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— 82 —

ſelbſt den Zauber venetianiſcher Farbe. Hier ſtellt ſich uns
ein Kampf dar, deſſen Wahlſtatt die innerſte Seele iſt, und
dieſer Kampf iſt durch das Werk einer Kunſt geſchildert,
die der Macht des Wortes entbehrt, die nur einen Moment
zu bannen vermag und doch ſo beredt ſpricht. Wir haben
hier eine gemalte Pflichtencolliſion ernſteſter Natur vor uns
und lernen das gewaltige Seelenleiden aus dem Gemälde
beſſer kennen, als durch Schilderungen vermittelſt des Wortes.
Siehe, lieber Leſer, das Ringen der vor die Entſcheidung
geſtellten Brüder, bei denen nicht einmal ſo ſehr die Pflicht
der Liebe gegen die Kinder und Ehegatten, als vielmehr
die Pflicht gegen die alten Eltern in Colliſion mit der
Glaubenspflicht erſcheint! Auf den Abſchied von Gatten
und Kindern halten ſie wohl im Geiſte ſich ſchon vorbereitet,
denn ihnen zu begegnen, mußten ſie erwarten. Aber daß
die uralten Eltern ſich noch herbeiſchleppen würden und
ließen, darauf waren ſie nicht gefaßt! Und nun nimmt ihr
Anblick ihr ganzes Jntereſſe in Anſpruch; die Jugend mag
ſich ja ſelbſt helfen, ſie überſteht ja alles; aber die Eltern
in ihrem Greiſenalter! Der Pinſel des Malers ſtellt ergreifend
dar, wie menſchlich und erklärlich das Schwanken der Brüder
iſt; aber ſiegreich und herrlich ſchildert er auch die einzig
richtige Löſung der Colliſion, den Triumph der höheren
Pflicht. Das mächtige sursum corda, das in der Geſtalt
des Sebaſtian verkörpert iſt, beendet alles Zaudern und
Schwanken, ruft mit überwältigender Macht den Grundſatz
der chriſtlichen Moral in Erinnernng, daß die höhere Pflicht
der niedrigeren vorgehe. Dieſe Predigt der chriſtlichen Moral
wird noch dadurch in ihrem Eindruck gehoben, daß die aus-
gezeichnet vertheilte Compoſition Sebaſtian gerade in die Mitte
des Bildes rückt; er iſt durch ſeine wahrhaft chriſtliche Ge-
ſinnung ſo recht die feſte Säule, der ſichere Halt für die
ſchwankenden Gemüther, gegen die verführeriſchen Einflüſſe.
Ja, herrlich iſt dieſes Bild des Paul Veroneſe; aber
das Herrlichſte auf demſelben iſt die Lehre, die es ertheilt,
und der Kämpe Gottes, welcher der Mittelpunkt des Bildes
iſt — ein Mann, wie ſein Name, ,,erlaucht und ehrwürdig'',
ein Herold Gottes, ein Charakter ganz und gar. Seien
wir ihm ähnlich!

