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Chriſtliche

Kunſtblätter.

Organ des chriſtlichen Kunſtvereins der Erdiöceſe reiburg
(Beilage zum Freiburger Kirchenblatt.)

Band JJ. Nr. 24.

Domine dilexi decorem domus iuae. Ps. 25, 8.

1884.

Die Kirchenmuſik und die Frömmigkeit.
Predigt des hochw. Herrn Dr. J. B. Heinrich, Domdekan in Mainz,
gehalten am 19. Auguſt 1884 bei Gelegenheit der 10. General-
Verſammlung des Cäcilien-Vereins für alle Länder deutſcher Zunge.
Pietas autem ad omnia utilis est, promissionem
habens vitae, quae nnc est, et futurae.
J. Tim. 4, 8.

ejus; mens impletur gratia, et futuræ gloriæ nobis
pignus datur — o heilig' Geheimniß, in dem Chriſtus
genoſſen, ſeines Leidens Gedächtniß gefeiert, die Seele mit
Gnade erfüllt, und das Unterpfand der zukünftigen Herr-
lichkeit uns geſchenkt wird — dieſes höchſte Geheimniß des
Glaubens und der Liebe zu feiern, ſage ich iſt die vorzüg-
lichſte, iſt die eigentliche Aufgabe der hl. Muſik; das iſt
ihr Weſen und ihre Glorie, was kein menſchliches Wort
genügend auszuſprechen vermag, in Tönen zu verkünden:
den heiligen Schmerz über unſere Sünde und Chriſti
Leiden, den ſeligen Jubel über unſere Erlöſung und
Chriſti Verherrlichung, die Ahnung und den Vorgeſchmack
der ewigen Glorie,
Solcher Geſang iſt, wie jeder ſieht, Gebet, innigſtes,
erhabenſtes Gebet. Das Gebet muß aus dem Herzen, aus
aufrichtig frommem Herzen kommen; ſonſt wäre es nicht
Gebet, ſondern es geſchähe, was der Dichter des Hamlet
dem heuchleriſchen König in den Mund legt:
Die Worte fliegen auf, der Sinn bleibt ohne Schwingen
Wort ohne Sinn kann nicht zum Himmel dringen.
Das Gebet nachahmen, kann auch der Schauſpieler;
wirklich beten kann nur ein frommes Herz, und, wo es ſich
um das liturgiſche Gebet der Kirche handelt, der wahrhaft
und tiefgläubige katholiſche Chriſt. Hier haben wir den
Unterſchied zwiſchen ächter und falſcher Kirchenmuſik. Ein
muſikaliſches Genie, auch ohne Glauben, mag das Aeußer-
liche der ächten Kirchenmuſik nachahmen und die alten Ton-
formen mit ſeinem modernen naturaliſtiſchen Geiſte erfüllen;
ächte Kirchenmuſik produciren kann nur ein Geiſt und ein
Herz, das aus dem Glauben lebt und von heiliger Liebe
beſeelt und in die Tiefen der übernatürlichen Wahrheiten,
in den Geiſt der heiligen Liturgie ſich zu verſenken vermag.
Das lehrt auch die Geſchichte der heiligen Muſik. Aus
prophetiſcher und prieſterlicher Jnſpiration entſprungen, ge-
weiht und verklärt in der Kirche Jeſu Chriſti, hat ſie,
nachdem der erſte Sieg des Chriſtenthums über die Welt
vollendet war, ihre Grundgeſetze durch Gregor den Großen
empfangen, den man mit ſeinem geiſtigen Vater Benedictus
als den Vater der chriſtlichen Cultur des Abendlandes
bezeichnen kann. Das iſt der Baum, aus deſſen unſterb-

(Schluß.)
Doch dringen wir noch tiefer in den Sinn jener pietas
ein, wovon der Apoſtel redet. Dieſes Wort bedeutet nicht
nur die kindliche, ſondern auch die väterliche Liebe. Die
Vaterliebe geht aber der Kindesliebe, wie die Urſache
der Wirkung, voran. Die kindliche Liebe iſt ſchon in der
Ordnung der Natur die Erwiderung der väterlichen Liebe.
Jn noch höherem Grade gilt dieſes in der übernatürlichen
Ordnung. Wir könnten Gott nicht mit kindlicher Liebe
lieben, wenn er uns nicht zuvor mit jener väterlichen Liebe
geliebt hätte, womit er ſeinen ewigen Sohn liebt, zu dem
er in ewiger Vaterliebe ſpricht: Mein Sohn biſt du: heute,
d. h. ewiglich habe ich dich gezeugt; und wenn er uns, da
wir Sünder waren, nicht durch dieſes ſeines Sohnes
Menſchwerdung und Kreuzestod zu ſeinen Kindern gemacht
hätte: ,,So ſehr hat Gott die Welt geliebt, daß er ſeinen
eingeborenen Sohn für ſie dahingab.'' Daher bezeichnet
wiederum derſelbe heilige Paulus das Weſen des Chriſten-
thums, der wahren und ewigen, allvollkommenen Religion
als das ,,wagnum pietatis mysterium'', das große Ge-
heimniß der Frömmigkeit, der göttlichen Vater- und Kinder-
liebe, ,welches geoffenbart ward im Fleiſche, gerechtfertigt
im Geiſte, geſchauet von den Engeln, gepredigt von den
Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herr-
lichkeit.'' J. Tim. 3., 16. Und un wiſſen Sie bereits
alles, was ich ſagen will. Denn dieſes ,,magnum pietatis
mysterium', das da in voller Wahrheit und Wirklichkeit
in dem allerheiligſten Sakramente des Altares gefeiert
wird, bis der Herr wieder kommt, um die Welt zu richten
und ſeinen myſtiſchen Leib, die Kirche, in ewiger Verklärung
zu vollenden; dieſes große Geheimniß der Gottfeligkeit, von
dem der Doctor Angelicus ſingt: O sacrum convivium,
in quo Christus sumitur; recolitur memoria passionis
 
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