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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 65.1933

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.52834#0617
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ie großen Tieffee-Ebenen Zwischen den Kontinenten sind gewaltige
Stätten des Todes, in denen sich die sterblichen Reste aller Arten
Seegetier mit den unendlich vielen Opfern des Meeres und den Leichen
der Landgeschöpfe, die von den Flüssen ins Meer gespült werden, ver-
mengen. Alles Versunkene, das seit Jahrtausenden dem Meere zum Opfer
fiel, liegt dort unten, zermürbt und Zersetzt, zu einer breiten Schlammdecke
aufgeschichtet, auf welcher der gewaltige Druck des Meerwassers lastet.
Unablässig fällt dieser Schlamm, der aus dem Staube von Millionen
und aber Millionen von großen und kleinen Organismen erzeugt wird,
aus den höhern Regionen wie feiner, grauer Schnee hinab, hüllt alles
gleichmäßig ein und bildet so den allergrößten Friedhof der Erde. Auf ihm
breitet sich nach allen Richtungen hin ein Teppich aus, gewebt aus dem
Staub alles Versunkenen, das den ewigen Todesschlaf schlummert.
Aber auch das währt nur eine gewisse Zeit, wenn auch viele Jahrtausende
darüber vergehen. Wir kennen solche Friedhöfe aus der vorsintflutlichen
Zeit: es sind die mächtigen Kalk- und Schiefergebirge, die einst, als das
Meer noch eine andere Verteilung auf Erden hatte, sich aus dem Meeres-
gründe bildeten. Sie sind emporgestiegen aus ihrer Totengruft, als die
Stunde gekommen war, in welcher ein neues Schöpfungswerk, aus
Schlamm und Kalk gebaut, fertig dastand.
Wir wissen aus den geologischen Forschungen, daß seit Bestehen der
Weltgeschichte eine fortwährende Veränderung und Verschiebung der
Meeresgrenzen stattgefunden hat und daß es keinen Ort auf der Welt gibt,
der nicht schon einmal unter den Meeresfluten begraben lag. liberal! da,
wo jetzt Kalk-, Schiefer- und Sandsteingebirge vorhanden sind, stehen wir
vor stummen Zeugen einer erdgeschichtlichen Epoche, in der das Meer
einst die Gegend beherrschte und sich auf seinem tiefen Grunde die Gebirgs-
formationen unseres heutigen Europas bildeten.
Die Meere sind riesige Kalkwerkstätten, sie überdecken den Boden im
Rollen der Zeiten mit ihrem kalkhaltigen Schlamm, verkitten alle Fugen
und Ritzen der anwachsenden Korallen- und Muschelbänke und backen alles
zu mächtigen Felsblöcken zusammen. Es ist nachgewiesen worden, daß
sich Kalk in den Meeren umso mehr absetzt, je wärmer sie sind, und daß
30 Prozent aller Meere, das heißt über 100 Millionen Quadratkilometer,
mit solchem Kalkschlamm bedeckt sind.
Nach einer Berechnung von Kapitän Collins vom nordamerikanischen
Fischereiuntersuchungsdampfer „Albatros" war im Jahre 1882 der
Seeboden in der Delawarebai auf einer Fläche von 10 000 Quadrat-
kilometer bis zu 2 Meter Höhe mit Leichen von Meerestieren bedeckt.
Neuere Untersuchungen an andern Meeresstellen ergaben noch größere
Resultate. Der ungeheure Meeresreichtum an Tier- und Pflanzenleben
trägt zu diesen Kalkschichtbildungen bei, denn letzten Endes findet alles
einmal seinen Tod und Untergang, wird zur Unkenntlichkeit zersetzt und
aufgelöst und breitet sich wie ein großes Leichentuch, aus kalkhaltigem
Schlamm bestehend, über dem Meeresboden aus.
Es ist bekannt, daß das Wasser umso sauerstoffärmer ist, je wärmer
es ist. Warme Gewässer lassen ein Leben der Fische nicht zu und bilden
für sie eine Gefahrenzone. So findet zum Beispiel an den Stellen, an
denen der Golfstrom die kalten Meereszonen durchschneidet, ein ununter-
brochenes Massensterben von Fischen statt, die das Leben in frischen