Da knieen ſie auf den Stufen der Treppe, ihre Frauen,
ihre Töchter, ihre Söhne, das kleinſte Kind noch auf dem
Arm der Mutter. Jhre knieende Stellung, ihre flehende
Haltung iſt eine laute Bitte, ihr Bekenntniß zurückzunehmen,
iſt eine verwurfsvolle Frage: könnt ihr uns ſo verlaſſen?
Dieſe Frage und Bitte liegt auf dem ſchmerzlich bewegten
Antlitz der Erwachſenen, ſie glänzt in den wehmüthig lieb-
lichen Geſichtern und Augen der Kleinen. Doch nicht auf
die Frauen, nicht auf die Kinder ſchaut der Blick der Beiden.
Eben haben ſie den Schritt aus dem Palaſt geſetzt; ihr
Antlitz iſt von Kerkerluft verdunkelt, ihr Haar wirr, die
Hände gefeſſelt und durch ſchwere Ketten ſchmerzlich mit
den Füßen verkoppelt. Jn ihrem Antlitz liegt tiefſte Be-
wegung; unverwandt iſt der Blick des Einen nach links,
der des Andern nach rechts gewendet. Was zieht hier ihre
Aufmerkſamkeit an, ab von den Gatten und Kindern? An
die Seite des Einen hat ſich die alte hochbetagte Mutter
gedrängt. Jn höchſter Aufregung, von welcher die aufge-
lösten Gewänder und fliegenden Haare, die weit ausge-
breiteten Arme zeugen, in ungeſtümer Haſt überhäuft ſie
ihn mit Bitten, Klagen, Vorwürfen, Beſchwörungen. Ver-
gebens ſucht der Sohn mit der einzigen freien Hand, mit
ruhiger Rede ſie zu beſchwichtigen; der Strom aus dieſem
geöffneten Munde wird nicht ſo bald verſiegen und er gießt
dem Sohn bittere Sorgen in's Herz, welche ſeine gewonnene
Ruhe, ja ſelbſt die Feſtigkeit ſeines Vorſatzes gefährden.
Und ein noch überwältigenderer Anblick bietet ſich dem
andern Martyrer. Da wankt einher, von zwei kräftigen
Männern gehalten, eine ehrwürdige Greiſengeſtalt, der
wohl faſt hundertjährige Vater. Auch ſeine Arme breiten
ſich aus, dem Sohn entgegen, aber ſeine Haltung iſt ruhiger
als die der Mutter. Sein Schmerz iſt ſtill und wortlos;
tiefſter Mannesſchmerz redet ja nicht; die ganze Geſtalt
bebt, innerlichſt erſchüttert; die Lippen zucken und zittern,
Thränen füllen die Augen. Kein Wort ſpricht er, und
doch, wie viel ſagt er! Der Sohn iſt ganz hingeriſſen vom
Anblick des Vaters; ſeine Seele droht unterzugehen im
Kummer des Greiſen und ihre ganze Haltung und Feſtigkeit
zu verlieren. Man liest auf dem Geſicht der beiden Mar-
tyrer das Widerſpiel des furchtbaren Kampfes in ihrer
Seele, wo die mächtigſten Gewalten mit einander ringen,
natürliche und übernatürliche Liebe, Glaubenspflicht und
Kindespflicht, Pflicht der Lebensopferung und Pflicht der
Lebenserhaltung. Man könnte zweifelhaft ſein, wie die
Entſcheidung fällt; aber das Höhere erhält einen kräftigen
Bundesgenoſſen. Vor den Martyrern ſchreitet Sebaſtian
einher in der Panzer-Rüſtung eines kaiſerlichen Haupt-
manns. Er erkennt den Ernſt der Situation und ſieht, wie
in den Brüdern der Menſch über den Chriſten zu ſiegen
droht. Da wendet er ſich um und richtet ſeinen Blick voll
feſter Entſchloſſenheit auf ſie; ſein Mund iſt geöffnet zu
kräftiger Rede; welches der Jnhalt derſelben iſt, verräth
ſeine hocherhobene Rechte, die zum Himmel weist. Den
Erfolg und Sieg vermag der Maler nicht mehr zu ſchildern;
er müßte ihn gegen den rührenden Moment des Kampfes
eintauſchen. Aber daß dieſer Sieg nicht zweifelhaft iſt,
dafür bürgt uns die Energie, mit welcher die Martyrer an
ihre höchſte Pflicht erinnert werden. Wir glauben zu ſehen,
wie das Wort Sebaſtians den Brüdern den Todesmuth
zurückgibt, wie ihre Schritte ſich mit denen Sebaſtians
beflügeln; die Standarte zieht ſchon von Siegeswehen ge-
ſchwellt voran.
Das ganze Bild iſt eine herrliche Predigt; ſeine Be-
deutung beruht nicht in den Formen und Farben, ſondern
in der Macht des Gedankens, in der Gewaltigkeit des dar-
geſtellten Momentes. Der geiſtige Zauber überſtrahlt hier

Die Glocken.
Herr Farnier, der Beſitzer der größten Glockenfabrik,
die ſeit 200 Jahren beſteht, hat ein intereſſantes Werk über
den hiſtoriſchen Urſprung der Glocken herausgegeben, dem
wir Einiges, das wenig bekannt ſein dürfte, entnehmen:
Man kann die Zeit ihrer Erfindung nicht genau be-
ſtimmen, doch iſt es wahrſcheinlich, daß in einer oder der
andern Weiſe die Glocke erfunden wurde, als man den
ſonoren Klang der Gefäße von Erz oder Bronze kennen
lernte. Man ſchreibt die Erfindung den Chineſen zu, welche
ſie auf den Kaiſer Hoang-Ti zurückführen, da ſich bei ihnen
ein Befehl dieſes Kaiſers vorfindet, der vom Jahre 2264
vor der chriſtlichen Aera datirt und das Gießen von Glocken
verlangt. Laut der Bibel haben die Hebräer das Glocken-
gießen von den Aegyptern gelernt und ſie fabricirten ſchon
Glocken, als ſie noch in der Wüſte weilten. Der Kaiſer
Auguſtus ließ eine große Anzahl auf den Tempel des
kapitoliniſchen Jupiter anbringen und um dieſelbe Zeit rief
man auch durch Glockengeläut die Käufer zu dem öffent-
lichen Verkauf gewiſſer Nahrungsmittel zuſammen. Wäh-
rend der Jahrhunderte der Verfolgung wagten es die Chri-
ſten nicht, ſich der Glocken zu bedienen, die Römer aber
gaben durch ſie das Signal ihrer Verſammlungen; die
Gläubigen wurden in ihren Wohnungen von dem Ort und
der Stunde der Zuſammenkunft benachrichtigt, wenn man,
vorher dieſelbe nicht beſtimmen konnte.
 
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