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Burger, Fritz [Hrsg.]; Brinckmann, Albert E. [Hrsg.]; Burger, Fritz [Bearb.]; Swazenski, Georg [Bearb.]; Grisebach, August [Bearb.]
Handbuch der Kunstwissenschaft: Einführung in die moderne Kunst — Berlin-Neubabelsberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.30443#0111
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DIE DRITTE STILPERIODE

3. Periode 1860-1890.

Europa ist reich geworden. Reich an geistigen und materiellen Gütern. In Eisen und
Stahl hat es die Siegeszeichen seines Geistes gebaut. Stolzes Machtgefühl, schwellende
Kraft eines revolutionären Subjektivismus. Brutaler Lebensgenuß und Lebenslust daneben
(Abb. 107). Piloty und Makart sind in Deutschland, Delaroche und sein Kreis in Frankreich
die Helden der offiziellen Welt. Äußerliche Pracht, äußerliches Wissen, das Artistentum
des Könners, das die Welt am Panorama entzückt und die Kunst zum Teil zur Dirne des
gemeinen Genusses des Auges macht. Der radikale Subjektivismus einer kraft- und ziel-
bewußten jungen Künstlerschaft ruft daneben nach Freiheit und Wahrheit für Kunst und
Künstler (Abb. 106). Man kümmert sich nicht mehr um die überlieferten akademischen Regeln
zeigt die Freiheit der Natur, belauscht sie in der Zwanglosigkeit des Moments, man prägt sich
einen neuen Begriff der künstlerischen Schönheit und entdeckt einen neuen Inhalt ihres Geistes
(Abb. 109 u. 110). Der Materialismus der neuen und der romantische Idealismus, das Erbe der
alten Zeit, geben in ihrem feindlichen Gegensatz dieser Epoche ihr historisches Antlitz: Zola
und Hebbel, Liebermann und Böcklin, Nietzsche und Wagner. Hier die materialistische Lehre
von der Körperlichkeit der Welt, die Erklärung des Gedankens als physiologisches Produkt, die
Unverantwortlichkeit des individuellen Willens gegenüber der geistigen Schwerkraft von Ver-
erbung und Umgebung, die Mechanisierurig alles Geschehens und die rationalistische Erklä-
rung des Weltalls aus der Konstanz der Energie, der gleichmachende Vitalismus, der Tier,
Pflanze und Mensch auf einen Nenner des Lebens bringt, dort der Notschrei des verein-
samten Subjektes, das das geistige Fundament der Vergangenheit sich unter den Füßen
schwinden sieht und nach den sicheren Zeichen einer Halt gewährenden geistigen Gesetz-
lichkeit sucht. Mit tiefer Bitternis bekennt Ibsen in Rosmersholm: das Leben ohne Ideale
zu leben, das ist das große Geheimnis des Handelns und Siegens, und Nietzsche verkündet
im verzweiflungsvollen Stolz das Manifest derZeit: „Ich will kein Suchender mehr sein. Ich
will für mich meine eigene Sonne schaffen.“ Hier wird die Kunst zu einer besonderen

Abb. 104. Böcklin, Einsames Gestade

(Phot. F. Bruckmann A.-G., München)

(aus Burger, C6zanne und Hodler).

Abb. 105. Th. Th. Heine, Vor Sonnen-
aufgang
 
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