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3. Die Erbauung der Wülzburg (1588 - um 1605)

Unter Mitarbeit von Daniel Burger

3.1. Zur Problematik der Quellen

Ziel der folgenden Darstellung ist es, die Baugeschichte
der Wülzburg in einer Weise darzustellen, die nicht nur
durch Belege aller Art umfassend abgesichert ist, sondern
auch so klar und verständlich wie irgendmöglich. Dies
stellt den Verfasser vor eine Aufgabe von hohem An-
spruch, denn das Material ist so komplex und schwer
interpretierbar wie selten. Autor und Leser haben es mit
mehreren aufeinander folgenden Baumeistern zu tun, mit
mehrfachen Planwechseln noch vor Vollendung des Bau-
es, schließlich mit schwer verständlichen Umbauten ferti-
ger Teile. Vor allem aber stehen wir vor einem Gesche-
hen, das nur noch an wenigen Stellen durch Schriftquel-
len belegt werden kann. Zur Verfügung stehen nur noch
Quellenarten, die von vornherein eher vieldeutig sind:
einerseits eine Reihe undatierter und vom Baumeister
nicht signierter Entwurfszeichnungen, und andererseits
jene Quelle, deren »Entzifferung« das vergangene Kapi-
tel gefüllt hat, nämlich die Wülzburg selbst.

Die Baugeschichte der Wülzburg wird im Folgenden
chronologisch dargestellt, und zwar nicht nur deswegen,
weil diese Form für solche Themen üblich ist. Vielmehr
erreicht das System der Rückschlüsse, durch die das Ma-
terial »zum Sprechen gebracht« werden muß, oft eine sol-
che Kompliziertheit, daß es keineswegs so wiedergegeben
werden kann, wie es während der langgezogenen und
mühsamen Arbeit am Bau und an den Quellen entstan-
den ist. Denn im Laufe dieses langen Prozesses kam im-
mer neues Material hinzu, und immer wieder wurden
Thesen durch bessere Thesen ersetzt. Die Wiedergabe
dieses Prozesses würde daher einen Text ergeben, der nur
mit äußerster Mühe noch begreiflich wäre.

Bei der scheinbar einfachen, chronologisch fortschrei-
tenden Darstellung der Geschehnisse sollte sich der Leser
aber immer bewußt bleiben, daß nur einige der darge-
stellten Fakten direkt als solche überliefert sind. Sehr
viele andere Aussagen, oft von gleichem Gewicht, beru-
hen auf Rückschlüssen, die teils zwar an Sicherheit gren-
zen, teils aber auch nur jene Hypothesen sind, die ich
nach langer und sorgfältiger Abwägung aller Hinweise für
die besten halte. Im Falle der Hypothese erfordern die
Regeln der Wissenschaft, daß die wichtigsten der abge-
lehnten Alternativen wenigstens kurz dargestellt werden,
ebenso wie die Gründe ihrer Ablehnung; zur Entlastung
des Haupttextes wird dies meist in einer Anmerkung ge-
schehen.

Um die Art und Problematik der Rückschlüsse noch
deutlicher zu machen, auf denen das Folgende beruht, sol-
len zu Anfang die verschiedenen Quellen kurz charakteri-
siert werden, die zur Verfügung stehen.

Im Normalfall geht die Baugeschichte eines neuzeitli-
chen Bauwerkes vor allem von schriftlichen Aufzeichnun-
gen aus, in denen die Entstehung bestimmter Bauteile
direkt oder indirekt mit einem Datum verbunden wird -
also etwa von Anweisungen oder Verträgen des Auftrag-
gebers, von Abrechnungen für Lohn, Material usw. Diese
sind für die Erbauung der Wülzburg aber nicht erhalten
geblieben, und auch ansonsten gibt es nur noch wenige
Schriftstücke, die mehr oder minder zufällig solche Aussa-
gen enthalten. Weitaus die meisten von ihnen beziehen
sich auf den Baubeginn bzw. auf die fruchtlose juristische
Auseinandersetzung, die auf ihn folgte (vgl. 3.4. und 3.6.);
für den späteren Ablauf und auch das Ende des Bauvor-
ganges fehlt nahezu jeder Hinweis.

Nur geringfügig besser sieht die Quellensituation aus,
wenn man nach den Baumeistern fragt. Der Entwerfer
des ursprünglichen Planes, Blasius Berwart der Ältere,
läßt sich aus einer Anzahl von Indizien sicher identifizie-
ren. Durch ein Tagebuchfragment und einige Briefe ist
zudem belegt, daß der Graf zu Lynar 1590, nach Berwarts
Tod. einen Neuentwurf fertigte und seinen Unter-
baumeister Caspar Schwabe zur Wülzburg sandte, um die
Weiterführung des Baues zu leiten. Schließlich bietet ein
Briefkonzept von Blasius Berwart dem Jüngeren - dem
Sohn des ursprünglichen Entwerfers - einen nicht einfach
zu interpretierenden, aber letztlich höchst aussagekräfti-
gen Überblick über die Auseinandersetzungen in einem
sehr fortgeschrittenen Stadium des Baues (wahrschein-
lich im Jahre 1602/03). Außer im Falle von Berwart d.Ä.,
dem jedoch kaum Zeit zur Realisierung blieb, erfahren
wir aber aus den Quellen niemals, wie der Entwurf des
jeweiligen Baumeisters aussah - und erst recht nicht, wel-
che Bauteile er ausführen konnte, bis sein Nachfolger
nach verändertem Plan weiterbaute.

Nichtsdestoweniger verwöhnt die Wülzburg den Bau-
historiker in ungewöhnlichem Maße mit erhaltenen Bau-
zeichnungen bzw. Entwürfen aus den beiden Jahrzehnten
ihrer Entstehung. Ist derartiges Quellenmaterial für die
Gestalt eines entstehenden Bauwerkes besonders aussa-
gekräftig, so besteht doch auch hier in höchstem Grade
Interpretationsbedarf. Denn die Entwürfe für die Wülz-
burg, die in den Archiven erhalten sind, lassen sich zwar in
mehrere zusammengehörige Gruppen (»Sätze«) von Plä-
nen ordnen, und man darf dann mit einiger Wahrschein-
lichkeit annehmen, daß ein solcher Plansatz jeweils einen
neuen Entwurf darstellt. Daß auf diese Weise mehrere
Entwürfe identifiziert werden können, ist auch nicht ver-
wunderlich, denn sicherlich hat jeder neue Baumeister
einen eigenen Entwurf vorgelegt, in dem er vom Plan sei-
nes Vorgängers mehr oder minder stark abwich, aber
auch die schon bestehenden Bauteile in irgendeiner
 
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