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eine ununterbrochene Vorbereitung auf den Uebergang dorthin
geweſen waren. Die letzte Kunſtſchöpfung Achtermann's iſt
eine Gruppe: ,,Chriſtus am Oelberg'', die er jedoch unvollendet
läßt. Noch in der vorigen Woche machte er den Verſuch,
wieder daran zu meißeln, aber dabei paſſirte ihm das Malheur,
daß er dem Engel den Fuß abſchlug. Er pflegte im ver-
traulichen Geſpräche ſehr gern zu erzählen, ſeine Mutter
habe ihm ſtets geſagt, daß er zur Welt gekommen, während
die Glocken zum Gloria läuteten. An ſeinem Sterbetage war
in Rom gebotener Feiertag zu Ehren des Stadtpatrons
Philippus Neri und im Moment, wo Wilhelm Achtermann's
fromme Seele in den Schooß ihres Schöpfers emporflog,
ertönte von Hunderten von Kirchenthürmen der Glockenruf
zum Hochamt. Achtermann wird ſeinem Wunſche gemäß im
Mittelpunkt des deutſchen Gottesackers vor dem von ihm
geſchenkten Crueifix ſeine letzte Ruheſtätte finden.
Wir erlauben uns noch folgende Notizen, die wir vor
mehr als 30 Jahren, als wir Achtermann in Rom per-
ſönlich kennen lernten, niederſchrieben, hier beizufügen:
Edle, deutſche Biederkeit und frommer Sinn ziert den
Weſtphalen Achtermann, einen der tüchtigſten Bildhauer in
Rom, deſſen Atelier auf Piazza Barberini wir jetzt beſuchen.
Achtermanns Perſönlichkeit hat ungemein viel Aehnliches
mit den einfachen, kunſtſinningen Meiſtern des Mittelalters.
Die ſchlanke Geſtalt, das große, treuherzig blickende blaue
Auge, das lange Haar nnd der volle Bart, urſprünglich
blond, jetzt faſt weiß, dieß Alles entſpricht harmoniſch dem
Weſen und Wirken des beſcheidenen katholiſchen Meiſters.
Lebendiges Gottvertrauen im Bunde mit naturwüchſiger
Kraft und heiliger Begeiſterung für dieſe Kunſt haben dieſen
merkwürdigen Mann die ſchwierigſten Verhältniſſe überwinden
gelehrt. Die Biographie dieſes Künſters könnte einem Roman-
ſchreiber reichhaltigen Stoff zur Darſtellung der eigenthüm-
lichſten Situationen bieten. Bis in ſein dreißigſtes Jahr
präſentirt ſich Wilhelm Achtermann, der Sohn eines Schreiners
aus Münſter, als ein derber weſtphäliſcher Bauernjunge, der
von dem Amte eines Gänſe- und Schweinehirten bis zu dem
Rang eines Ackerknechtes emporſteigt und nebenbei ſich in
kleinen Holzſchnitzereien übt. Einige dieſer Schnitzereien zogen
die Aufmerkſamkeit des damaligen Oberpräſidenten von Weſt-
phalen, des Hrn. v. Vincke, auf ſich, welcher den talentvollen
jungen Mann unter Zuſicherung einer mäßigen Unterſtützung
zu ſeiner weiteren Ausbildung an den Berliner Profeſſor
Rauch empfahl. Daraufhin begab ſich der ſchon zweiund-
dreißigjährige Achtermann, arm und zu Fuß, aber voll fröh-
lichen und feſten Gottvertrauens, auf einer damals noch langen
und beſchwerlichen Reiſe in die feingeſchmäckige preußiſche
Hauptſtadt. Anfangs zwar entſprach der noch ungeübte und
ungelenkige Schüler nicht in allen Beziehungen dem Berliner
Optativ, bald aber erwarb er ſich durch ſein Talent und ſeine
zähe Ausdauer die Achtung und das Vertrauen ſeiner Lehrer.
Dennoch hatte Achtermann lange Zeit mit der bitterſten Noth
zu kämpfen, in welcher ihn nur Gebet und Gottvertrauen
aufrecht hielt. Eine von ihm erfundene Pflugverbeſſerung
verſchaffte ihm für einige Zeit die nothdürftigſten Subſiſtenz-
mittel; auch nahm ſich der wackere Küſter an der kathol.
Kirche zu Berlin des braven, armen Künſtlers an und er-
wirkte ihm die Erlaubniß, ſeine Werkſtätte in der Balg-
treterkammer aufzuſchlagen. Mehrere künſtleriſche Arbeiten,
die vielen Beifall ernteten, darunter ein Crucifix in Lebens-
größe für die katholiſche Kirche, verſchafften Achtermann
einen künſtleriſchen Auftrag von Seiten des preußiſchen
Cultusminiſters v. Bethmann Hollweg und überdieß
die Gelegenheit, das beſtellte Werk in Jtalien auszuführen.
