„Dentet, Herr, von jener Nacht an, da ich ihr das versprach, erschien das
Licht auf dem Moor. Das Kind war mein alles, aber die Bronislawa war
böſe zu ihm. Und da hat es die Gertrud in ihren Frieden gerufen. So kam
das, Herr, durch meine Sünde!"
Er senkte das Haupt auf die Bruſt, und Tränen rannen ihm leiſe über
die braunen Wangen.
Es war vollends Tag geworden. Die Sonne ging kalt und groß aus den
Wolken empor, und im Moore begann das Jubilieren der erwachten Vögel.
Der Bauer erhob ſich langſam, und ein harter, wilder Trotzlag auf seinem
Geſichte. „Kehren wir heim, Herr. Ich bin nun allein, und auch Ihr geht
Eure Straße weiter. Ich werde jetzt einſam ſein - darf darübernicht klagen.
Aber mein Haus will ich vorher ſauber machen.“
Er ſchritt dem Studenten voran auf dem ſchmalen Wege durch den
Sumpf, an dem armseligen Kreuze vorbei, darunter das Glück dieses
Mannes im tiefen Schlammgrabe des Moores ruhte.
Rettung der Kren;zſpinne / Stizze von Fritz Sänger
liſabeth ſaß am Ufer eines Baches und beobachtete Fiſche, Wasser-
ſchlangen, Kaulquappen, Süßwaſſerſchildkröten - ~ das heißt, ſie
wollte das alles beobachten, vorläufig hatte ſich von diesem ganzen Pro-
gramm noch keine einzige Nummer sehen lassen. Sie war eines von jenen
großen, ſtarken Menſchentindern, die versſonnen in die Welt blicken und
warten können. Beides tat ſie auch jetzt. Auf dem luftklaren Wasserspiegel
lag das Bild von Gras und Blumen, hinten war Wald und darüber ein
blauer Himmel mit einem feinen Rot.
Während Eliſabeth darüber nachdachte, wie unsagbarſchön das alles war,
tam eine Kreuzſpinne mitten durch dieſes Bild geſchwommen.
Sie zappelte hilflos, ungeschickt, und Eliſabeth meinte, daß ie leiſe seufze.
Ohne ſich lange zu beſinnen, grifs ſie nach dem Insekt. Ihr Arm war nicht
lang genug, Jie angelte mit einem Grashalm, aber die Spinne ſchien be-
reits ſo weit zu ſein, daß; ſie die gutgemeinte Hilfsaktion nicht mehr unter-
ſtützen konnte.
Nun war es eigentlich nicht mehr die Kreuzſpinne, um die es ging, son-
dern Eliſabeth hatte ſich etwas vorgenommen, und das mußztte auch durch-
gesührt werden. Al alles nichts nützte, slieg sie in den Bach und rettete
die Spinne.
Sie ſetzte ſich ans Ufer und ließ das Tier, das ſich an der Sonne des
neugewonnenen Lebens freute, über
dafür iſt man Gottes Geschöpf, daß man dulden und lieben lernt, du Ca-
naille !“ Eine leichte Röte kam in Eliſabeths Gesicht, und auf der Stirn
trat die eine feine Ader in ſchwach dunkleren Andeutungen hervor.
„Es iſt nicht nur UnTinn, daz ich dich gerettet habe, ich kann mich dabei
noch erkälten, ſondern ein blöder Eingriff in das Widerſpiel der Natur, die
dich deinem verdienten Schicksal überlassen hätte. Meinſt du etwa, ich bilde
mir auf eine ſolche Heldentat etwas ein? Übrigens habe ich es überhaupt
wegen mir und nicht wegen dir getan, das iſt eben die ſchwache Seite an
mir, daß ich niemanden leiden ſehen kann. Was hab' ich doch deswegen ſchon
für Unsinn in meinem Leben gemacht! Aber wart’, einmal muß Schluß
sein. Jawohl, einmal muß Schluß sein!“
Eliſabeth krampfte die Hand zu einer Fauſt zuſammen, und wer sie
kannte, wußte, daß eben jetzt der Augenblick gekommen war, in dem man
nicht mit ihr ſpaßen konnte.
Auch die Spinne erfuhr das. Che sie ſich davonmachen konnte, flog Jie
in großem Bogen wieder mitten in den Bach hinein.
„Dal!“ sagte Eliſabeth halblaut.
Die Spinne trieb hilflos auf dem klaren Wasser, und das Menſschenkind
warf den Kopf zurück und sah, wie eben hinter dem Walde ein weißes
Wölkchen an dem blitziblauen Himmel hochſchwebte.
Auf einmal ſenkte es den Kopf und
die Handſpazieren. Dankbar treichelte EN]
es die weißen Finger, und Eliſabethhe. [S > e W
gann mit ihm zuſprechen: „Eigentlich V
ſeid ihr ſchauderhafte Viecher. Es gibt
nichts Gräßlicheres als euch Spinnen."
Die Spinnebliebstehen, horchte auf.
„Man Jollte euch die Nächstenliebe
dadurch beibringen, daß man euch bei
ſolcher Gelegenheit zappeln läßt und
d eettrinten. Nattrlich. Ich wüßte
nicht, warum man anders mit euch
verfahren müßte. Gibt es etwas Ge-
meineres, als ſein ganzes Leben seine
ganze raffinierte Geſchicklichkeit dazu
zu verwenden, Netze für andere zu
ſpinnen? Nur keine niederträchtige
Ausrede: Du ſseieſt zum Raubtier be-
ſtimmt, das nützt beimir nichts, meine
Liebe ! Auch der Menſch iſtzum Raub-
tier beſtimmt, es gibt ja auch gerade
genug Exemplare, die das mit Erfolg
immer wieder beweiſen. Meinſt du
etwa, daß ich nicht auch manchmal Luſt
und Neigung hätte, den oder jenen
Teufel um die Ecke zu bringen? Aber
ſuchtemit den Augennach der Spinne,
gerade ſah es noch einen Puntt in
etwa zehn Schritt Entfernung.
Dort wird ja der Bach immer tie-
fer, dachte das Menſchentind, und ein
Entsetzen faßte ſeine Seele, dort iſt
er mindeſtens ein Meter tief. Das
Menſchenkind ſprang auf und rannte
der Spinne nach.
Es sah ſie ganz in der Mitte treiben,
hilflos, und es meinte Jie leiſe weinen
zu hören. Ohne Jich zu beſinnen, ging
es mitten in den Bach und rettete die
Spinne, obwohl das Wasſer dort wirk-
lich ein Meter ties war. Es legte
die Spinne voroichtig auf das weiche
Gras und ging davon, ſstampfte ein-
mal auf die Erde, über ſich ſelber er-
boſt, und stieß die Worte hervor: „Ich
bin doch wirklich zu dumm und zu
kleinlich !“
Es hatte noch immer nicht begrif-
fen, daß es eben einmal ganz groß
J| und in höherem Sinne ganz, ganz
gescheit gewesen war.