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Burger, Fritz [Hrsg.]; Brinckmann, Albert E. [Hrsg.]; Burger, Fritz [Bearb.]; Swazenski, Georg [Bearb.]; Grisebach, August [Bearb.]
Handbuch der Kunstwissenschaft: Einführung in die moderne Kunst — Berlin-Neubabelsberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.30443#0069
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RUSSLAND

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Abb. 48. Alexei von Jawlensky, Männerkopf (aus Sturm,
erster deutscher Herbstsalon).

scheinung tritt. Der Menschen- und Menschheitsbegriff des Deutschen gründet sich nicht wie
der der Franzosen auf die ideale Einheitsform des Menschen, sondern auf die Idee der
Naturgemeinschaft der Menschen als einerhöheren Lebens-und Liebesgemeinschaft. Man
kann daher den Deutschen und deutsches Wesen nicht schlimmer mißverstehen, als in natio-
nalistischen Anwandlungen von der Gegenwart zu fordern, sich abzuschließen von allem
Welschen und Fremden, um eine national-deutsche Kunst rein zur Entfaltung zu bringen.
Die moderne deutsche Kunst und ihr Geist ist glücklicherweise viel zu stark, als daß ihr
solche enge, doktrinäre Schulweisheiten nochmals so schaden könnten wie in der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts.

4.

Das Volk, das sich in den jüngsten Äußerungen seiner künstlerischen Kultur, wenn
auch national gefärbt, stark an den deutschen Geist anlehnt, ist das russische. Das
russische Volk ist dasjenige, das heute vielleicht am stärksten asiatischen Geist in euro-
päischen Formen sich erhalten hat. Darin liegt wohl seine größte Bedeutung für die
Kultur Europas. Mehr als anderwärts fühlt sich hier der Einzelne getragen und geborgen
von einer unbekannten liebenden Macht, der er sich in frommer Resignation ergibt, sich
opfert, mit einem verwunderlichen Gefühl für die Hierarchie einer höheren Weltenordnung,
deren Güte er still vertraut. Mehr als anderwärts liegen da verschwistert die edelsten
religiösen Instinkte der Europäer mit roher animalischer Gewalt beisammen, die vielen Schöp.
fungen ein Organ, eine Ursprünglichkeit verleihen, die sie fürs erste ganz außerhalb des

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