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Bulletin du Musée National de Varsovie — 19.1978

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Nr. 3
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Unverfehrt, Gerd; Muzeum Narodowe w Warszawie [Mitarb.]: Zwei Gemälde der Bosch-Nachfolge aus dem Muzeum Narodowe zu Warschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.18863#0068
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das Motiv des nackten Kerlchens ani rechten Bildrand, dessen After Vógel entfliegen, verweist
ais Erfindung eindringlich auf den Herzogenboscher Meister13, so daB das ansonsten ihm recht
fern stehende Bild seinem EinfluBbereich zugerechnet werden kann.

Nicht beweiskraftiger fur die Riickfiihrung der Komposition auf eine Erfindung Boschs ist
die Signatur der Helbing — Tafel. Wir kennen zahlreiche Imitationen, die den Namenszug Boscbs
tragen. Felipe de Guevara, einer der friihen Sammler von Gemalden Boschs und ein zuverliis-
siger Chronist, berichtet in seinen um 1560 geschriebenen Comentarios de la Pintura von un-
zahligen Bildern in der Art Boschs, ,,die falschlich mit dem Namen des Hieronymus Bosch
signiert sind, und die er niemals gemalt hatte."19 Wenn hier, was eher die Ausnahme ist, die
Signatur in Duktus und Buchstabenfolge den Bezeichnungen der Originalgemalde entspricht,
so ist das leicht zu erklaren: Der Maler der Helbing — Tafel zitiert ausgiebig aus dem Lissaboner
Antoniusaltar. Er kann die Signatur von hier (bzw. von einer der zahlreichen falschlich signierten
Kopien) ubernommen haben. Unangesehen dieser Frage sind es gerade die ausgedehnten Zitate,
die den Gedanken an Bosch ais Eriinder der Komposition verwehren. An keiner Stelle seines
Werkes finden sich getreue Ubernahmen ganzer Figurengruppen. Wenn einzelne Motive mehrfach
begegnen — wie etwa der erwahnte Nackte, dessen After V6gel entfliegen — dann stark veran-
dert und zumeist in neue Zusammenhiinge eingebunden. Die mechanische Wiederholung ganzer
Gruppen, wie auf der Helbing —Tafel zu beobachten, ist mit dem Erfindungsreichtum und dem
malerischen Temperament Boschs nicht zu vereinbaren.20 Wir haben es demnach bei der Hel-
bing —■ Tafel mit einer Imitation zu tun, dereń Maler Vorlagen Boschs, darunter auch der Wiener
Gerichtsaltar, zu einer eigenstandigen Komposition verarbeitete. Die Antoniusversuchungen
aus Koln, Genf und Warschau folgen dieser Komposition, vereinfachen jedoch den Motiv-
bestand. Offen bleibt die Frage, ob die Erweiterungen der Kolner Tafel einen verlorenen
Zustand bezeugen, oder ob es sich dabei um originare Zufiigungen des Kolner Meisters handelt.
Die Einordnung der Bildgruppe in die durch das ganze 16. Jahrhundert wirksame Rezeption
der Kunst Boschs bedarf der Erlauterung und naheren Besrimmung. Die motivischen Abhangig-
keiten, fur dereń Vermittlung Musterblatter ahnlich dem aus Oxford (Abb. 7) gedient haben
mógen, wurden bereits diskutiert.

Wenden wir uns nun dem Bildaufbau zu. Die vier Antoniusversuchungen zeigen iibereinstim-
mend den lesenden Heiligen vor einem Felsen sitzend, umgeben von iiberwiegend locker gestreu-
ten damonischen Motiven, die nur ausnahmsweise untereinander in Aktion treten. Die Da-
monen handeln nicht ais bedrangende Versucher; sie werden vielmehr ais formale Kuriosa
dem Betrachter dargeboten. Wie anders Bosch Handlungen inszeniert, kann ein Blick auf
seine kompositionell verwandte Berliner Tafel mit Johannes auf Patmos zeigen.21 Der Heilige
ist gleichfalls vor einem zentralen Felsen gegeben, vor ihm rechts ein Teufel, der das TintenfaB
des Apokalyptikers zu stehlen versucht, links der Adler, das Symbol des Evangelisten. Jedoch
ist der Adler aus der Symbolsphare gelost: Vor seinem Blick schrickt der nach dem TintenfaB
hakelnde Teufel zurtick.22 Diese Fahigkeit, isoliert stehende Motive in einer einheitlichen Hand-
lung aufeinander zu beziehen und zu vereinen, scheint den Malern der hier zur Diskussion stehen-
den Bildgruppe zu fehlen. Es sei noch angemerkt, daB das Motiv der von einem Felsen folienhaft

18. Vgl. Boschs Hexeitblatt aus dem Louvrc (Tolnay, a.a.O.. S. 320) und den Seelenverschlingei vom rechten Fliigel des Gar
lens der LUsle (Tolnay, a.a.O., Tf. 247).

19. Zit. n. Tolnay, a.a.O., S. 401.

20. Vgl. G. Unverfehrtt ,,Zu einigcn Halbfigurcnbilderri Hieronymus Boschs und seines Kreises", Jaarboek koninklijk
museum voor sclione kunsten Anlwerpen, 1975, S. 106 £f. und passim.

21. Tolnay, a.a.O., Tf. 257.

22. Zur Tradition dieses Motivs vgl. J. G. van Gelder, ,,Der Tcufe] stiehlt das TintenfaB*', Kunslhistorische Forschungen
Otto Pacht sum 70. Glburlstag, Salzburg, 1972, S. 173 ff.

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