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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 65.1933

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.52834#0619
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16

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Z-Isit 23

„Odyssee" niedergelegt sind, verstanden werden. Dem
„göttlichen Dulder" Odysseus wurde die Gastfreund-
schaft, die er auf seinen Irrfahrten in ausgiebiger Weise
in Anspruch nahm, sicherlich mit Vergnügen gewährt,
weil er fesselnd zu erzählen verstand. War er mit dem
wirtlich Erlebten zu Ende, dann kam das Erdichtete,
das Ungeheuerliche, das, wonach es die Hörer gelüstete,
und niemand fragte danach, an welchem Punkt sich die
Wahrheit von der Dichtung schied.
Selbst dann noch, als mit der Zeit eine geographische
Wissenschaft sich zu entwickeln begann, trugen hochgebil-
dete Geister, wie Herodot, Ptolemäus, Strabo, kein
Bedenken, in ihren Lehrbüchern neben dem Genauen
und Wahren die tollsten Ammenmärchen aufzutischen,
um die Schilderungen anziehender zu machen. Und selbst
fünfzehnhundert Jahre später, als nach der Erfindung der
Buchdruckerkunst die deutschen Kosmographen in ihren
reichillustrierten Weltbeschreibungen historische und geo-
graphische Bildung ins Volk trugen, wimmelten diese
dickleibigen Folianten neben dem richtig und wahrheits-
treu Geschilderten von handgreiflichem Unsinn, von Beschreibungen nicht
existierender, von fabelhaften Ungeheuern bewohnter Länder. Unsere
Bilderproben, dis der „Kosmographie" von Sebastian Münster (erstmalig
1544 erschienen) entnommen sind, geben einen Begriff davon, was man
noch zu jener Zeit einem bildungsbeflissenen Publikum vorsetzen durfte,-
dabei waren die Herausgeber dieser Weltbeschreibungen hochgelehrte Män-
ner. Durch die Taten der großen Entdecker hatte das allgemeine Interesse
für die Erweiterung des Weltbildes einen mächtigen Ansporn erhalten,
und diesen Umstand machten sich literarische Hochstapler zunutze, um mit
erlogenen Reiseberichten entweder unverdienten Ruhm zu erwerben oder
irgendwelche anderen unlauteren Zwecke zu verfolgen. Sie schilderten
gefahrvolle Reisen, die sie niemals gemacht hatten, sie erzählten von
fernen, mit Gold und Edelsteinen übersäten Inseln und von vergrabenen
Schätzen. Da diese Geschichten viel Anklang fanden, kamen einzelne
Schriftsteller auf den Einfall, eine reinliche Scheidung Zwischen Wahr-
heit und Dichtung vorzunehmen und erdichtete, nur zum Zweck der
Unterhaltung verfaßte Reiseschilderungen ehrlich als Erzeugnisse der
Phantasie auszugeben. So entstand die literarische Gattung des Reise-
und Abenteuerromans, als dessen klassisches Vorbild Daniel Defoes un-
sterblicher „Robinson Crusoe" (1719) anzusehen ist. Sein Buch, nächst der
Bibel das meistverbreitete Werk der Weltliteratur, hat hohen erziehe-
rischen Wert und fand eine kaum übersehbare Anzahl von Nachahmungen,
den sogenannten Robinsonaden.
Von den vorhin erwähnten geographischen Fälschern hat das Tollste
ein rätselhafter Mensch geleistet, der sich den biblischen Namen Psalmanazar
beigelegt hatte und über dessen Herkunft und wirklichen Namen niemals
etwas Sicheres bekannt geworden ist. George
Psalmanazar tauchte um 1700 in London auf
und behauptete, aus Ostasien zu stammen,
dort, auf der Insel Formosa, hätte ihn ein
jesuitischer Missionar zum Europäer erzogen.
Man glaubte es ihm und nahm auch nicht
daran Anstoß, daß Psalmanazar nicht im ge-
ringsten wie einOstasiate aursah. Dieser Mann
gab 1704 ein zugleich in englischer, hollän-
discher und französischer Sprache erscheinen-
des, nut Bildern geschmücktes großes Werk
über die Insel Formosa, ihre Geschichte, Natur
und Bevölkerung, samt einer Grammatik der
formosanischen Sprache heraus. Das von Ge-
lehrsamkeit strotzende Werk fand starke Beach-
tung, und besonders die klangvolle fremde
Sprache gefiel dermaßen, daß es in der Lon-
doner Gesellschaft bald zum guten Ton ge-
hörte, bei Psalmanazar Unterricht in „Formo-
sanisch" zu nehmen. Auf Veranlassung der
obersten Kirchenbehörde übersetzte Psalmana-
zar auch den Katechismus und andere religiöse
Bücher ins Formosanische. Das alles war nun,
wie sich später heraus stellte, nichts weiter als
Hokuspokus, eine vollendete Irreführung. Ein
Land und Volk von der Art, wie der angeb-
liche Ostasiate sie beschrieben hatte, gab es
nicht, auch die Sprache war reine Erfindung.
„Wie leicht ist es, die ganze Welt, besonders
die Gelehrten, an der Nase herumzuführen",

