H e ft 26
Da s B uch fär All.e
605
Morgenſtunde auf dem Grat: Uber Tal und Nebeln / Nach einer Aufnahme von Walther Flaig
Bergfkahrers Freuden und Leiden / Von Walther Flaig
ergnarren!" hat meine gute ſelige Großmutter geſchimpft, wenn die
Enkelbuben mit Sack und Pack, beladen wie die Packeſel, mit Eispickeln
undBergſtiefelnklapperndloszogen.
Und wir? Nun ~ unsere Herzen
klopften wie selten vorher. Der her-
zensgute Onkel Hans war unser
Schulmeiſter der Berge, den wir
himmelhoch über alle anderen
Schulmeiſter stellten, denn er ver-
ſtand es, einem das Herz warm zu
machen, daßdie abgeſchabten,, Berg-
kittel' zu eng wurden und zu heiß.
Was waren uns damals die Lei-
den des Bergfahrers? Nichts! Mir
waren jung und ſtark.
Was ſcherten uns die efstten
der Berge? Einen Pfifferling! Wir
kannten Jie nicht.
Wir waren aber auch vonſichtig,
und unser Schulmeiſter verſtand es,
die Schwierigkeiten imrechten Maße
zu ſteigern. Wir gingen jahrelang in
die Berge, bis wir in die Eisgebirge
eindringen durften. Und auch dann
galt es erſt den zahmeren. Alles
' mit Maß.
Heute iſt das anders. Heute Jieht
man Wandervögel in Sandalen auf
den ,„Dreitauſendern“ herumſteigen
als erſte Bergfahrten ! Ohne Aus-
rüſtung ~ von Erfahrung gar nicht
zu reden. Das iſt frevelhaft und
ſchadet dem guten Rufe der edelſten
freiwilligenkörperlichen Betätigung,
dem herrlichen Bergſteigen.
Nicht als ob wir nicht auch dumme
Streiche gemacht hätten. Beileibe
nicht. Aber ein ganz klein wenig ſtolz
ſind wir doch darauf, daß wir immer
mit Vorbedacht und Überlegung
drangingen,wenngleich unſerWissen
nicht immer ausreichte.
Oh = ich weiß es noch gut: als
ſiebzehn-, achtzehn-, neunzehnjäh-
26. 1926
Das Tor im Grat / Nach einer Aufnahme von Walther Flaig
rige Burschen hatten wir beſte Eispickel von Entreſßz, Seile von Schwaiger
und Steigeiſen von Hafner. Wir ſparten und waren dieſen Dingen zulieb
geizig wie Hamſterer. Na —~ und
troßdem mußten wir mit manchem
Wageſtückchen und dummen Streich
das Lehrgeld zahlen, das keinem er-
ſpart bleibt, der's zu etwas bringen
will. Ein paarmal ging's hart am
Leben herunter. Aber das iſt ja ge-
rade das Wertvolle, daß man ſich
ſelbſt und sein Leben dann und
wann erſtreiten muß.
Einmal stieg ich im Spätherbſt
ganz allein von der Memminger
Hütte in den Lechtaler Alpen an den
lieblichen Seewiesen vorbei hinauf
zum Gatſchkopf. Es lag unheimlich
viel Neuschnee, es war halt ſpät im
Herbſt. Da weicht er nicht mehr so
ſchnell. Als ich den mir wohlvertrau-
ten Spiehlerwegin den Nordhängen
des Gatſchtopfes von der „Weg-
ſcharte" aus verfolgen wollte mit
den Augen zunächſt, da traute ich
diesen Augen nicht: die ganze Wand
war eine steile Schneewand! Seit
bald drei Wochen war kein Menſch
dahinüber. Aber ich wollte nunmal
dahinauf . mit der ganzen Härte
meines alemanniſchen Dickſchädels
wollte ich dahinauf. Vom Weg,
von den Drahtseilen war kaum eine
Spur zu erkennen!
Drei Viertel der Wand hatte ich
erſtiegen, inharter Arbeit gewonnen.
Aber das Schlimmſte kam noch.
