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Böttiger, Carl August; Sillig, Julius [Hrsg.]
C. A. Böttiger's kleine Schriften archäologischen und antiquarischen Inhalts (Band 1) — Dresden, Leipzig, 1837

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https://doi.org/10.11588/diglit.5484#0244

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eingebrannten Flecken auf der Stirne; -wie kommt es, ilafs von
allen griechischen und römischen Schriftstellern, die uns so Man-
ches von jenen Wundergeschöpfen zu erzählen wissen, auch nicht
ein einziger, auf diese Erklärung seihst gekommen ist ? — Aller-
dings scheint dieses gänzliche Stillschweigen meiner Erkläruiigsai't
sehr ungünstig. Aher es scheint au'ch nur. Alles, was daraus
folgt, ist: dem .gebildeten Griechen und Pionier war jene Sitte völlig
fremd und nur als ein lächerlicher Gebrauch entfernter barbarischer
Nationen durch Hörensagen bekannt. Sie lag also viel zu weit
aufser seinem Gesichtskreise, als. dafs es ihm der Mühe gelohnt
hätte, ein Problem für Menschen- und Yölkergeschichte damit zu
lösen, was ihm bei seinen dunklen Vorstellungen über verschieden-
artige Mcuschenracen und ihre mannigfaltige Entstehung' vielleicht
gar nicht einmal problematisch zu sein dünkte. Frühzeitig, wie
wir wissen, entfaltete sich unter dem milden ionischen Himmel,
im insel - und küstenreieben Archipelagus die schöne Blütheukuospo
griechischer Kultur. Früh gewöhnte sich das Auge des Griechen an
reine Formen in Menschen- und Göttergehildcn. Durch seine
Gymnastik, durch öffentliche Bäder und durch seine ganze Bildungs-
und Erziehungsweise lernte er nackte, unverschleierte Schönheit mit
allen seinen Sinnen umfassen und sie deu bauschenden Gewändern
und Kleiderwulsten asiatischer Weichlichkeit entgegensetzen *).

Unter diesen Umständen mufste er auch natürlich jedes Be-
malen, Punctiren und Bezeichnen für das, was es ist, ansehen, für
eine widernatürliche Verunstaltung und Schändung des Körpers.
In der Tliat brannte man auch gewöhnlich nur Kriegsgefangenen
und, da auch diese barbarische Sitte aufhörte, nur Verbrechern, vor-
züglich aber entlaufenen Sclaven, gewisse dauerhafte Kennzeichen
oder Buchstaben auf die Stirn, die Hände oder deu Bücken ein,
und ein Gebrandmarkter wurde bei Griechen und Bömern ein
Schimpfwort (Stigmatias), womit man nur den verworfensten Scla-
ven belegte. Ein auffallendes Beispiel, wie wenig die Griechen
diese Sitte von einer andern als schimpflichen Seite zu betrachten
gewohnt waren, giebt uns die seltsame Art, auf welche sie sich
diesen Gebrauch bei einem ihnen benachbarten Volke, den Thra-
ziern, zu erklären suchten. Bei allen den wilden und kriegerischen
Völkerschaften vom Hämus bis an die norisclien und rhätischen Alpen,
die mau imAlterthuiu unter dem allgemeinen Namen der Thrazier und
Illyrier begriff, war die Sitte des Hautbemalens und Punctirens all-
gemein angenommen. Vorzüglich pflegten die eigentlichen soge-
nannten Thrazier ihre Weiber und Töchter vielleicht aus eben dem
Grnnde tättowiren zu lassen, ans welchem die mannbaren ottahei-
tischen Mädchen sich dieser schmerzhaften Operation unterwerfen.

*) Man sehe die merkwürdige Stelle beim Pinto, de Republ, V. p, 9
VII. Bip,
 
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