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XI. Würdigung und Kritik der Vaccination.
der Wissenschaft stets willkommen, und nothwendig sein, um uns be-
ständig über die Schutzkraft der Vaccine im Klaren zu erhalten,
aber sie können für solche Gegner als überflüssig erachtet werden,
welche sich nicht entschliessen mögen, ihren Sinnen und ihrem
Verstände mehr zu trauen, als Vorurtheilen und willkürlichen An-
schauungen.
Wie mächtig indess eine wohl und vollständig ausgenutzte Vacci-
nation befunden werden mag, die thörichte Anmassung der früheren
Zeit, die Blatternkrankheit, durch wiederholte Impfungen aller Indi-
viduen, ausrotten zu wollen, hegen wir nicht. Das kann niemals
geschehen, weil sich stets eine grosse Zahl von Individuen in jenem
intermediären Zustande der zwar abgeschwächten, aber in einem
gewissen Grade bestehenden Empfänglichkeit für die Variola befinden
muss, und die besonders intensive Pockenanlage eines kleinen Theils
der Gesellschaft ausser aller Berechnung liegt. Aber den verheeren-
den Zügen der Seuche, und den vielen schweren Einzeler-
krankungen kann durch Jenner's Entdeckung eine Schranke ge-
zogen werden. Gross ist schon heute der Gewinn, welchen ihr die
Völker schulden, und die Annahme wohl berechtigt, dass die allge-
meine und volle Ausnutzung des Schutzmittels im Stande sein wird,
die Blattern dauernd zu einer seltenen und, für das Ganze, unschäd-
lichen Krankheit zu machen.
Die Gefahren der Impfung.
Wird der Gewinn an Menschenleben, Gesundheit und Sicher-
heitsgefühl, welchen die Vaccine gebracht hat, durch Schädigungen
und Verluste, die untrennbar von ihr sind, nicht ausgeglichen, oder
gar überwogen? Die Gegner der Impfsache bejahen das. Seit
der Verallgemeinerung der Vaccination, so lautet ihre Behauptung,
mithin in Folge derselben, hätten einige acute Constitutions-Krank-
heiten (z. B. der Typhus), und, was schlimmer, gewisse chronische
Leiden überhand genommen; an diesen sieche jetzt die Menschheit
in ausgesprochener Weise, und es fielen ihnen ununterbrochen mehr
Opfer an Gesundheit und Leben, als je von den mörderischen
Blattern-Epidemien verschlungen worden seien. Heruntergekommene
Generationen, ein schwächliches und kränkelndes Geschlecht seien
der Preis, womit die Eindämmung der Blatternseuche bezahlt worden.
Dieser verderbliche Einfluss der Vaccination kann, durch ver-
gleichende Morbilitäts-Zahlen aus den Perioden vorher und
XI. Würdigung und Kritik der Vaccination.
der Wissenschaft stets willkommen, und nothwendig sein, um uns be-
ständig über die Schutzkraft der Vaccine im Klaren zu erhalten,
aber sie können für solche Gegner als überflüssig erachtet werden,
welche sich nicht entschliessen mögen, ihren Sinnen und ihrem
Verstände mehr zu trauen, als Vorurtheilen und willkürlichen An-
schauungen.
Wie mächtig indess eine wohl und vollständig ausgenutzte Vacci-
nation befunden werden mag, die thörichte Anmassung der früheren
Zeit, die Blatternkrankheit, durch wiederholte Impfungen aller Indi-
viduen, ausrotten zu wollen, hegen wir nicht. Das kann niemals
geschehen, weil sich stets eine grosse Zahl von Individuen in jenem
intermediären Zustande der zwar abgeschwächten, aber in einem
gewissen Grade bestehenden Empfänglichkeit für die Variola befinden
muss, und die besonders intensive Pockenanlage eines kleinen Theils
der Gesellschaft ausser aller Berechnung liegt. Aber den verheeren-
den Zügen der Seuche, und den vielen schweren Einzeler-
krankungen kann durch Jenner's Entdeckung eine Schranke ge-
zogen werden. Gross ist schon heute der Gewinn, welchen ihr die
Völker schulden, und die Annahme wohl berechtigt, dass die allge-
meine und volle Ausnutzung des Schutzmittels im Stande sein wird,
die Blattern dauernd zu einer seltenen und, für das Ganze, unschäd-
lichen Krankheit zu machen.
Die Gefahren der Impfung.
Wird der Gewinn an Menschenleben, Gesundheit und Sicher-
heitsgefühl, welchen die Vaccine gebracht hat, durch Schädigungen
und Verluste, die untrennbar von ihr sind, nicht ausgeglichen, oder
gar überwogen? Die Gegner der Impfsache bejahen das. Seit
der Verallgemeinerung der Vaccination, so lautet ihre Behauptung,
mithin in Folge derselben, hätten einige acute Constitutions-Krank-
heiten (z. B. der Typhus), und, was schlimmer, gewisse chronische
Leiden überhand genommen; an diesen sieche jetzt die Menschheit
in ausgesprochener Weise, und es fielen ihnen ununterbrochen mehr
Opfer an Gesundheit und Leben, als je von den mörderischen
Blattern-Epidemien verschlungen worden seien. Heruntergekommene
Generationen, ein schwächliches und kränkelndes Geschlecht seien
der Preis, womit die Eindämmung der Blatternseuche bezahlt worden.
Dieser verderbliche Einfluss der Vaccination kann, durch ver-
gleichende Morbilitäts-Zahlen aus den Perioden vorher und