Das bisher leidliche Wetter ſchlug
nämlich um. + Plötzlich pfiff mir
ein eiskalter Wind von der hoch
überwächteten Patrolſcharte ent-
gegen, und es ſchoſſen bisher durch
die mächtige Paſsseierſpitze verſteckt
— graue Wetterwolken her. Es
graupelte ſtark. Das wäre nicht ſo
Da s B uch fär All.e
605
Morgenſtunde auf dem Grat: Uber Tal und Nebeln / Nach einer Aufnahme von Walther Flaig
Bergfkahrers Freuden und Leiden / Von Walther Flaig
ergnarren!" hat meine gute ſelige Großmutter geſchimpft, wenn die
Enkelbuben mit Sack und Pack, beladen wie die Packeſel, mit Eispickeln
undBergſtiefelnklapperndloszogen.
Und wir? Nun ~ unsere Herzen
klopften wie selten vorher. Der her-
zensgute Onkel Hans war unser
Schulmeiſter der Berge, den wir
himmelhoch über alle anderen
Schulmeiſter stellten, denn er ver-
ſtand es, einem das Herz warm zu
machen, daßdie abgeſchabten,, Berg-
kittel' zu eng wurden und zu heiß.
Was waren uns damals die Lei-
den des Bergfahrers? Nichts! Mir
waren jung und ſtark.
Was ſcherten uns die efstten
der Berge? Einen Pfifferling! Wir
kannten Jie nicht.
Wir waren aber auch vonſichtig,
und unser Schulmeiſter verſtand es,
die Schwierigkeiten imrechten Maße
zu ſteigern. Wir gingen jahrelang in
die Berge, bis wir in die Eisgebirge
eindringen durften. Und auch dann
galt es erſt den zahmeren. Alles
' mit Maß.
Heute iſt das anders. Heute Jieht
man Wandervögel in Sandalen auf
den ,„Dreitauſendern“ herumſteigen
als erſte Bergfahrten ! Ohne Aus-
rüſtung ~ von Erfahrung gar nicht
zu reden. Das iſt frevelhaft und
ſchadet dem guten Rufe der edelſten
freiwilligenkörperlichen Betätigung,
dem herrlichen Bergſteigen.
Nicht als ob wir nicht auch dumme
Streiche gemacht hätten. Beileibe
nicht. Aber ein ganz klein wenig ſtolz
ſind wir doch darauf, daß wir immer
mit Vorbedacht und Überlegung
drangingen,wenngleich unſerWissen
nicht immer ausreichte.
Oh = ich weiß es noch gut: als
ſiebzehn-, achtzehn-, neunzehnjäh-
26. 1926
Das Tor im Grat / Nach einer Aufnahme von Walther Flaig
rige Burschen hatten wir beſte Eispickel von Entreſßz, Seile von Schwaiger
und Steigeiſen von Hafner. Wir ſparten und waren dieſen Dingen zulieb
geizig wie Hamſterer. Na —~ und
troßdem mußten wir mit manchem
Wageſtückchen und dummen Streich
das Lehrgeld zahlen, das keinem er-
ſpart bleibt, der's zu etwas bringen
will. Ein paarmal ging's hart am
Leben herunter. Aber das iſt ja ge-
rade das Wertvolle, daß man ſich
ſelbſt und sein Leben dann und
wann erſtreiten muß.
Einmal stieg ich im Spätherbſt
ganz allein von der Memminger
Hütte in den Lechtaler Alpen an den
lieblichen Seewiesen vorbei hinauf
zum Gatſchkopf. Es lag unheimlich
viel Neuschnee, es war halt ſpät im
Herbſt. Da weicht er nicht mehr so
ſchnell. Als ich den mir wohlvertrau-
ten Spiehlerwegin den Nordhängen
des Gatſchtopfes von der „Weg-
ſcharte" aus verfolgen wollte mit
den Augen zunächſt, da traute ich
diesen Augen nicht: die ganze Wand
war eine steile Schneewand! Seit
bald drei Wochen war kein Menſch
dahinüber. Aber ich wollte nunmal
dahinauf . mit der ganzen Härte
meines alemanniſchen Dickſchädels
wollte ich dahinauf. Vom Weg,
von den Drahtseilen war kaum eine
Spur zu erkennen!
Drei Viertel der Wand hatte ich
erſtiegen, inharter Arbeit gewonnen.
Aber das Schlimmſte kam noch.
Das bisher leidliche Wetter ſchlug
nämlich um. + Plötzlich pfiff mir
ein eiskalter Wind von der hoch
überwächteten Patrolſcharte ent-
gegen, und es ſchoſſen bisher durch
die mächtige Paſsseierſpitze verſteckt
— graue Wetterwolken her. Es
graupelte ſtark. Das wäre nicht ſo