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Christliches Kunstblatt für Kirche, Schule u. Haus — 50.1908

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Nr. 3 (März 1908)
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https://doi.org/10.11588/diglit.44122#0098
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Passionsanültcht mit Lichtbildern
Von Stadtpfarrer Leube in Münsingen a. Alb
Gerne folge ich der Aufforderung des Herausgebers, den Entwurf zu einem
Lichtbildergottesdienst in der Charwoche im Christlichen Kunstblatt zu veröffentlichen.
Es scheint, daß die Zahl der Gemeinden, in denen ein Projektionsapparat für kirch-
liche Zwecke ständig zur Verfügung steht — das Entlehnen des Apparates bleibt ja
ein Notbehelf — sich entschieden vermehrt hat, seit ich zum erstenmal über Lichtbilder-
gottesdienste in dieser Zeitschrift berichtet habe, so geschieht heute mehr Lesern ein
Dienst als damals.
Das folgende Programm ist zu einer bei Theodor Benzinger in Stuttgart er-
schienenen Serie von 12 Lichtbildern nach klassischen und klassizistischen Meistern ent-
worfen. Gleichzeitig wird dort eine Passtonsserie „nach deutschen Meistern" und eine „nach
Schnorr von Carolsfeld" angeboten. Für den ersten Versuch wird man diese Schei-
dung vielleicht unpopulär finden, sie wird als ein künstliches Hineintragen kunst-
geschichtlicher Gesichtspunkte in die Gemeindeerbauung gewertet werden. Ich stellte
mir einst für die ersten Feiern dieser Art die Bilder auch frei zusammen aus den
besten Bildern deutscher und italienischer Kunst. Bei der Wiederholung empfand ich
die Willkürlichkeit dieser Zusammenstellung, ich empfand insbesondere, wie sehr ich
durch das Hereinnehmen gewisser bekannter italienischer Andachtsbilder das Ver-
ständnis der darauffolgenden deutschen erschwerte. Ich bin kein Anhänger des Wortes:
„Los von Italien!", ich müßte sonst ein Teil meines besten ästhetischen Lebensbesitzes
opfern. Aber in den Uffizien habe ich gelernt, daß man Dürer und Raffael nicht
zu nah zusammenrücken darf, sonst kommt die deutsche Gemütstiefe nicht zum Recht
über der Formvollendung des Italieners. Bei der „deutschen" Serie ist Dürer vielleicht
reichlicher vertreten, als im Interesse der Gemeinde wünschenswert ist, besonders weil
— vom geistigen Charakter seiner Kunst abgesehen — der Figurenreichtum und die
Herbheit seiner Strichtechnik das Verständnis seiner „Passionen" im Lichtbild er-
schweren. Andererseits möchte der Dürerfreund doch nicht aus den Versuch verzichten,
dem größten Darsteller der Leidensgeschichte den Weg in sein deutsches Volk wieder
zu bahnen. Wer aber seiner Gemeinde nichts geben will als eine gute Illustration
der biblischen Leidensgeschichte, wer das Hereinziehen individueller künstlerischer Auf-
fassung als Störung empfindet, wird Schnorr bevorzugen. Er verzichtet dann aller-
dings auf ein Moment der Erbauung, das anderen sehr wesentlich sein wird, das
Persönliche. Natürlich sind damit die Möglichkeiten nicht erschöpft. In
Giottos und Fra Angelicos Bildern könnte die Leidensgeschichte wohl noch ergrei-
fender wirken als in Peruginos, Bartolommeos und Raffaels Darstellung. Und das
Jahrhundert deutscher Kunst vor Dürer ist ebenfalls reich genug an unvergänglichen,
auch heute noch zu jedem empfänglichen Gemüt redenden Passionsbildern. Vielleicht
nehmen sich mit der wachsenden Verbreitung der Lichtbilderkunst die Kenner dieser
Bilderschätze der Sache an. Moderne religiöse Bilder zu bekommen, wird ja mit
jedem Jahr schwieriger, fast alles ist in festen Händen. Aber wer unter den modernen
Künstlern hat auch die religiöse Kraft eines Giotto oder Roger van der Weyden?
Bei der Vorführung im Gottesdienst zeigt sich am besten, was den Namen „kirchliche
Kunst" verdient und was seiner religiösen Kraft nach nur zum Schmuck der Familien-
stube oder des Andachtsbuches ausreicht.
Einen besonderen Reiz wird für jeden, der sich mit der Sache beschäftigt, die
Auswahl der Lieder zu den einzelnen Bildern haben. Wohl ziehen praktische Rück-
sichten (Bekanntschaft der Gemeinde mit Text und Melodie) manche Schranken. Aber
als Ideal wird jedem eine möglichst vollkommene Zusammenstimmung von Bild,
Liedertext und Melodie vorschweben. So schien mir Gerhards Lalvs oaput orusn-
tatum besser zu den stärkeren Gefühlstünen Peruginos und Renis zu stimmen, sein
 
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