Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
178

seiner Spitze das Standbild der Maria haben. Das erfordere die Pietät gegen
den alten Meister und seinen Plan. Alle Pietät in Ehren. Aber schon das
kommt in Betracht, daß beim Ausbau des Turmes zwar die ursprünglichen Größen
und Formen maßgebend bleiben, aber im einzelnen doch notwendigen Abänderungen
unterliegen. Welche Änderungen durch die ursprüngliche leichtsinnige Grundlegung
und Gewichtsberechnung am alten Bau nötig gemacht worden sind, wie die Fenster-
öffnungen und der hohe Spitzbogen, mit dem der Turm sich in das Mittelschiff
öffnet, zur Verstärkung der Tragfähigkeit für die aufzubaueuden Massen leider
verengert werden mußten, ist bekannt. Teils die Maße, teils die Glieder des
Achtecks wie des Helmes Weichen ebenfalls von dem Urplane mehr oder weniger
ab aus baulichen und künstlerischen Gründen. Warum sollte es wider die Pietät
gegen das Alte verstoßen, wenn auch in der Spitze von demselben abgewichen
wird? Warum sollte die Frage untersagt sein, ob sich ein Marienbild oder auch
überhaupt ein Standbild zur Krönung dieses Münsterturmes eigne?
Ja, wenn der Turm lediglich für sich dastünde als bloßes Denkmal, mit
dessen Ausbau nur eine Pflicht der Pietät gegen das Alte erfüllt werden soll,
so ließe es sich verstehen, daß man ängstlich beim alten Plane bliebe. Aber der
Turm gehört zur Kirche und die Kirche gehört einer evangelischen Gemeinde,
Welche bei aller Pietät gegen die Hochbegnadigte Mutter Jesu keinen Mariendienst
kennt und keine Marienkirche wollen kann. Es wäre Jmpietät gegen die evan-
gelische Gemeinde, wenn man ihr ein Bild auf den Kirchturm stellen wollte,
welches eine sonderlich katholische Bedeutung hat. Wird darauf hingewiesen, daß
auch Katholiken zum Ausbau des Münsters beisteuern, als ob ihnen ein Recht
erwüchse zu solcher Forderung, so fragen wir: wäre es den Protestanten, die zum
Kölner Dombau halsen, je eingefallen, dafür ein Lutherbild an oder auf die
katholische Kathedrale zu erwarten? Es sei einem gestattet, das Ulmer Münster
nur mit katholischem Auge anzusehen, ja dasselbe in der Zukunft wieder als dem
Dienste der Maria zurückgegeben sich zu träumen. Wir verdenken es einem solchen
nicht, wenn er, die neuen Glasmalereien des Münsters betrachtend, kein Auge hat
für das letzte Fenster des südlichen Nebenschisses, in welchem der seine 95 Sätze
anschlagende und der vor Kaiser und Reich zu Worms sein non possurnus aus-
sprechende Erzketzer gemalt ist. Aber wir wiederholen das von uns in unserem
Kunstblatt 1877 S. 146 Gesagte: „So gut es gemeint war von jenem Ver-
fechter katholischer Kirchenherrlichkeit, der beim Münsterjubelfeste in Ulm auf den
Tag toastierte, da vom ausgebauten Münsterturm, wie es im alten
Plane lag, das vergoldete Bild der Himmelskönigin herabglänzen
werde — das soll nie gesehen werden in der guten Stadt Ulm, welche, ob auch
mild gegen Andersglaubende, doch nie das seit vierthalb Jahrhunderten im Münster
verkündigte lautere Evangelium mit dem Papsttum vertauschen und seines Münsters
Spitze lieber mit einem Friedensengel krönen wird, als mit einem Marienbilde.
Hat des Münsters sechstes Jahrhundert mit der Gedenkfeier der Übergabe der
Augsburgischen Konfession begonnen, welche am 30. Juni 1877 gerade mit der
kirchlichen Jubelfeier der Grundsteinlegung zusammenfiel, so hoffen wir mit Zu-
versicht, das Jahrhundert werde auch nicht anders enden."
 
Annotationen