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Bode, Wilhelm
Franz Hals und seine Schule: ein Beitrag zu einer kritischen Behandlung der holländischen Malerei — Leipzig, 1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.16216#0072
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— 62 -

den Gegenstandes, welche dem Frans Hals abgeht, wird der Ausgangspunkt
für Bembrandt's Kunstweise; der Darlegung des Gemüthslebens giebt der-
selbe den künstlerischen Ausdruck in seinem Helldunkel, welches durch
die Betonung der Beleuchtung eine neue und zugleich die letzte mögliche
Stufe des Malerischen innerhalb der niederländischen Kunst bezeichnet.

Die Bichtungen beider Meister sind zugleich der künstlerische Aus-
druck der gleichzeitigen staatlichen Entwicklung ihres Landes. In den
Doelen- und Begentenstucken des Frans Hals, welche wir als Versammlungen
Einzelner ohne Streben nach einheitlicher Composition und doch mit
einheitlicher Wirkung charakterisirt haben, repräsentirt sich die Zeit der
auf der persönlichen Tüchtigkeit basirenden Freiheitskämpfe, welche trotz
des Fehlens eines ausgesprochenen staatlichen Zusammenhanges möglich
wurden und zu einem glänzenden Erfolge führten durch das stillschwei-
gende Einverständniss in den Handlungen aller Einzelnen. Dagegen
bieten die scheinbar regellosen aber eng geschlossenen Compositioneu
des Bembrandt den Ausdruck des zum Abschluss gediehenen einheitlichen
aber aus den mannigfachsten Factoren zusammengesetzten Staatsorganismus.
Jene anfängliche staatliche Entwicklung bot die Möglichkeit wie das Be-
dürfniss der Weiterbildung; diese allzu künstliche Einheit dagegen konnte
nur von kurzer Dauer sein. So machte auch die Kunstweise des Frans
Hals die des Bembrandt möglich und bedingte sie; Bembrandt's künstle-
risches Streben duldete dagegen keine Fortentwicklung mehr; nur ein so
ausserordentliches Talent wie das seinige konnte die Aufgabe erfassen
und musste sie auch zugleich zum Abschluss bringen. Hals schildert uns
ein Volk, welches durch eigene Tüchtigkeit Alles geworden ist und sich
dessen bewusst ist, gleich bereit zur Verteidigung seiner Interessen und
Ueberzeugungen wie zum Genüsse des Augenblicks; ein Volk, dessen kalte
Verstandesrichtung einen glücklichen Zügel bot für die tiefen Leiden-
schaften, welche es durchwühlten. Bembrandt führt uns in eine Zeit, in
welcher dieses Volk zum Genuss seiner Errungenschaften gelaugt ist,
durch äusseren Wohlstand und durchgehende Bildung aller Klassen bei
aller gesunden Leidenschaftlichkeit und derbem Humor einen Schatz des
inneren Gemüthslebens in sich entwickelt hat.
 
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