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schlossenen Staatszimmer" den fremden militärischen Bewohnern. Graf
Thoranc indessen war rücksichtsvoll genug und liess „nicht einmal seine
Landkarten" an die Wände nageln, „um die neuen Tapeten nicht zu
verderben." Diese Tapeten hatte der Rath aus der berühmten Wachstuch-
fabrik des Malers Nothnagel bezogen, von deren Betrieb uns in Dichtung
und Wahrheit eine anschauliche Schilderung erhalten ist. „Wer damals
baute oder ein Gebäude möblierte, wollte für seine Lebenszeit versorgt
sein, und diese Wachstuchtapeten waren allerdings unverwüstlich."
Nothnagel*) fabrizierte „alle Arten von Wachstuch", „von dem rohsten
an, das mit der Spatel autgetragen wird und das man zu Rüstwagen und
ähnlichem Gebrauch benutzte, durch die Tapeten hindurch, welche mit
Formen abgedruckt wurden, bis zu den feineren und feinsten, auf welchen
bald chinesische 2) und phantastische, bald natürliche Blumen abgebildet,
bald Figuren, bald Landschaften durch den Pinsel geschickter Arbeiter
dargestellt wurden." Gerade von diesen feineren Sorten hatte der Rath
bestellt, wie wir aus einer bei den Weimarer Akten befindlichen Rechnung
ersehen können, die ihres Inhaltes und ihrer Seltenheit wegen hier un-
verkürzt wiedergegeben wird:
„Franckfurth d. 24Fü Januarij 1757
S: Tit: Herr Rath Goethe allhier geliehen und ver-
fertigte nach dero Verlangen nachfolgende in Oehlf'arben
gemahlte Tapeten: n. Xr.
Eine Garnitoure auf weißen Grundt mit Blumen-
Poquetgen gemahlt, hält Stück ä 11 H. veraccordirt
beträgt. 45 7
Eine Garnitoure Facon Peckin auf perlenfarben Grund,
hält 5 Stück weniger 2 Ehlen, das Stück ä h. 11 ver-
accordirt beträgt. 53 40
*) Vgl. über ihn auch: Hüsgen, Artistisches Magazin S. 826ff; Gwinner, Kunst
und Künstler S. 856 ff., daselbst ein ausführliches Verzeichniss seiner Radierungen.
Nothnagel war geboren im März 1729 in Buch im Herzogthum Sachsen-Coburg; im
Jahre 1747 kam er nach Frankfurt als Gehülfe des Tapeten-Malers Johann Nikolaus
Lentzner, nach dessen Tode er am 11. Mai 1750 dessen Wittwe heirathete. Kaiser
Leopold II. verlieh seinem Geschäfte den Titel „Kaiserliche privilegirte NothnageTsche
Fabrik". Nothnagel erhielt schon frühzeitig die Stelle eines Bürgercapitains. Neben
seinem Geschäfte, welches nach allen Theilen Europas Verbindungen unterhielt und
mehr als fünfzig Arbeiter beschäftigte, vernachlässigte er nicht seinen eigentlichen
Künstlerberuf; er zeichnete, malte und radierte Porträte, Landschaften und kleinere
Historien- und Genrebilder. Er starb in Frankfurt am 22. Dezember 1801.
2) Im Jahre 1770 wollten diese Tapeten dem jungen Goethe, nachdem er in
Leipzig „von der Baukunst, der Einrichtung und Verzierung der Häuser eine allgemeine
Vorstellung gewonnen" hatte, nicht mehr gefallen. Er wandte seine neuen Anschau-
ungen „unvorsichtig im Gespräch" auf das eigene Haus an, und es gab eine heftige
Szene zwischen Vater und Sohn, als letzterer „einige schnörkelhafte Spiegelrahmen
