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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 11.1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.7189#0034
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— 220 —

einer ſüddeutſchen Kunſtakademie ſtammen, in welcher gleich-
ſam genannte Richtung gipfelt. Es ſind dies das Reforma-
tionszeitalter, der Peter Arbues, der Todtentanz und die ſoge-
nannten Conciliumsbilder.
Obwohl die Geſchichte über dieſe und alle geiſtesverwandten
Werke richten und ſie als einen Schandfleck der deutſchen Kunſt
des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnen wird, ſo können wir
als Zeitgenoſſen dieſer Ereigniſſe trotzdem nicht ſchweigen, weil
die dem Zeitgeiſte dienſtbare Preſſe ſich die Verherrlichung und
Verbreitung ſocher ,, Kunſtwerke'' zur Aufgabe macht, und hier-
aus Plan und Abſicht nur zu deutlich hervorleuchtet. — Darum
halten wir uns vor Gott, der Mit- und Nachwelt verpflichtet,
dieſen höchſt beklagenswerthen Erſcheinungen gegenüber, unſerer
katholiſchen und künſtleriſchen Ueberzeugung öffentlichen Ausdruck
zu geben, zum Zeugniſſe der Wahrheit, zur Ehre deutſcher
Kunſt.

Jnnsbruck, am Feſte Maria Verkündigung 1873.

Raulbach's Nero.

Cäſar die Leier hält, ſtatt des drohenden prophetiſchen Knaben
den zürnenden Paulus in der gleichen Attitüde; im Uebrigen
Martern und Henker, jammernde Weiber und Unglücksſcenen
hier wie dort. Nero ſteht als Apollo auf einer ſtufenreichen
Eſtrade vor der Pforte ſeines neuen goldenen Hauſes, ſchwingt
in der Rechten einen epheubehangenen Pokal und ſingt ein Lied,
wozu er aus der von ſeinem Lieblingsknaben Sporus gehaltenen
Leyer einen Accord greift. Die Frage nach der natürlichen
Möglichkeit in Handlung und Stellung beider Fignren laſſen
wir dahingeſtellt. Links vom Beſchauer klatſcht an der Spitze
zahlreich verſammelter Senatoren und Prieſter der verſchmitzt
lächelnde Schmeichler Tigellinus Beifall. So lebenewahr die
Geſtalt des berüchtigten Praefectus praetorio auch augefaßt
iſt, ſo dürfte deſſen Charakteriſtik doch etwas zu genrehaft be-
handelt ſein. Auf der rechten Seite nähert ſich eine Schaar
bacchantiſcher junger Römerinen, welche dem Cäſar ihre Hul-
digung durch Geberden, Opferung und Libationen darbringen.
Wenn allerdings eine derartige öffentliche Orgie ſelbſt zu Nero's
Zeiten nicht ſtattfand und nur ein Privatiſſimum der vornehmſten
Schwelger war, ſo gibt ein derartiger Aufzug dennoch maleriſch
das deutlichſte Bild für den geſunkenen ſittlichen Zuſtand der
damaligen römiſchen Frauenwelt. Jſt hier oben durch Nero
und ſeine Umgebung die römiſche Welt in ihrer extremſten
Verdorbenheit dargeſtellt, die nothwendig zur Auflöſung der
antiken Kultur führen mußte; ſo gewahren wir auf beiden
Seiten unten die Anfänge des Chriſtenthums, das durch Mar-
ter und Tod zum neuen Leben der Zukunft hindurchdringt.
Eine mit einer Stelle des Tacitus beſchriebene Tafel gibt uns
die Anſicht des damaligen Staates: daß das Chriſtenthum ein
verderbſicher Aberglaube — superstitio exitiabilis — ſei und
folglich ausgerottet werden müſſe. Dieſer Staatsraiſon werden
nun Opfer geſchlachtet ohne Rückſicht auf die heiligſten menſch-
lichen Jntereſſen. Ein Vater wird aus dem Kreiſe ſeiner
Familie geriſſen, an einen Pfahl gebunden, mit einem Pechſack
angethan um als Fackel die Nacht zu erhellen. Jn einer herz-
bewegenden Abſchiedsſcene hebt die verlaſſene Gattin ihr Kind
an den Mund des Vaters, daß es den letzten Segenskuß er-
halte. Von vorzüglicher Meiſterſchaft in Erfindung und Aus-
führung aber iſt die Kreuzigung des Petrus, der ſoeben
kopfunter aufgerichtet wird, während ein Apoſtelſchüler ihm den
Mund und eine Frau im höchſten Schmerze den linken Arm
küßt. Dieſe ſchöne uud ergreifende Gruppe hat das eigen-
thümliche, daß man Kaulbach's gewohnte Art kaum mehr er-
kennt: hier iſt er über ſich hinausgegangen und hat ſich ſelbſt
übertroffen. Dafür iſt er in der gegenüberſtehenden Gruppe,
deren Mittelpunkt Paulus iſt, um ſo tiefer wieder in ſich
ſelbſt zurückgeſunken.
Zwar ſcheint uns auch die ſoeben beſprochene Seite nicht
ohne Fehler, indem ſie einige Figuren enthält, die reine Lücken-
büßer ſind. Dazu zählen wir die auf den oberſten drei Stufen
liegende üppige Martyrin mit ihren zwei Kindern, von der
man nicht denken kann, wie ſie hat dahin kommen können.
Ebenſo iſt das hart daneben koſende Pärchen nur des grellen
Contraſtes wegen hingeſtellt. Doch das iſt nur ein Zuviel und
bezieht ſich nur auf Nebendinge. Aber auf der andern Seite
iſt die Hauptſache verfehlt, nämlich Paulus, den man auf
den erſten Blick gar nicht erkennt und nur mit Hilfe des er-
klärenden Zettels herausfindet. Es iſt ein ganz moderner Menſch,
irgend ein Pariſer Jude oder Literat, der wohl Novellen und
Romane, politiſche und ſociale oder ſonſtige offene Bri! aber
nicht eine Zeile im Geiſte Pauli an die Römer oder Aher
zu ſchreiben im Stande wäre. Ein Paulus muß auch im Bild
jenen Charakter tragen, den ihm Schrift und Tradition zuweiſen
und den ihm die chriſtliche Kunſt zu allen Zeiten gegeben hat.
Es iſt ein Wagniß, mit einem neuen fremdartigen und pro-

