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HF§:i' 15







Phot. Cdward Elven

Junge Malaiinnen. Die malaiisſchen Frauen ſind intelligent, tâtig und fleißig; sie sind großer Ergebenheit,
aber noch stärkeren Haſſes fähig und von ſcheuer, empfänglicher, rachſüchtiger und verräteriſcher Natur

Der Gesang der Puti Orla / Erzählung Gez Ernst Pichnow

§ ake Mora, die kleine Malaiin, ſtellte den Palmenwein auf den Tiſch
her offenen Galerie des Hauſes dicht an die Seite van Gores', der in
der Hängematte lag und den Rauch der Havanna ſchwermütig in die heiße
Luſft blies. Seine Blicke folgten den Bewegungen Take Moras, die Jieb-
zehn Jahre zählte, früh erblüht war, wie alle Kinder der Südſee, und seit
einem Jahre für sein leibliches Wohl in den geſegneten Gefilden Padangs
ſorgte.

„Take, fährſt du noch auf den Fluß?“ fragte ſie van Gores.

Die Malaiin huſchte an seine Seite, ließ ein Lächeln um ihre Lippen
ſpielen und legte die Hände übereinander, so daß die kupfernen und ver-
gokdeten Ringe an ihren Armen zuſamment.irrten.

„Herr ~ Ihr liebt es über unſeren Glauben zu lächeln ~ gewiß fahre
ich auf den Fluß, ich werde so lange dorthin fahren, bis . . ."

Sie brach ängstlich ihren Satz ab, ſah van Gores mit einem Blick an, der
ein tiefes, inneres Empfinden verriet, und wandte ihren Kopf den Wipfeln
der Pinangpalmen zu, die das Haus beſchatteten.

„Take, warum fährst du dorthin? Du bleibſt mir immer die Antwort
auf dieſe Frage schuldig,“ unterbrach der Holländer das Schweigen.

In den Augen des Mädchens ſchimmerte eine Träne.

„Ihr sollt vorher den Glauben anderer Völker wie den Eurigen achten
lernen!“

Die schlichte Mahnung rief in Gores das Gewissen wach. Er faßte die

kleine Hand der Malaiin, die bei ſeiner Berührung ſichtlich erfreut zu

ſammenſchreckte, und ſtreichelte Jie ſanft.
„Take = ich fahre mit dir hinaus, wenn du willst. Es iſt wohl das letzte-
mal, du weißt, meine Tage hier ſind gezählt !“

Der Körper der Malaiin zuckte zuſammen, als empfinge er einen tiefen j

Stich. Dann hob sie den Kopf mit einem eigenartigen Stolz.
„Ich fahre, ehe die Sonne den Rand des Wassers ſtreist“ - sie drehte

sich um und begab sich in das Haus. Hinter der offenen Tür blieb Jie einige
Sekunden stehen. Ihre Augen richteten ſich unverwandt auf Gores. Wie
ein gehetztes Wild rannte Jie hierauf in die unteren Gemächer, kauerte Jich
in den dunkeln Winkel eines Zimmers und ſtarrte entgeiſtert auf den Fuß-
boden. Ihre Lippen bebten und ſtammelten unverständliche Worte in der
Sprache ihres Volkes. h
Das kleine Boot, das ihren Namen Take Mora trug, ſchlängelte ſich durch
das grünlich schillernde Wasser des Padangs. Hohe Pinang- und Kokos-
palmen ragten an den Ufern des Fluſſes, und zwiſchen ihnen ſtanden
Sträucher und Gebüſche mit Tauſenden von Blumen in duftiger und ver.
ſchwenderiſcher Fülle. i
Faſt unhörbar ließ Take Mora das Ruder ins Wasser tauchen. Beide
ſchwiegen. An einer beſtimmten Stelle brachte ſie das Boot zum Stehen,
legte das Ruder aufs Wasser, und van Gores ſah in ihrem Gesicht, in ihren
Augen ein unerklärliches Verzücken aufblühen. Zu gleicher Zeit drang an
sein Ohr das Geheimnis des Padangs. Sie befanden ſich an jener Stelle,
wo das ſüſßze Waſſer und das Meerwasser ſich begegnen. Ein zartes Klingen
ſtieg aus der Tiefe des Fluſſes empor, hohe und tiese Töne, die ſanft und
weich in einer eigenartigen Harmonie zuſammentlangen.
Tate Mora ſtüttte mit dem Arm den Kopf auf die Knie.
Van Gores, der dieſes Geheimnis des Padangs kannte, ergriff eim
wunderbares Empfinden. Der kalte Geſchäſtsgeiſt, der ſonſt ſein Herr war,
ſchwieg, und Herz und Seele begannen zu ſprechen.
„Tate,“ fragte er ſie weich, „willſt du mir nun verraten, warum du immer
zu dieſer Stelle fährſt?“"
„Herr, Ihr lacht über mich!“
Er versprach, ſie ernſt zu nehmen. Sie lehnte an die Brüſtung des Bootes.
„Puti Orla ~ ihr Schmerz, ihre Sehnſucht, Herr ~ klingt an unſer
Ohr. Sie wartet dort unten immer noch, bis Bata Guru Jie zu ſich empor-
 
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