Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
34

ausgeübt hat.*) Diese Frage sei bisher stets nur einseitig, nie unbefangen beant-
wortet worden. Um keinen Fehlschluß zu machen, müsse man zur unbeeinflußten
Erkenntnis Vordringen, daß der ganze Kreis der leitenden Geister Deutschlands
in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts auf die bei ihnen herrschenden
Kunstanschauungen mit voller Unbefangenheit zu prüfen sei. Darnach werde
festzustellen sein, ob und nach welcher Richtung hin die Anschauungen der
bedeutenden Männer vorübergehenden oder dauernden, nützlichen oder schädlichen
Einfluß gewonnen haben.
Zu diesem Zweck wird aus Luthers lehrenden und auslegenden Schriften,
auch aus seinen Predigten das Wenige, das sie enthalten, ausgezogen; mehr
wird seinen Briefen und Tischreden entnommen. Und das wird mit zum Teil
wertvollen kritischen Bemerkungen sowie mit Anführungen aus dem weitschichtigen
Schrifttum über Luthers Leben und Wirken beleuchtet. Ganz kurz abgethan sind
die einzelnen Äußerungen und Überlieferungen von Luther über Ton- und Dicht-
kunst, als deren Kenner und Meister er ja allgemein anerkannt ist. Weitläufiger
werden Luthers Äußerungen in Bezug auf kunstgewerbliche Erzeugnisse, Becher,
Ringe u. dergl. vorgesührt. Das Ergebnis ist, daß sich nirgends etwas finden
läßt, was für seinen Geschmack und sein Urteil auf diesem Gebiete zeugen könnte.
In allen Predigten oder Auslegungen zum Alten oder Neuen Testament sei
nirgends eine Andeutung eigenen kunstgewerblichen Verständnisses.
Gegenüber der Meinung, Luther könnte laut seinen brieflichen Äußerungen
über die Nützlichkeit des Drechselns am Ende selbst als ein Kunstdrechsler zu
begrüßen sein, stellt H. Lehfeldt geradezu in Abrede, daß Luther selber habe
das Drechseln lernen wollen, als er in dem Briese an den Augustiner Wenzeslaus
Link, der als Prior und Professor in Wittenberg und als Prior in Nürnberg
sein vertrauter Freund war, im Jahr 1525 um Sendung von Werkzeugen zum
Drechseln bat. Das sei nur geschehen zu Gunsten seines armen, einfältigen
Dieners Wolfgang Seeberger. Er selbst habe nur auch vom Drechseln eine
eigene Anschauung gewinnen wollen. Allein Luther hat wirklich in den bedroh-
lichen Zeiten der „himmlischen Propheten" und des Bauernkrieges daran gedacht,
mit seinem Wolf das Drechseln zu erlernen und auszuüben, um zur Not davon
das tägliche Brot zu verdienen.
Die Baukunst, sagt H. Lehfeldt weiterhin, erscheint in Luthers Reden und
Schriften fast wie ein leeres Blatt. Überall sei auch in solchen Dingen Luther
wohl der Mann, der für praktische Erfordernisse, aber nicht für Künstlerisches
Augen hatte. Derselbe Nützlichkeitssinn allein habe ihn beseelt bei seinen biblischen
Studien sowie gegenüber den Kunstdenkmälern der Vergangenheit. Wenn er
bei Tisch von dem redete, was er auf seinen Reisen in Deutschland, was er in
Italien und in Rom gesehen, habe er dabei nie das Künstlerische oder Kunst-
geschichtliche im Auge, sondern nur eine Nutzanwendung, einen Nebengedanken über
den Wert oder Unwert für das sittlich-religiöse oder für das wissenschaftliche Leben
gehabt. Wo er von Bildnissen Lebender handelt, sei wohl sein Genuß ein unbe-
*) Luthers Verhältnis zu Kunst und Künstlern von Paul Lehfeldt. Berlin.
Verlag von W. Hertz (Besser'sche Buchhandlung). 1892.
 
Annotationen