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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 11.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.7189#0025
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Chriſtliche

Kunſtblätter.

Organ des chriſtlichen Knnſtvereins der Erzdiöceſe reiburg.
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Nro. 127.

Domine dilexi decorem domus tuae. Ps. 25, 8.

1872.

Die Muſik der vorchriſtlichen Völker. J

Nach dem Zeugniß der Geſchichte iſt im Leben der Völker
ein großer und guter Theil aller leiblichen, geiſtigen und ſitt-
lichen Charakterbildung von der Muſik *) ansgegangen. Die
Muſik bildet in dem Cultus aller hiſtoriſchen Völker zu allen
Zeiten einen weſentlichen Beſtandtheil der Gottesverehrung und
ebenſo iſt überall in dem kriegeriſchen, politiſchen und ſocialen
Leben der Völker die Muſik eine bewegende Kraft. Jede fremde
Muſik aber, behaupteten die Alten aus Erfahrung, verderbe den
Volkscharakter; nur die wahre, ächte, nationale Harmonie er-
halte Leib und Seele geſund, das Haus und die Stadt, die
Schiffe und das Heer, Alles wohl temperirt.
Pythagoras gab der Muſik, die als Kunſt der geord-
neten Töne das Abbild der Harmonie des Weltalls iſt, die
Beſtimmung, dem erregten Gemüthe das rechte Maß wieder-
zubringen und die Seele harmoniſch zu ſtimmen; ſie ſoll eine
Heilung der Disharmonien an Leib und Seele bewirken. Man
erzählt, er habe lindernde Lieder gehabt, um ſowohl die Leiden
des Leibes zu heilen als die der Seele, Betrübniß und Schmerz,
Zorn und Aufwallung und jede böſe Begierlichkeit und Seelen-
verwirrung. Er nannte dies eine Reinigung der Seele durch
Muſik. Darum hat er, wie er ſelbſt gethan, es ſeinen Schülern
zur Pflicht gemacht, daß keiner Abends zur Ruhe und am
Morgen zur Arbeit gehe, ehe er nicht zuvor ſeine Seele durch
Muſik gereinigt und harmoniſch geſtimmt hätte **) Seine Ge-
ſänge waren ernſte, einfache, altdoriſche Weiſen, geiſtliche Lieder.
Die beſte Muſik, ſagt Platon, ſei nicht, welche das meiſte
Vergnügen mache, ſondern welche den Edelſten gefällt. Die

Anſicht, daß Muſik zum Vergnügen diene, der Seele eine an-
genehme Empfindung geben ſolle, iſt falſch und verwerflich. Die
Muſik ſoll Liebe zum Guten, Haß und Tadel des Schlechten
einflößen, auf daß man durch ſie ſchön und gut werde.)
Nichts dringt ſo tief in die Seele und haftet dort ſo feſt, wie
Rythmus und Harmonie, darum macht gute Muſik den Hörer
edel und gut, ſchlechte verdirbt ihn. Syntoniſche und myro-
lydiſche Harmonien, die kläglich, erweichend, herabſtimmend,
erſchlaffend, ſelbſt für Weiber nicht zweckmäßig ſind; lydiſche
und joniſche Harmonien, die weich — üppig ſind, ſollen nicht
geduldet werden, und wenn irgendwo üppiges Leben und Ver-
weichlichung eingeriſſen, ſo iſt durch Verbannung ſolcher Muſik
ein glücklicher Anfang zur Reform gemacht. Denn ſo wie ein
Menſch, der unter Schlechtgeſinnten lebt, wenn er ihnen
irgendwo beipflichtet, ſich von ihrer Schlechtigkeit nicht wird
frei halten können, ſo iſt es auch mit üppigen Weiſen. Darum
ſollen im Staate nur zweierlei Harmonien angewendet werden:
nämlich die doriſche, welche gehörig nachahmen würde Ton und
Ausdruck eines Tapfern, der in kriegeriſchem Handeln oder
irgend einer andern gewaltſamen Thätigkeit begriffen iſt und,
unbegünſtigt vom Glucke, in Wunden oder in den Tod gehend,
oder von einem andern Unfall betroffen, überall ſtandhaft und
ausdanernd gegen das Schickſal ſich wehrt; und dann die phry-
giſche für den Mann, der in friedlichem und nicht gewaltſamem,
ſondern zwangloſem Handeln begriffen iſt, entweder einen über-
redet oder bittet, ſei es einen Gott durch Gebet oder einen
Menſchen durch Lehre und Ermahnung, oder im Gegentheil
einem andern bittenden oder belehrenden oder ihn umzuſtimmen
verſuchenden ſein Ohr leiht und dann Alles nach Wunſch gehen
ſieht und nicht übermüthig iſt, ſondern dabei überall beſcheiden
und mäßig handelt und mit dem, was kommt, zufrieden iſt.
Jn der Erziehung (Bildung des Leibes und der Seele) müſſen
Gymnaſtik und Muſik einander ergänzen. Die Jugend ſoll die

*) Von Pfarrer Joſeph Gabler in Habert's ,,Zeitſchrift für kath
Kirchenmuſik'. Vergl. Ambros, Geſchichte der Muſik J. Band.
Laſſaulx, Philoſophie der ſchönen Künſte. Zimmermann, Ge-
ſchichte der Aeſthetik.
v) Unter Muſik verſtanden die Griechen die muſiſche Kunſt, den
Unterricht in der Religion, Poeſie und Muſik. Jn der folgenden
Auseinanderſetzung wird demnach das Wort Muſik bald in dieſem
weiteren, bald in dem bekannten engeren Sinne zu nehmen ſein.
**) Ein altindiſches Königsgeſetz ſchreibt in gleicher Weiſe vor,
daß der König einſchlafen ſoll uͤnter Muſik und erwachen unter Muſik.

*) Der arabiſche Weltweiſe Hadji Thalfa lehrte, ,,daß die durch
die Melodien entzückte Seele ſich nach der Anſchauung höherer Weſen
ſehnt, nach der Mittheilung einer reineren Welt, ſo daß auch die von
der Dichtheit der Körper verdunkelten Geiſter durch ſie vorbereitet und
empfänglich werden zum Umgange mit den Lichtgeſtalten, die um den
Thron des Allmächtigen ſtehen.
 
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