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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 11.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.7189#0001
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Chriſtliche

Kunſtblätter.

Organ des chriſtlichen Knnſtvereius der Erzdiöceſe Freiburg.

(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 121.

Domine dlexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

1872.

Dr. A. W. Ambros über italieniſche Kirchenmuſik.

zu ſagen, die köſtlichen kleinen dreiſtimmigen Epiſoden des tuba
mirum, liber scriptus u. ſ. w., welche den exakteſten Vortrag
verlangen, gingen höchſt bedenklich ungenau. Von ungleich feier-
licherer Wirkung iſt es, wenn irgendwo ſtatt figuraler Compo-
ſitionen der bloße Cantus planus geſungen wird, wie dieß
einige Wochen ſpäter bei der Beſtattung des Grafen Ludwig
von Stainlain (beiläufig geſagt, eines ſehr talentbegabten Ton-
ſetzers) in der Kirche S. Sabina auf dem Aventin geſchah.
Man begreift hier erſt ein in der Geſchichte immer wieder er-
zähltes, aber insgemein mißverſtandenes Factum, wie es bei
dem Tridentinum, trotz der herrlichen Compoſitionen eines
Morales, Goudimel, Animuccia, Coſtanzo Feſta u. ſ. w., in
Frage kommen konnte, den kunſtvoll vielſtimmigen Geſang ab-
zuſchaffen und ſtatt deſſen bloß die rituellen gregorianiſchen
Jntonationen einzuführen, — man begreift erſt dieſe Klagen
über das ,,Durcheinanderſchreien der Sänger, bei welchem keine
einzige Silbe des Textes zu verſtehen ſei'', den derben Witz des
Cardinals Capranica, welcher meinte: ,,es klinge wie ein ge-
ſchüttelter Sack voll Ferkeln.'' An den uns noch jetzt Schwarz
auf Weiß vorliegenden Compoſitionen lag der Fehler auf keinen
Fall, vermuthlich aber in der Ausführung, die auf vielen
Kirchenchören ſicher nicht die beſte war. So wahrhaft über-
irdiſch der Paleſtrinaſtil bei gutem Vortrage iſt, ſo unleidlich
wird er bei auch nur mittelmäßigem, wie denn auch eine
Raphael'ſche Madonna in einer mittelmäßigen Copie um deſto
unausſtehlicher ausfällt, je himmliſcher das Original iſt. Jch
fürchte, der wahre Paleſtrinageſang wird gerade in ſeiner Hei-
math bald auch eine verſchollene Tradition ſein. Es macht
einen tragikomiſchen Eindruck, die lange, glorreiche Reihe der
Paleſtriner, einen wahren Triumphzug des Geiſtes und der
edelſten Schönheit, durch die nachwackelnde Geſtalt des alten,
dicken Muſtapha beſchloſſen zu ſehen! Die Kirchenmuſik nach
modernem Zuſchnitte aber holt ſich ihre Phraſeologie aus dem
Operntheater, der Jtaliener will in der Kirche dieſelben Motive,
Schnörkel, leidenſchaftlichen Accente und Drucker hören, an die
er ſich in der (modernen) Oper gewöhnt hat. Die Soliſten in
der Kirche, meiſt Naturaliſten mit prächtigen, aber ungebildeten
Stimmen, legen los, wie etwa die Straßenſänger vor den
Kaffeehäuſern, an welche ſie in ſehr bedenklicher Weiſe erinnern

Der berühmte Muſikhiſtoriker Dr. Ambros in Wien
ſchildert in ſeiner neueſten ,,Bunte Blätter'' (Leipzig 1872,
S. 30 ff.) betitelten Schrift die kirchenmuſikaliſchen Zuſtände
Jtaliens folgenderweiſe:
Jn dem Sängercollegium der päpſtlichen Kapelle zu Rom
haben ſich allerdings Compoſitionen des Paleſtrinaſtiles erhalten,
man hört an beſtimmten Tagen gewiſſe Stücke von Paleſtrina,
Morales, Allegri, Biordi, Pitoni u. ſ. w. Die Jmproperien
am Charfreitag, das Miſerere ſind noch jetzt in ihrer Art er-
ſtannliche Leiſtungen. Aber, unbegreiflicher Widerſpruch, die-
ſelben Sänger, welche hier an Reinheit der Jntonation, an
feinſter Nüancirung, an ſeelenvollem Ausdrucke nichts zu wün-
ſchen übrig ließen, ſchreien bei der nächſten ,,Capella papale''
in der nicht großräumigen Sixtiniſchen Kapelle ihren Paleſtrina
ſo unglaublich roh und ſeelenlos herunter, daß man deu eigenen
Ohren nicht traut und ſie ſich lieber zuhalten möchte. Crier
comme une aveugle ſagen die Franzoſen, ſtatt deſſen könnte
es auch heißen: Crier comme un chanteur de la chapelle
du pape. Noch unter Baini's Leitung wurden die Leiſtungen
der Kapelle als ganz vorzüglich gerühmt. Baini ſtarb am
21. Mai 1844 zu Rom; es hat von da kein Vierteljahr-
hundert gebraucht, um die Kapelle zu dem zu machen, was
man jetzt zu hören bekommt. Und ſchon hat auch die berühmte
Charwoch-Muſik der Sixtina in neueſter Zeit ihren bedenklichen
Riß bekommen. Am Mittwoch der Charwoche 1866 wurde
Allegri's, am Charfreitage Baini's Miſerere geſungen, am
Donnerſtag ein neues Miſerere von — Abbate Muſtapha, dem
alten Sopran der Kapelle. ,,Prophete rechts, Prophete links,
Muſtapha in der Mitten.'' Ernſtere Kunſtfreunde ſchüttelten
über dieſe Vermuſtaphirung der Sixtina die Köpfe, und es
mag wohl der Name daran ſchuld ſein, wenn mir für meine
Perſon ein ſehr bekannter Refrain aus dem ,,Italiani in Algeri''
vor den Ohren ſummte. Am 21. April 1868 wurde in der
deutſchen Kirche dell' Anima das Requiem für den König Ludwig
von Bayern gefeiert. Die päpſtliche Kapelle ſang dazu, und
unter anderm das Dies irae von Pitoni. Wie roh und hand-
werksmäßig dieſe feine Compoſition ausgeführt wurde, iſt nicht
 
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