getadelt und gewisse chinesische Tapeten verworfen hatte." D. und W. II. Theil,
9. Buch.
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schlossenen Staatszimmer" den fremden militärischen Bewohnern. Graf
Thoranc indessen war rücksichtsvoll genug und liess „nicht einmal seine
Landkarten" an die Wände nageln, „um die neuen Tapeten nicht zu
verderben." Diese Tapeten hatte der Rath aus der berühmten Wachstuch-
fabrik des Malers Nothnagel bezogen, von deren Betrieb uns in Dichtung
und Wahrheit eine anschauliche Schilderung erhalten ist. „Wer damals
baute oder ein Gebäude möblierte, wollte für seine Lebenszeit versorgt
sein, und diese Wachstuchtapeten waren allerdings unverwüstlich."
Nothnagel*) fabrizierte „alle Arten von Wachstuch", „von dem rohsten
an, das mit der Spatel autgetragen wird und das man zu Rüstwagen und
ähnlichem Gebrauch benutzte, durch die Tapeten hindurch, welche mit
Formen abgedruckt wurden, bis zu den feineren und feinsten, auf welchen
bald chinesische 2) und phantastische, bald natürliche Blumen abgebildet,
bald Figuren, bald Landschaften durch den Pinsel geschickter Arbeiter
dargestellt wurden." Gerade von diesen feineren Sorten hatte der Rath
bestellt, wie wir aus einer bei den Weimarer Akten befindlichen Rechnung
ersehen können, die ihres Inhaltes und ihrer Seltenheit wegen hier un-
verkürzt wiedergegeben wird:
„Franckfurth d. 24Fü Januarij 1757
S: Tit: Herr Rath Goethe allhier geliehen und ver-
fertigte nach dero Verlangen nachfolgende in Oehlf'arben
gemahlte Tapeten: n. Xr.
Eine Garnitoure auf weißen Grundt mit Blumen-
Poquetgen gemahlt, hält Stück ä 11 H. veraccordirt
beträgt. 45 7
Eine Garnitoure Facon Peckin auf perlenfarben Grund,
hält 5 Stück weniger 2 Ehlen, das Stück ä h. 11 ver-
accordirt beträgt. 53 40
*) Vgl. über ihn auch: Hüsgen, Artistisches Magazin S. 826ff; Gwinner, Kunst
und Künstler S. 856 ff., daselbst ein ausführliches Verzeichniss seiner Radierungen.
Nothnagel war geboren im März 1729 in Buch im Herzogthum Sachsen-Coburg; im
Jahre 1747 kam er nach Frankfurt als Gehülfe des Tapeten-Malers Johann Nikolaus
Lentzner, nach dessen Tode er am 11. Mai 1750 dessen Wittwe heirathete. Kaiser
Leopold II. verlieh seinem Geschäfte den Titel „Kaiserliche privilegirte NothnageTsche
Fabrik". Nothnagel erhielt schon frühzeitig die Stelle eines Bürgercapitains. Neben
seinem Geschäfte, welches nach allen Theilen Europas Verbindungen unterhielt und
mehr als fünfzig Arbeiter beschäftigte, vernachlässigte er nicht seinen eigentlichen
Künstlerberuf; er zeichnete, malte und radierte Porträte, Landschaften und kleinere
Historien- und Genrebilder. Er starb in Frankfurt am 22. Dezember 1801.
2) Im Jahre 1770 wollten diese Tapeten dem jungen Goethe, nachdem er in
Leipzig „von der Baukunst, der Einrichtung und Verzierung der Häuser eine allgemeine
Vorstellung gewonnen" hatte, nicht mehr gefallen. Er wandte seine neuen Anschau-
ungen „unvorsichtig im Gespräch" auf das eigene Haus an, und es gab eine heftige
Szene zwischen Vater und Sohn, als letzterer „einige schnörkelhafte Spiegelrahmen
getadelt und gewisse chinesische Tapeten verworfen hatte." D. und W. II. Theil,
9. Buch.
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