Wie glücklich fühlte ſich der ſtrebſame Künſtler, Jtalien,

das Land der Kunſt, zu ſehen! Aber auch in Rom mußte
ihm ſein heiteres Gottvertrauen und die Liebe zur Kunſt
alles Andere erſetzen, weſſen ſonſt der Menſch und ins-
beſondere der Künſtler in fremdem Lande bedarf. Die erſten
nöthigſten Vorlagen, um künſtleriſch wirken zu können, ver-
ſchaffte ihm der jetzt in der Erzdiöceſe Freiburg in der
Seelſorge wirkende Canonicus Thommes, welcher ihm
nach und nach 1500 Franken zinslos vorſtreckte. Allein die
großen Auslagen des Künſtlers für Modelle, Marmor und
andere techniſche Requiſiten brachten Achtermann bald in
neue Verlegenheiten. ,,So hatte ich denn'', erzählt Achter-
mann in treuherziger Weiſe in ſeiner von Diöceſanconſer-
vator Zehe zu Münſter veröffentlichten Biographie, ,,während
der erſten Jahre in Rom all' mein Erſpartes auf die Aus-
führung eines Crucifixes verwendet und war nach und nach
tief in Schulden gerathen, ſo daß ich jeden Augenblick fürchten
mußte, in den Schuldthurm geführt zu werden. Jch hatte
mich in meinen Ausgaben immer mehr eingeſchränkt, und
es war eben der dritte Tag, daß ich nichts mehr gegeſſen
hatte; ich ſaß troſtlos in meiner offenen Werkſtatt und ſtarrte
meinen Chriſtus an, denn zum Arbeiten hatte ich keine Kraft
mehr. Jch betete juſt leiſe vor mich hin, als ein Reiter des
Weges kam, ſein Pferd anhielt und mein Crucifix lange
ſchweigend betrachtete. Zuletzt ſtieg er ab und fragte mich,
ob die Arbeit beſtellt ſei, und ritt fort, ohne weiter etwas
zu ſagen. An dieſem Tage erhielt ich wieder drei Bajocchi
(etwa fünf Kreuzer) von einem Freund geborgt, kaufte mir
Brod damit und- ſah mit Unruhe dem Morgen entgegen.
Er kam und mit ihm zwei Wagen voll Damen, der Herr,
welcher der Fürſt Aldobrandini war, ſeine Frau, eine ge-
borene Herzogin von Aremberg, und noch mehrere Andere.
Sie fragten mich allerhand aus und freuten ſich an meinem
Chriſtus. Jch hatte in dem elenden Stalle, wo ich arbeitete,
nur zwei Stühle und wollte ihnen ein Brett darauf legen
in meiner Verlegenheit, damit ſie Alle ſitzen könnten. Sie
fragten mich nun, was ich für meine Arbeit verlange, und
als ich ihnen antwortete, ich würde nehmen, was ſie mir
geben wollten, ſie möchten es ſelber ſchätzen, ſo ſagten ſie
dies zu und fuhren fort. Am andern Morgen kamen ſie
wieder, aber nun hielten gar vier Wagen voll an meiner
Werkſtatt, ſo daß ſie ſchier nicht Alle Platz hatten zum
Stehen in derſelben. Sie lobten Alle die Arbeit ſehr und
die Fürſtin ſagte endlich zum Bedienten, er ſolle aus dem
Wagen holen, was ſie für mich mitgebracht habe. Der
brachte eine ſchwere Taſche und ſie zählte mir daraus eine
Rolle Gold nach der andern auf, bis ich endlich ſagte:
aber das iſt ja zu viel, Frau Fürſtin; ſie aber meinte, es
wäre ſchon recht, grüßte und fort war ſie. — Jch aber
war ordentlich beſtürzt über mein Glück, meine Hände zit-
terten, als ich die ſchweren Goldrollen zuſammenpackte und
ſie, nach Hauſe gehend, unter dem alten zerriſſenen Mantel
zu verbergen ſuchte; ich meinte, Jedermann müſſe es mir
anſehen, was ich für einen Schatz mit mir ſchleppte. Mit
welch' leichtem Herzen ich indeß wieder aufwachte am Morgen,
mit welchem Vergnügen ich ſeit langem wieder ein Mal
Kaffee trank, ſogar mit zwei Brödchen, das werdet ihr euch
denken! Jch konnte nicht nur meine Schulden bezahlen,
ſondern auch gleich wieder eine große Arbeit anfangen, und
es ging mir längere Zeit wieder recht gut.'' — Jn dieſen
Mittheilungen des katholiſchen Künſtlers liegt das charakteri-
ſtiſche Bild ſeines Weſens. Eine Frömmigkeit, die man naiv
nennen könnte, bildet den Grundzug desſelben; es geſellen
ſich dazu ein geſunder Verſtand, ein in der Schule des
Lebens geübter practiſcher Sinn und ein gewiſſes tactvolles
Zurechtfinden in den verſchiedenſten Verhältniſſen. Dem
 
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