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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 65.1933

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.52834#0620
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aum hatte sich nach der Deutschstunde hinter dem Lehrer die Klassen-
tür geschlossen, so stürzten alle Jungens gleichzeitig auf einen derben
Bengel los: „Weiter, Walter, los! Du wolltest doch was vom »Paysaiü
erzählen!" Seitdem die Quarta vor einigen Wochen mit Französisch an-
gefangen hatte, wurde Studienrat Bauer, der Klassenlehrer, „Paysan"
genannt.
„Na ja", sagte Walter Gerner, „ich hab>s doch selbst gesehen; in der
Georgstraße hat er sich einen großen Strauß Veilchen gekauft, und dann
hat er sie in die Tasche gesteckt, also sollte es keiner sehen. Menschenkinder,
das ist ja urfidel!" schrie er in den Kreis der Kameraden hinein. Und dann
ging's los: „Hat er sicher für ein Mädel gekauft!" „Für seine Flamme!"
„Nee, für Direrens Widewitt!" flötete einer der Schlingel mit erkünstelt
hoher Fistelstimme, worauf die Bande in ein wieherndes Gelächter aus-
brach, denn „Widewitt" war der Spitzname für das auffallend häßliche,
ältliche Tippfräulein des Direktors. „Und von unserm ,Paysan* — steckt
Widewitt sich Veilchen an", sang jetzt einer der Ausgelassenen; sofort er-
klang dieser Zweizeiler aus dreißig übermütigen Jungenskehlen.
Jetzt verschaffte sich ein hübscher, blonder Knabe, Kurt Ehlers, Gehör:
„Wißt ihr, eben fällt mir etwas ein: ob er sie wohl für seine Mutter
zum Muttertag gekauft hat?" Ein johlendes Lachen zeigte, daß man
diese Idee vollkommen unmöglich sand. Muttertag! Das war nur etwas
für die Kleinen! Aber für zwölf-, ja dreizehnjährige Quartaner! „Hast
wohl selbst vor, Muttern einen Strauß zu pflücken, Kurtchen? Mach aber
auch einen hübschen Knicks, und dann sagste ein Gedicht auf!" So ulkten
sie Kurt Ehlers an.
Es wäre wohl zur schönsten Keilerei gekommen, wenn nicht Walter
Gerner Ruhe geboten hätte, unter dessen Führung sich die ganze Klasse
willig stellte. „Unser ,Paysan* ist zwar ein guter und netter Kerl, das
wissen wir wohl; aber ein bißchen ärgern müssen wir auch ihn einmal,
denn sonst wäre das doch eine bodenlose Ungerechtigkeit gegen die andern
Lehrer. Jetzt für die französische Stunde nehmen wir uns also vor, daß

aus, womit er das Zeichen zu einer Lachsalve gab; auch Studienrat
Bauer konnte ein leichtes Schmunzeln nicht unterdrücken. Die über-
mütige Stimmung der Knaben wurde noch erhöht, als Günter Herges,
ein zartes Kerlchen, schüchtern den Finger hob und dann sagte: „Für
Ihre Mama!" Brüllendes Gelächter erhob sich unter den Quartanern,
„Mama! Mama!" äfften einige der Ausgelassensten nach.
Blutübergossen, in tödlicher Verlegenheit saß Günter Herges unter den
übermütigen Kameraden; aber da kam die Rettung. „Richtig, mein Junge!
Du hast es erraten! Diese Blumen hier sind für meine liebe, gute Mutter
bestimmt. Und was meint ihr wohl, aus welchem Grunde ich ihr heute
die Blumen mitbringe?" fragte der Lehrer weiter. „Ihre Mutter hat Ge-
burtstag!" Kopfschütteln von feiten des Lehrers. „Namenstag!" schrie
ein anderer. Auch nicht. „Sterbetag!" platzte ein anderer heraus. „Nein,
gottlob, mein liebes Mütterlein lebt noch! Aber denkt doch einmal nach,
ihr Jungens!" Eifrig erhob sich jetzt der blonde, frische Kurt Ehlers; viel-
leicht konnte er denen, die ihn vorhin verulkt hatten, zeigen, daß er doch
recht gehabt hatte, so schmetterte er denn frisch heraus: „Zum Muttertag!"
„Recht so, Kurt, zum Muttertag! Und nicht wahr, ihr werdet doch morgen
am Sonntag auch alle eurer lieben Mutter gedenken, ihr irgend etwas
Besonderes erweisen, und sei es auch nur ein Blümchen; nur etwas Be-
sonderes muß es sein. Nun, wie denkt ihr darüber?"
Ganz still war es auf einmal, keiner dieser zwölf- und dreizehnjährigen
Schlingel wußte, wie er sich jetzt benehmen sollte. Rote Köpfe bekamen
sie fast alle, und krampfhaft sahen sie vor sich hin. Ernst und doch gütig be-
trachtete Doktor Bauer seine Jungens, er erriet die Gedanken, die da
hinter den Knabenstirnen arbeiteten.
Schließlich meinte einer der Kecksten: „Wir können doch nicht wie die
Mädels Blumen pflücken und damit zu Muttern gehen!" „So?" ertönte
da des Lehrers Stimme, „das könnt ihr nicht? Bloß weil ihr euch für zu
groß dünkt, weil ihr Quartaner und trotzdem oft bedenklich unwissend
seid? Kann ein Mensch denn jemals zu alt sein, seiner Mutter vor aller


jeder, der da ankommt, irgend etwas von Veil-
chen, lieben und schenken sagt. Viel können wir
ja noch nicht, aber für solche Sätze wird's schon
reichen: Ich liebe Veilchen, oder: Das Veilchen
ist schön, oder: Ich schenke dem Fräulein Veilchen,
und dabei wird unserm ,Paysan* schon ein bißchen
unheimlich werden. Abgemacht?"
Die Mehrzahl der hoffnungsvollen Quartaner
war einig, ihren Klassenlehrer in Verlegenheit zu
bringen. Noch während des Läutens betrat Stu-
dienrat Bauer die Klasse. Eine schier unheim-
liche Ruhe herrschte, was dem erfahrenen Schul-
mann verdächtig war, denn sicher sollte wieder
einmal irgend ein Streich ausgeübt werden. Ganz
leise schmunzelte er in sich hinein, denn er hatte
die eigenen übermütigen Knabenjahre nicht ver-
gessen. Zu aller Erstaunen fing er aber heute
nicht gleich mit den neuen Vokabeln an, sondern
er tat etwas, was zweiundvierzig Jungens schier
den Atem raubte und dreißig Verschwörern einen
dicken Strich durch ihre Pläne machte. Er zog
nämlich aus der Brusttasche einen Veilchenstrauß
hervor, legte ihn langsam und feierlich auf das
Katheder, sah sich seine Jungens ein Weilchen
lächelnd an und fragte dann: „Nun, wer von
euch kann mir wohl verraten, für wen dieses
Sträußlein bestimmt ist?"
Die Jungens waren zuerst sprachlos, dann
fingen einige an zu grinsen, einige bekamen rote
Köpfe, ein Lächeln durchlief die Bankreihen.
„Nun, wer sagt mir wohl, für wen ich diese
Blumen bestimmt habe?" erklang nochmals des
Lehrers Stimme. Und nun erscholl es durchein-
ander: „Für Ihre Schwester!" „Für Sie selbst!"
„Für Widewitt!" platzte da Walter Gerner her-
 
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