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er vor allen Andern sich selbst und der Kunst ein neues Gebiet hat erobern
müssen, an die rastlose Bewältigung der ungeheuersten Aufgaben, die je einem
einzigen Künstler gestellt sind, endlich an die glorreiche Thatsache, daß der
Meister, nachdem er die Freskencyklen der Glyptothek, der Pinakothek und der
Ludwigskirche geschaffen hatte, nahe vor seinem 60. Jahre noch einmal mit
Jünglingskraft eine neue Aera seines Schaffens begann und in den Entwürfen
zum Camposanto selbst seine früheren Werke noch zu übertreffen wußte. Wenn
Cornelius weit hinter der Formvollendung und der malerischen Technik eines
Rafael und Michelangelo zurückbleibt, so dürfen wir nicht vergessen, daß jene
Meister in aller Kunstübung eine Tradition von Jahrhunderten vor sich hatten,
Cornelius und seine Genossen dagegen in einer Zeit auftraten, wo jede Tra-
dition erloschen war, wo die Kunst namentlich den gesunden Boden des Hand-
werks, der unmittelbaren Verbindung mit dem Leben verloren hatte. So ohne
Vorschule einer mannigfaltigen Technik, hauptsächlich auf. innere Reform, auf
geistige Erneuerung gewendet, mußte die neue Kunst einen zu einseitig spiritua-
Wischen Charakter annehmen, ja nicht selten zu einer Verachtung jener Mittel
sich verirren, in welchen sie ein blos sinnliches Element erkannte. So wurde
jene Wahrheit bald gänzlich vergessen, daß der sinnliche Reiz von Form und
Farbe von der wahren Kunst nicht verschmäht, sondern geadelt und zum Aus-
druck der höchsten Ideen erhoben werden soll. Dieser Spiritualismus ist frei-
lich ein Merkzeichen des deutschen Geistes. Rühmt doch schon der alte Rivius
in seiner Erklärung des Vitruv Albrecht Dürer vor allem wegen seiner Kupfer-
stiche und stellt ihn kühn über Apelles, weil dieser in seinen Bildern „sich der
Farben habe behelfen müssen." Ueberall gehen unsere tiefsten Meister auf den
charakteristischen Ausdruck innerlichen Lebens ans, und wie Dürer und Corne-
lius die Formenschönheit gering schätzen, so verschmähen ein Sebastian Bach
und in seinen späteren Werken ein Beethoven die dem Ohre schmeichelnde
Klangschönheit, um desto gewaltiger den Drang des Seelenlebens zum Ausdruck
zu bringen. Wer möchte aber in unsrem reichen Geistesleben diese erhabensten
Schöpfungen missen?
Populär freilich im banalen Sinne des Wortes werden solche Meister nie-
mals fein; eben so wenig werden sie im eigentlichen Sinn eine Schule bilden.
Ihre Jünger pflegen in der Regel nur ihre Schwächen und Fehler zu erben,
da sich der Geist nicht übertragen läßt. Was aber von einem Cornelius zu
lernen ist, die hohe Auffassung der Kunst, das männliche Ringen in einer Zeit,
die dem Faden, Weichlichen in der Kunst zu sehr geneigt ist, das scheint uns
Gewinnes genug. Wenn Cornelius im Ringen mit dem gewaltigen Stoff
gewisse Härten und Mängel nie abgelegt hat, so zeigt er dagegen in seinem
sechzigjährigen Schaffen ein stetiges Wachsen, eine immer höher und freier sich
entfaltende Schöpferkraft, eine sittliche Macht des Wollens und Strebens, die
den denkenden Betrachter mit Ehrfurcht erfüllen muß. Als ob wir auf hohen
Bergen wandelten, umströmt von frischer Himmelsluft, tief unter uns im Nebel
verschwindend das niedre Treiben der Erde, aber frei über uns die Bläue des
Aethers, das beseeligende Licht der Welt, — so wird uns zu Muthe vor den
Werken des außerordentlichen Mannes. Und wenn manche jetzt hochgepriesene.
 
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