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Wenigstens berichtet der als Augenzeuge weit richtiger als seine
spätem Landsleute hierüber urllieilende Herodot *) ausdrücklich,
man habe diese Brandmale und Narben für ein Ehrenzeichen und
ihre Menge für einen Beweis der yornehniern Abstammung gehal-
len. Aber der spätere Grieche fand diefs so thöricht und unbe-
greiflich, dafs er lieber zu einem frommen Mährchen seine Zu-
flucht nahm und das Ganze in das verschönernde Gewand einer
Fabel einkleidete. Mau wußte die Erzählungen von dem tragi-
schen Ende des Orpheus auf eine ganz unerwartete Weise zu die-
ser Absicht zu benutzen. Den Mord dieses berühmten Ehestauds-
mürtyrers, wo die ciconischen Mütter
Unter dem Götterfest, im nächtlichen Taumel des Bacchus,
Weit den zerrissenen Jüngling umher durch die Felder verstreuten **),
rächten die thrazisehen Männer an ihren tollen Weibern durch jene
Schimpflichen Brandmale, und diese empfindliche Züchtigung dauerte
bis auf die späteste Nachkommenschaft fort. So lautete die allge-
meine Sage unter den Griechen, die selbst Plntarcb in seiner mo-
ralischen Bufseriuahnung von der strafenden Laugmnlh der Götter
zwar mit Mifsbillignng der Sache selbst, aber doch ohne das ge-
ringste Mifstiaucu in ihre Wahrheit, anführt ***),
Nach diesem Allen wird es Niemand wunderbar finden, wenn
ich behaupte, dafs es den Griechen hei ihrer völligen Unbekannt-
schaft mit der Allgemeinheit und dem Ursprung jener Sitte kaum
in den Sinn kommen konnte, das Wunderbare, das auch sie in
den einäugigen Cyclopen und Arimaspeu finden mufsten, gerade hier-
aus zu erklären.
Es würde leicht sein, diese Spuren auch noch in andere Ge-
filde des Altcrlhums zu verfolgen. Jener vom weichlichen Orient
auch über die Griechen und Römer verbreitete und bis zum üppig-
_ steu Sinnenkitzel verfeinerte Gehrauch, mit wohlriechenden und bal-
samischen Essenzen jeden Theil des Körpers bis auf die Augen-
brauen und Fufszehen einzusalben, jene Verschönerungsmittel der
rofh.cn, weifsen und schwarzen Schminke hei den pulzsüchtigeu Grie-
chinnen, über 'welche die witzigsten Schriftsteller jenes Volkes den
beifsendsten Spott ausgegossen und sogar die sträfliche Vorliehe für
ihr eigenes Geschlecht damit entschuldigt haben, würden vieUeiclit
*) V, e.
**) Vofs, Virgil's Georg. IV, 520.
.***) Wyttenbach hat in seinem Commentar zu diesem Buche des PIu-
tarch, de sera numinis vindieta p. 67 f. alle Stellen der Alten ge-
sammelt, die hiervon handeln, auch das merkwürdige Fragment
des Dichters Phanokles, Man vergleiche auch Valois zum Diodor
T, II. p, 096.
Wenigstens berichtet der als Augenzeuge weit richtiger als seine
spätem Landsleute hierüber urllieilende Herodot *) ausdrücklich,
man habe diese Brandmale und Narben für ein Ehrenzeichen und
ihre Menge für einen Beweis der yornehniern Abstammung gehal-
len. Aber der spätere Grieche fand diefs so thöricht und unbe-
greiflich, dafs er lieber zu einem frommen Mährchen seine Zu-
flucht nahm und das Ganze in das verschönernde Gewand einer
Fabel einkleidete. Mau wußte die Erzählungen von dem tragi-
schen Ende des Orpheus auf eine ganz unerwartete Weise zu die-
ser Absicht zu benutzen. Den Mord dieses berühmten Ehestauds-
mürtyrers, wo die ciconischen Mütter
Unter dem Götterfest, im nächtlichen Taumel des Bacchus,
Weit den zerrissenen Jüngling umher durch die Felder verstreuten **),
rächten die thrazisehen Männer an ihren tollen Weibern durch jene
Schimpflichen Brandmale, und diese empfindliche Züchtigung dauerte
bis auf die späteste Nachkommenschaft fort. So lautete die allge-
meine Sage unter den Griechen, die selbst Plntarcb in seiner mo-
ralischen Bufseriuahnung von der strafenden Laugmnlh der Götter
zwar mit Mifsbillignng der Sache selbst, aber doch ohne das ge-
ringste Mifstiaucu in ihre Wahrheit, anführt ***),
Nach diesem Allen wird es Niemand wunderbar finden, wenn
ich behaupte, dafs es den Griechen hei ihrer völligen Unbekannt-
schaft mit der Allgemeinheit und dem Ursprung jener Sitte kaum
in den Sinn kommen konnte, das Wunderbare, das auch sie in
den einäugigen Cyclopen und Arimaspeu finden mufsten, gerade hier-
aus zu erklären.
Es würde leicht sein, diese Spuren auch noch in andere Ge-
filde des Altcrlhums zu verfolgen. Jener vom weichlichen Orient
auch über die Griechen und Römer verbreitete und bis zum üppig-
_ steu Sinnenkitzel verfeinerte Gehrauch, mit wohlriechenden und bal-
samischen Essenzen jeden Theil des Körpers bis auf die Augen-
brauen und Fufszehen einzusalben, jene Verschönerungsmittel der
rofh.cn, weifsen und schwarzen Schminke hei den pulzsüchtigeu Grie-
chinnen, über 'welche die witzigsten Schriftsteller jenes Volkes den
beifsendsten Spott ausgegossen und sogar die sträfliche Vorliehe für
ihr eigenes Geschlecht damit entschuldigt haben, würden vieUeiclit
*) V, e.
**) Vofs, Virgil's Georg. IV, 520.
.***) Wyttenbach hat in seinem Commentar zu diesem Buche des PIu-
tarch, de sera numinis vindieta p. 67 f. alle Stellen der Alten ge-
sammelt, die hiervon handeln, auch das merkwürdige Fragment
des Dichters Phanokles, Man vergleiche auch Valois zum Diodor
T, II. p, 096.