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Bulletin du Musée National de Varsovie — 19.1978

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Nr. 3
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Unverfehrt, Gerd; Muzeum Narodowe w Warszawie [Mitarb.]: Zwei Gemälde der Bosch-Nachfolge aus dem Muzeum Narodowe zu Warschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.18863#0078
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Die Unterschicde der beiden Fassungen sind rasch aufgeziihlt. Sie betreffen in erster Linie
den fast vblligen Austauseh der friesartig angeordneten Damonen im Vordergrund. Leichte
Veranderungen gibt es in der Gestaltung der Bodenwellen, bei der abschliefienden Brandarchi-
tektur rechts, in der Kórperhaltung von Adam und Eva, Johannes Baptista, Christus. Dennoch
darf wohl von zwei identischen Kompositionen gesprochen werden.

In den gleichen Zusammenhang gehbrt schlieBlich eine Limbus — Tafel aus der Hamburger
Kunsthalle, die dort einem Nachahmer des Hieronymus Bosch zugeschrieben ist (Abb. 15).40
Die 20,2x34,0 cm messende TafeJ wurde 1921 erworben. Sie ist anscheinend identisch mit
einem im gleichen Jahr bei Paul Cassirer in Berlin angebotenen Bild, das von Friedlander gleich-
falls an Herri met de Bies zugeschrieben wurde.41

Obwohl das Hamburger Bild mit seincm ausgepriigten Querformat eine vbllig neue komposi-
tionelle Struktur aufweist, ist der Zusammenhang mit der Warschauer bzw. Detroiter Tafel
nicht zu flbersehen. So begegnet auch hier am linken Bildrand ubereinandergestaffelt Christ-
geburt und Hollenfahrt. Der Eingang zur Hblle ist gleichermaBen ais Torbau mit zwei flan-
kierenden Rundturmen gestaltet. Im Zentrum beider Kompositionen ragt ein weiterer Rund-
turm auf, der jeweils mit einer fur Boschs Landschaftsvisionen so typischen iibergroBen Frucht
gekront ist. Im Hintergrund rechts jeweils eine Brandlandschaft mit vorgeschobener dunkler
Mauerfolie. Besondere Aufmerksamkeit verlangt die Gestaltung des Vordergrundes. Das Hol-
lenmaul mit seiner breit auslagernden, den Eingang konstituiercnden Oberlippe ist identisch
gebildet, mehr noch: An gleicher Stelle wachst ein Baum auf, dessen Stamm den monstrosen
Kopf iiberschneidet. In semen Asten jeweils ein Gehenkter (Judas?42).

Trotz der einschneidenden Yeranderungen des Bildaufbaus belegen die motivischen tjberein-
stimmungen zweifellos ein enges Abhangigkeitsverhaltnis. Die naheliegende Frage nach der
Entstehungsfolge diirfte mit stilkritischer Argumentation nicht zu beantworten sein, da beide
Gemalde etwa gleichzeitig, um 1540, entsfanden zu sein scheinen. Es fallt jedoch auf, daB der
Hamburger Maler sehr viel zuriickhaltender mit damonischen Motiven operiert. So fehlt der
auf den Exemplaren aus Warschau und Detroit im Einzelnen unterschiedlich ausgebildcte
Damonenfries hier fast ganzlich. Wir stoBen damit auf ein in der Boschnachfolge nicht unge-
wóhnliches Phanomen, daB namlich im Zuge standiger Wiederholung ein und derselben Kompo-
sition ein Motivschwund eintritt. Eindrucksvolle Beispiele fiir den „Verlust" mancher Details
bieten die zahlreichen Kopien nach dem Lissaboner Antoniusaltar.43 Es lage daher nahe, diese
tendentielle Reduktion der anschaulichen Unterwelt ais ein Indiz fur die vergleichsweise spiite
Entstehung der Hamburger Tafel anzunehmen.

Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang eine weitere Fassung des Limbusthemas, die 1972
bei Vogel in Luzern angeboten wurde (Abb. 16). Diese im Kunsthandel Jacob Swanenburgh
zugeschriebene Tafel ist von einem kleinteiligen Figurengespinst iiberzogen. Ihr Maler zitiert
zudem am rechten Bildrand aus der Mitteltafel des Wiener Gerichtsaltars von Bosch. Auch
der linkę Seitenteil mag von dort angeregt sein.44 Der Zusammenhang der dicht gefiillten Kora-
position mit der Warschauer Tafel klart sich bei naherem Hinsehen und ergibt sich aus drei

40. Katalog der alten Meistcr der Hamburger Kunsthalle, Hamburg, 1956, S. 35, Nr. 557.

41. Vg]. M. J. Friedlander, Antonis Mor and his Contemporaries (= Early Netherlandish Painting, 13), Leiden/Briissel, 1975,
Nr. 86 und Anm. 36.

42. Van Mander, a.a.O., S. 141, erwahnt aul der von ihm gesehencn Limbustafel Boschs den erhangten Judas.

43. Vgl. vor altem die Tafel aus der Barnes Foundation, Mcrion Station, mit der Mitteltafel des Lissaboner Antoniusaltars:
Friedlander (1969), a.a.O., Tf. 76 und 81. Der, ,Verlust" ganzer Szcnen und wichtiger Details ist etwa auch auf Kopien
nach dem Anbetungsaltar aus dem Prado zu beobachten (vgl. etwa Friedlander, 1969, a.a.O., Tf. 48 und 50). Der Mo-
tivschwund ist bei diesen Beispielen nur teilweise durch Kompositionsiniderungen zugunsten gesteigerter Tiefenwirkung
zu erkliiren (Arndt, a.a.O., S. 2). Es scheint vielmehr, ais hatten die Kopisten im Zuge einer raschen Bildproduktion ledig-
lich Wert auf einen allgemeinen boschesken Eindruck gelegt, nicht jedoch auf eine getieue Wiederholung mit allen inhalt-
lich bedeutsamen Einzelheiten.

44. Vgl. Tolnay, a.a.O., Tf. 180 und 182.

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