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Boethius, Anicius Manlius Severinus; Gothein, Eberhard [Hrsg.]
Trost der Philosophie: Oder das wunderliche Liebes-Schicksal der Liebens-würdigen Astreen und Seladons — Berlin, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.19419#0041
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ZWEITES BUCH

Hierauf schwieg sie ein wenig, und als sie meine Aufmerksamkeit aus
meinem bescheidenen Schweigen erschloß, begann sie so: Wenn ich nun richtig
Ursachen und Aussehen deiner Krankheit erkannt habe, so siechst du hin
aus Liebe und Sehnsucht nach deinem früheren Glücke. Seine Veränderung
hat, wie du dir einbildest, so viel von deinem Geiste zu Grunde gerichtet.
Ich kenne den vielgestaltigen Schein, mit dem jenes Wunderwesen denen,
die es anzuführen trachtet, schmeichelnde Freundschaft heuchelt, bis es sie
unverhofft verläßt und mit unerträglichem Schmerz verwirrt. Willst du dich
an seine Natur, Sitten und Verdienste erinnern, dann wirst du erkennen,
daß du an ihm nie etwas Schönes weder gehabt noch verloren hast; aber ich
glaube, ich brauche mir nicht besondere Mühe zu geben, dir das ins Ge-
dächtnis zu rufen; denn du pflegtest, auch als es noch da war und schmei-
chelte, es mit männlichen Worten zu schelten, und triebst es nach ver-
kündetem Richterspruch aus unserem Heiligtume. Aber jede plötzliche Ver-
änderung vollzieht sich nicht ohne ein gewisses Auf- und Abfluten des
Geistes. So ist es gekommen, daß auch du ein Weilchen von deiner Ruhe
abfielst. Aber es ist Zeit, daß du etwas Sanftes und Angenehmes schlürfest
und kostest, was ins Innere dringt und den Weg für kräftigeren Trank
bahnt. Also möge uns die Überzeugungskraft der holden Redekunst bei-
stehen, welche nur dann auf rechtem Wege voranschreitet, wenn sie unsere
Gebote nicht verläßt und wenn sie als Dienerin an unserem Herde mit
solcher Musik bald leichtere bald ernstere Weisen anstimmt.
Was also ist es, o Mensch, was dich in Schmerz und Trauer gestürzt hat?
Etwas ganz Neues und Ungewohntes, glaube ich, hast du gesehen. Du
meinst, das Glück habe sich dir gegenüber gewandelt: du irrst! Das sind
immer seine Sitten, ist seine Natur. Es hat nur gegen dich die Beständigkeit
in seiner eigenen Veränderlichkeit bewahrt. So war es, als es schmeichelte,
als es vor dir mit den Lockungen falscher Glückseligkeit gaukelte. Du hast
das zweideutige Antlitz der blinden Gottheit nun entdeckt; während sie
sich andern noch verhüllt, ist sie dir völlig bekannt geworden. Wenn du sie
billigst, so halte dich an ihren Charakter und klage nicht. Wenn du ihre
Treulosigkeit verabscheust, so verschmähe und verwirf ihr verderbliches
Spiel; denn wo sie dir jetzt Anlaß zu so großer Trauer gibt, hätte sie dir zur
Beruhigung dienen sollen. Sie hat dich verlassen, vor der niemand hier
sicher sein kann, daß sie ihn nicht verlassen werde. Oder meinst du etwa,
daß eine wertvolle Glückseligkeit von dir gehen werde? Oder ist dir ein
augenblickliches Glück teuer, das im Verharren nicht treu ist und im Ver-
schwinden Trauer bringt? Wenn es sich also nicht nach Belieben zurück-

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