München, 17. März. Mit dem Heutigen endigte die
Ausſtellung der Kaulbach'ſchen Compoſition: Nero, welche in
der verlaufenen Woche das Tagesgeſpräch aller Kunſtfreunde
bildete und als geiſtanregendes Ereigniß das Urtheil derſelben
herausforderte. Man darf es ſo ziemlich als etwas Ausge-
machtes bezeichnen, daß von den urtheilsfähigen Beſchauern
wohl faſt alle ohne Ausnahme darin übereinſtimmen, daß auf
dieſem Bilde die Technik kunſtfertiger Darſtellung, die Ge-
wandtheit der Zeichnung verbundeu mit der minutiöſeſten Aus-
führung des Kleinſten hier einen Grad der Vollkommenheit
erreicht haben, der kaum mehr übertroffen werden kann. Dabei
ſind die vier oder fünf Hauptgruppen mit ihrem ſie abglie-
dernden Zubehör mit einem ſolchen Geſchick geordnet und die
craſſen Gegenſätze mit einem ſolchen Raffinement gegeneinander-
ſtellt und gemiſcht, daß man den Eindruck begreift, der die
Beſchauer aller Richtungen und Parteien zu bekennen nöthigt,
daß hier etwas ganz Außerordentliches geleiſtet wurde. Auch
wir, dem Worte Pindars huldigend: ,,daß man auch den Geg-
ner loben müſſe, wenn er etwas Schönes that'', bewundern
aufrichtig nicht blos die äußere Virtuoſität, ſondern auch manche
geniale Conception im innern Vorgang des Werkes, wenn wir
auch im Chorus des Lobgeſanges nicht mit denen ſingen wollen,
die deſſen kein Ende zu finden wiſſen. Wir haben über man-
ches unſere eigenen Bedenken, die keineswegs aus einer Vor-
eingenommenheit entſpringen, und zur richtiger Würdigung des
Bildes vielleicht einiges beitragen.
Beim erſtenBlick, den man auf das Bild wirft, kommt es
einem vor, als hätte man es ſchon irgendwo geſehen: ſo ſehr
erinnert es durch ſeinen Aufbau, ſeine Anordnung, ſeine Figuren
rc. an frühere von Kaulbach geſchaffene Compoſitionen. Dieſe
Reminiscenzen, um nicht zu ſagen Widerholungen, bilden nun
einmal ſeine Manier, ſeine ,, Hand'' und haben für ihn wenig-
ſtens den Vortheil, daß man ſeine Werke jetzt und künftig leicht
erkennen und mit andern nicht verwechſeln wird. Unwillkürlich
erinnert man ſich ſogleich an ſeine Zerſtörung Jeruſalems, an
ſeine Reformation, an die Ermordung Cäſars, an verſchiedene
Geſtalten aus den Göthebildern und vor allem an den Arbues.
Jn der That ſcheint uns dieſer mittelſt einer glücklichen Ver-
tauſchung von Gegenſätzen nur in eine andere, rauſchendere
Tonart überſetzt zu ſein. Aus dem magern häßlichen Arbues
iſt der üppige, weißgekleidete Nero geworden, ſtatt der finſtern
Mönche ſehen wir lachende Mänaden, ſtatt des jugendlichen
Kloſterbruders, der den Jnquiſitor ſtützt, den Sporus, der dem
 
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