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Burger, Fritz [Hrsg.]; Brinckmann, Albert E. [Hrsg.]; Burger, Fritz [Bearb.]; Swazenski, Georg [Bearb.]; Grisebach, August [Bearb.]
Handbuch der Kunstwissenschaft: Einführung in die moderne Kunst — Berlin-Neubabelsberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.30443#0056
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ENGLAND

Abb. 42. Constable, The Glebe Farm. London, National Gallery (Phot. Hanfstaengl, München).

mehr nur zu charakterisieren ist durch die über Geschichte und Geschehen erhabenen Funda-
mente seines Wesens. Man muß freilich dabei bescheiden sein und darf nie vergessen, daß man
fremdes völkisches Wesen immer nur durch die Brille des eigenen sieht und wertet und seine
Außenseiterei deshalb wird nie verleugnen können. Wir bekennen dort immer zugleich, wo
wir charakterisieren und geben uns daher über der Feststellung gewisser Tatbestände doch
vor allem Rechenschaft über den Platz, den wir dem Fremden im System unserer eigenen
Anschauungen zu geben vermögen.

1.

Die Heimat moderner zivilisatorischer Ideen ist England, dagegen hat die moderne
europäische Kultur und Kunst das Heimatrecht dort nicht zu erwerben vermocht. Hinter
Englands zivilisatorischer Gewalt steht nicht die Macht einer originalen Kultur. Ihr haftet
das Bleigewicht sozialer Konventionen an. Von allen großen Kulturnationen besitzt England
das schwächste kulturelle Wachstum trotz der gewaltigen Entfaltung seiner zivilisatorischen
Kräfte. Sein alles durchdringender Utilitarismus zeigt das modern-realistische Denken von
seiner schwächsten Seite. Das kulturelle Erbe des Engländers ist frühzeitig zum Idol ge-
worden, sein soziales Leben eine Formel, hinter der sein „Ich“ sich versteckt. Deshalb war es
bis auf den heutigen Tag dem Engländer nie darum zu tun, die Welt kennen zu lernen,
sondern nur sich mit ihr auseinanderzusetzen. Es gibt keine Nation, die weniger zu
kritischer Selbsterkenntnis und Welterkenntnis veranlagt wäre, wie die englische, aber auch
keine, bei der so sehr alle geistigen und kulturellen Lebensäußerungen völkisch-englisch
wären als wie hier. Doch der Engländer hat nie gelernt, sich zu äußern als freie eigen-
 
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