schrieb Psalmanazar in seinen Erinnerungen, die erst
nach seinem Tode herausgekommen sind.
Mit der fortschreitenden Enthüllung der Erdoberfläche
wurde den Reisenden das Fabulieren immer schwerer
gemacht, ihre Angaben konnten jetzt schärfer als früher
kontrolliert werden. Ernste Entdecker von großem For-
mat, wie James Cook, hätten sich auch ohnehin streng an
die Wahrheit gehalten. Seltsam aber berührt es, in
welcher phantastischen Weise die Werke von Cook da-
mals, zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts, noch
illustriert werden konnten. Man sehe sich unsere dem
Cookschen Südseewerk entnommene Bildprobe auf die-
ser Seite an, die junge Dame mit dem Ungeheuern Reif-
rock, dem süßen Lächeln und der koketten Haltung. So
stellte sich der brave Kupferstecher, von dem die an und
für sich sehr schönen Bilder zu Cooks Reisen stammen,
eine Südseeinsulanerin vor.
Noch bis in die neueste Zeit hinein hat mancher mo-
derne Münchhausen es fertiggebracht, nicht nur Laien,
sondern auch Männer der Wissenschaft irrezuführen. Da-
bei gibt es freilich die verschiedensten Abstufungen, denn von der einfachen
Ausschmückung und Aufbauschung, die man noch hingehen lassen kann,
bis zur vollendeten Täuschung, dem bewußten Betrug, ist ein weiter Weg.
Viel Aufsehen, aber bald auch viel Heiterkeit, erregten die angeblichen
Entdeckungsfahrten des englischen Kapitäns I. A. Lawson. Sein in einem
angesehenen Londoner Verlag erschienenes Werk „Streifzüge in Neu-
guinea" brachte, so anspruchslos der Titel auch klang, wahrhaft erstaun-
liche Forschungsergebnisse ans Tageslicht. Der unerschrockene Reisende
hatte im Innern Neuguineas nicht nur einen riesigen Binnensee, son-
dern auch einen Ungeheuern Schneeberg entdeckt, der sogar die höchsten
Spitzen des Himalaja hinter sich ließ und als der mächtigste Berg der
Erde von seinem Entdecker „Mount Hercules" getauft worden war. Der
Name „Mount Humbug" wäre freilich treffender gewesen. Denn obwohl
Lawson seinem Buch eine „an Ort und Stelle angefertigte" Zeichnung
des Bergungeheuers (Seite 3) beigefügt hatte, konnte es auf die Dauer
doch nicht verborgen bleiben, daß der majestätische Mount Hercules ebenso
wie der riesige Binnensee samt allen sonstigen neuguinesischen Wundern
nur in der Einbildungskraft ihres Erfinders existierte und sein Buch von
Anfang bis Ende nichts anderes als eine Münchhausiade war.
In guter Erinnerung steht noch die Skandalaffäre eines Namensvetters
des großen Forschungsreisenden James Cook, des Dr. Frederick Albert
Cook. Dieser, ein amerikanischer Arzt, überraschte im Herbst 1909 nach
der Rückkehr von einer arktischen Expedition die Welt mit der Nachricht,
daß er im April 1908 als erster den Nordpol entdeckt und betreten hätte.
Er wußte diese Großtat der Forschung so glaubhaft darzustellen, daß ver-
schiedene geographische Gesellschaften Amerikas und Europas anfangs nicht
daran zweifelten undCook mit Ehrungen über-
häuften,- große Zeitungen und Buchverleger
machten ihm die verlockendsten Angebote. Aber
gewisse Umstände erweckten bald Mißtrauen,
und als man jetzt die Angaben Dr. Cooks
gründlicher unter die Lupe nahm, kam der
Schwindel zutage. Ein jäher Absturz von der
Höhe des Ruhmes war die Folge.
Demgegenüber fehlt es aber auch nicht an
Beispielen, daß wirklich verdienstvolle For-
schungsreisende das Unglück hatten, keinen
Glauben zu finden. Geradezu tragisch war in
dieser Hinsicht das Schicksal des Polarforschers
John Roß. Er wurde 1818 mit einer Expedition
zur Entdeckung der nordwestlichen Durchfahrt
beauftragt, büßte aber wegen vorzeitiger Um-
kehr alles Vertrauen ein und wurde der Feig-
heit und des Schwindels bezichtigt. Dabei war
Roß in Wirklichkeit ein zuverlässiger, tüchtiger
Mann, und die Gründe zu seiner Umkehr
waren durchaus stichhaltig gewesen. Selbst
als er später neue, erfolgreiche Expeditionen
unternahm, brachte man seinen Berichten
weiterhin Mißtrauen entgegen, und während
seine Nebenbuhler Ehren einheimsen konnten,
blieb John Roß ziemlich unbeachtet. Erst eine
spätere Zeit hat seine Vertrauenswürdigkeit
festgestellt und seinen Verdiensten um die Po-
larforschung die gebührende Anerkennung zu-
teil werden lassen.


Oer röwelbakte Oeor§e L8alma-
na^ar, cker ein Oanck, ein Volk
unck eine 8pracbe ertänck.


Wie man 8ielr noeti vor 145 fabren eine 8ück8ee-
in8ulanerin von Oabiri vorteilte, iblaeb einem
8ricli?u O00K8 „8ück8eerei8en" an8 ckemfsabr 1787.
 
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