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Heſt 16

Da s B uch f ü r Ulle

Ö 1 I















Elefantenbad / Cine Aufnahme aus der Wildnis von Ewing Galloway

Zeit am Wege nach Tabora angeſponnen. Er war überhaupt nach und nach
eine landbekannte Persönlichkeit geworden. Man rechnete es sich zur Ehre,
ihn zum Ugali (+ Maisſtampf) oder zu einem Krug friſchen Hirsebiers ein-
laden zu dürfen. Jedes Kind kannte den Missionsboten. Und um ein Nacht-
quartier brauchte er nirgends lange zu bitten.

In der Tat, Mpilingita war die Perle aller Landbriefträger. Das wußte
er ſelbſt. Er hielt ſich geradezu für unentbehrlich und unersetzlich. Eines
Abends, als er ſoeben müde von seinem Sechzigkilometermarsſch zurückge-
kehrt war und hörte, daß ich für den nächſten Morgen einen Eilboten für
Tabora ſuchte, überlegte er nur einen Augenblick, ſpuckte dann energisch
zur Seite und sagte: „Tayari bwana ! Da muz ich ſchon ſelber gehen, denn
die dummen Buſchneger hier wissen doch nicht, wie man ſich bei den
großen Herren in der Stadt benimmt, und machen alles verkehrt."

Sollten die Neger von Uoke später einmal, wenn die große afrikanische
Republik zuſtande gekommen iſt, einen Sportverein gründen, dann werden
ſie, das hoffe ich beſtimmt, Mpilingita noch nachträglich zum dauernden
Ehrenmitglied ernennen.

Uber seine besonderen Rekordleiſtungen im Dauermarsch habe ich leider
kein Buch geführt. Schade! Aber eine werde ich nie vergeſſen. Es war am
6. Auguſt 1914. Die Poſt war fällig. Wir saßen auf der Veranda mit dem
wundervollen, weiten Blick auf die blauen Berge am nördlichen Horizont.
Dahinter, in unſichtbarer Ferne, lag das alte Europa. Von den Bergen
ſtiegen ſchwere Rauchſchwaden auf. Dort brannten, wie alljährlich, die
weiten Grasſteppen. + Plötzlich biegt unser Bote in ſonderbarer Haſt um
den Bergvorſprung. Und wie er uns erblickt, fuchtelt er aufgeregt mit

seinem langen Spieß in der Luft herum und brüllt ein Mal übers andere:
„Matschimu! Matſchimu!“ (2 Speere! Speere !). Was hat er nur? denke
ich. Sollte er etwa wieder . . .? Da kommt er auch ſchon durch das Hoftor
geſtürzt und ruft mit letzter Anstrengung: „Matschimu galivuka !“ (= die
Speere erheben Jich). Mit fliegenden Händen löſt er den Poſtſack von der
Tragsîtange, und nun lesen wir die lezten Telegramme, leſen immer wieder
wie im Traum: Mobilmachung, Kriegserklärung, Einmarſch . . . Mpilingita
hat sich erſchöpft auf die Treppe niedergelassen und betrachtet uns mit
gespannter Aufmerksamkeit. Nie habe ich ihn so geſehen: eine ſeltſame
Mischung von Ernſt und Triumph. Kein Wunder. Er hatte den über ſechzig
Kilometer langen Weg heute in kaum neun Stunden zurückgelegt.

Der Postbote von Usoke hat ſich inzwischen in den wohlverdienten Ruhe-
ſtand zurückgezogen und lebt nun von seinem Ersparten. Ruhegehälter ſind
ja in Afrika noch nicht Mode. Aber der Beruf eines Landbriefträgers kann
doch recht einträglich sein. Als Mpilingita seine Botenlaufbahn begann,
war er nur ein kleiner, unſcheinbarer Dorfbesitzzer, der nur ein Weib und
fünf Ziegen sein eigen nannte. Heute besitzt er eine ſtattliche Rinderherde,
und zwei Weiber kochen ihm abwechselnd seinen täglichen Maisſtampf.
Seine einzige Sorge gilt nur noch ſeinem Tabakffeld, das er ſich unterhalb
seines Dorfes auf einem Termitenhügel angelegt hat. Und auch hier hat
er eine merkwürdig glückliche Hand. Nirgends werden die Stauden ſo
groß und die Blätter so breit wie bei ihm. Wenn die Nachbarn behaupten,
er müsse einen besonders kräftigen Tabakzauber besitzen, dann kichert er
nur vergnügt in sich hinein. Daß er sich einmal von einem Griechen guten
europäiſchen Tabakſamen besorgte, das erzählt der Schlaumeier niemand.
 
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