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Burger, Fritz [Hrsg.]; Brinckmann, Albert E. [Hrsg.]; Burger, Fritz [Bearb.]; Swazenski, Georg [Bearb.]; Grisebach, August [Bearb.]
Handbuch der Kunstwissenschaft: Einführung in die moderne Kunst — Berlin-Neubabelsberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.30443#0112
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DIE DRITTE STILPERIODE

Abb. 106. Seurat, Skizze zur Grande Jatte, Sammlung Feneon, Paris

(aus Meier-Gräfe, Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst).

Wissenschaft künstlerischer Erkenntnis, einer Wissenschaft der Tatsachen (Manet), dort,
besonders bei den Deutschen, erhebt sich die Kunst zur Religion (Wagner). Hier ist das
menschliche Subjekt nichts anders als Farbfleck gegenüber dem alles gleichmachenden Auge
des Künstlers (Impressionismus, Abb. 106), dort tut sich die ganze Kluft auf zwischen dem
beschränkten Einzeldasein, seinem Willen und dem Weltenwillen, der hier als stolzes, grauen-
haftes, gewaltiges Naturleben (Abb. 104), dort als teuflische, unheilschwangere Vitalität
(Abb. 105), gebettet in die Unnatur des menschlichen Lebens der Zivilisation erscheint. Die
Welt und das Leben werden für die Kunst problematischer Natur. Die alten Inhalte ver-
sinken und ahuend tastet man nach neuen. Der Impressionismus andrerseits bereitet durch
die radikale Neufundamentierung der künstlerischen Anschauungen auf der reinen Welt der
Erscheinung neue Möglichkeiten für die Gestaltung des Weltbildes vor. Die wertfreie
Erkenntnis der anschaulichen Zusammenhänge, die hier der naturwissenschaftliche Geist nach
sich zog, war ja eben vom Neuhumanismus schon gefordert, und innerhalb der Grenze
anschaulicher Erkenntnis ging schon der Impressionismus auf die anschauliche Ganzheit des
Geschauten jenseits rationaler Gegenstandserkenntnis aus, um erst auf Grund einer künst-
lerischen Logik sich verständlich zu machen. Freilich war diese künstlerische Logik auf
einer dogmatischen Lehre vom „Sehen“ und den optisch-physiologischen Gesetzen der Licht-
brechung und damit auf einer naturwissenschaftlichen Lehre aufgebaut.

Sie riß somit vieles nieder und schuf vieles Neue. Aber ihr Wert besteht eben in dieser
radikalen „Reinigung der künstlerischen Einbildungskraft“, die W. v. Humboldt
 
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