Gewässern gewohnt sind. Unausgesetzt regnet es dort tote Fische auf den
Meeresboden, und so entstehen mit der Zeit jene gewaltigen Friedhöfe
des Meeres, die der kalkhaltige Schlamm zu mächtigen Kalkbänken formt.
Diese Unmassen von Meeresleichen machen keinen Fäulnisprozeß
durch, sondern sie zerfallen und tragen zur Schaffung mineralischer Neu-
bildungen (Erdöl) bei, die reichen Gehalt an phosphoreszierendem Kalk
aufweisen.
Nun ist ja der Meeresboden keineswegs eine ebene Fläche, sondern un-
geheuer zerklüftet. Es gibt Meeresstellen, die tiefer sind, als der Mount
Everest hoch ist, und es gibt Gegenden, in denen der Meeresboden durch
unterseeische Beben fortwährenden Umwälzungen unterworfen ist. In
solchen Hexenkesseln hebt und senkt sich der Meeresboden wie ein gärender
Hefeteig. In der Gegend Zwischen den Azoren und den Neufundland-
bänken östlich von Neuyork, wo im Jahre 1832 rund 200 Meter Tiefe
gemessen wurden, lotete man im Jahre 1858 rund 5000 Meter,- einige
Jahre später stellte man die dortige Meerestiefe wieder nur mit 160 bis
200 Meter fest, und eine noch spätere Lotung eines englischen Kriegs-
schiffes fand bei über 3000 Meter noch keinen Grund. Aber kaum hatte
man dieses letzte Meßergebnis auf der Seekarte vermerkt, da mußte es
schon wieder geändert werden, weil bald darauf ein anderes Schiff wieder
nur knapp 150 Meter an jener Meeresstelle gemessen hatte.
Das Gesamtbild des Meeresbodens ist eine phantastische Welt steil auf-
ragender Felsenspitzen und gewaltiger Höhenzüge, tiefer Schluchten und
Senkkessel, Erdbebenrisse und Kraterwälle, wie sie uns in der Gebirgs-
landschaft des Mondes im Fernrohr vor Augen tritt. Nie aber wird es
den Augen des Forschers vergönnt sein, in jene finstern Meerestiefen
hinabzublicken, die voller Geheimnisse und Rätsel sind. Mit unfern moder-
nen Tauchapparaten erreichen wir nur eine Tiefe von 300 bis 400 Meter,
denn einen größern Wasserdruck halten die Apparate nicht aus. Taucher
haben berichtet, daß bis zu 200 Meter Tiefe der Lichtschein der Sonne noch
das Wasser durchdringt, und daß dort die Tiefseedämmerung beginnt.
Weiter unten aber herrsche absolute Dunkelheit.
Umso erstaunlicher ist die Feststellung, daß in Meerestiefen von 1500
bis 2000 Meter noch Leben zu finden ist. Die neuern Tiefseeforschungen
haben erwiesen, daß in solchen Meerestiefen, in die bisher kein Forscher-
auge gedrungen ist, noch ein reich gestaltetes Leben von Geschöpfen herrscht,
deren Anpassungsfähigkeit an die Lichtlosigkeit und die eigenartigen
Wasserdruckverhältnisse erstaunlich ist. Von den Aalen wird sogar behauptet,
daß ihre Laichgründe in dem Sargassomeer genannten Teil des Atlantischen
Ozeans in einer Tiefe von 5000 bis 6000 Meter liegen. Mit unfaßbarer
Sicherheit finden diese Tiere ihren Weg dorthin, und wie lange ihre Reise
bis auf die 6000 Meter tiefen Gründe des Meeres dauert, ist völlig un-
bekannt. Man veranschlagt sie auf mindestens ein Jahr. Die reifen Eier
und die aus ihnen schlüpfenden jüngsten Stadien des Aales kennt man noch
nicht,- erst die größern, in der Form weidenblattähnlichen Larven sind
bekannt. Sie steigen aus der Tiefe empor und konnten mit feinen Netzen
wiederholt in einiger Menge im Gebiet des Sargassomeeres bis zu den
Bermudainseln gefangen werden. Sie sind durchsichtig wie das Wasser
selbst, und hieraus erklärt sich wohl auch, daß sie dem gewaltigen Druck des
Wassers standhalten können, weil sie ihm kaum einen Widerstand bieten.
 
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