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Stoß, Veit [Hrsg.]; Chrzanowski, Tadeusz [Bearb.]
Krakauer Marienaltar - Veit Stoss — Warszawa, 1985

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https://doi.org/10.11588/diglit.29774#0026
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einer Miitze mit Ohrenklappen, die das im Profil erfaBte Gesicht mit einer Adlernase ver-
deckt. Aber das sind eben nur Vermutungen. Bleiben wir daher bei den ausschlieBlich psy-
chischen Eigenschaften der Kiinstlerpersonlichkeit.

Uber Veit StoB sind zwei Urteile erhalten. Das erste, das Krakauer, ist ein Loblied, das
zweite, das Niirnberger, eine Verdammung. Besteht dazwischen tatsachlich ein so uniiber-
briickbarer Widerspruch, wie es einige Gelehrte nachzuweisen versucht haben? Ich denke,
nein. Man muB die beiden Einschatzungen nur vom richtigen Standpunkt aus betrachten.

Der Text des Krakauer Lobs - in jener Stiftungsurkunde enthalten, die man 1533 in einer
am Altar angebrachten Biichse entdeckt hat - ist nicht im Original bekannt, sondern durch
spatere Ubersetzungen ins Polnische und ins Lateinische. Der besagte Abschnitt lautet fol-
gendermaBen: „Der Meister oder Handwerker dieser Arbeit aber war... seltsam solide und
fleiBig und ein hilfsbereiter Mensch, dessen Talent und Arbeit bei der ganzen Christenheit
geriihmt werden und dessen Arbeit hier ihn fur die Ewigkeit empfiehlt.”

Man muB berucksichtigen, daB der Verfasser dieser lobenden Worte wahrscheinlich
Johann Heydecke war, ein Theologe und Wissenschaftler, Humanist und Kunstkenner, der
StoB durch sein Werk lobte, das in gewissem Grade auch sein eigenes Werk war, der den
Kiinstler riihmte und sein Konnen bewunderte. Besonders charakteristisch ist dabei die
Wendung ingenium et Iabor (Talent und Arbeit), die noch genauer den Kern des Lobs
umreiBt - und ausdrucklich die Ansicht uber StoB bestatigt, daB er nicht nur talentiert und
hervorragend auf die Bildhauertatigkeit vorbereitet war, sondern daB er dariiber hinaus ein,
gebildeter Mensch und somit auch der intellektuelle Urheber seiner Werke war.

Der Nurnberger Stadtschreiber vermerkte dagegen aus AnlaB der Gerichts- und Wech-
selschwierigkeiten des Meisters: „unruwiger haylloser Burger”, und an anderer Stelle: „ein
irriger und geschreyiger Mann”. Und wiederum sollte man berucksichtigen, wer diese Ein-
schatzung unter welchen Umstanden geschrieben hat. Das war doch irgendein kleiner Magi-
stratsbeamter, der die ganze Angelegenheit unter dem Gesichtspunkt einer kriminellen
Affare betrachtete, die die festgelegte Ordnung des burgerlichen Lebens beeintrachtigte. In
diese Kategorien lieB sich Meister StoB offensichtlich nicht einordnen, von diesem Stand-
punkt aus gesehen, konnte er einem wirrkópfig und verriickt vorkommen.

Von den Werken des Kiinstlers geht eine gewaltige, ungezahmte Kraft aus, eine Affirma-
tion des Lebens in seinem ganzen Reichtum, was iibrigens keineswegs der mystischen Ein-
stellung zu den Dogmen und zu den Heiligenleben widerspricht. Doch hat es nicht den
Anschein, ais sei der Schopfer des Marienaltars und des Grabmals fur Kasimir den Jagiel-
lonen, von erhabenen Kruzifixen und gruseligen Berichten vom Leiden des hl. Kilian ein
ausschlieBlich fleiBiger und arbeitsamer Mensch gewesen. Die Persónlichkeit, die sich in den
von ihm geschaffenen Werken offenbart, paBt nicht in den Rahmen biirgerlicher Gemessen-
heit. Gibt es auBerdem irgendwelche anderen Uberlieferungen uber Meister StoB? Doch ja,
aber das sind lediglich trockene Informationen, aufgezeichnet in Stadtbiichern, mit riesigem
FleiB zusammengetragen von Ptaśnik und besprochen von Dobrowolski.39

Veit StoB war zweifellos auf Geld erpicht; er war bemiiht, es anzuhaufen und zu mehren.
Wahrscheinlich hat er sich schon in Krakau mit gewissen Geldgeschaften befaBt, die darauf
beruhten, daB er gegen Zinsen Geld verlieh. Daher taucht sein Name so oft in den Krakauer
Gerichtsakten auf. Von einer gewissen Unnachgiebigkeit des Kiinstlers in Finanzfragen
berichten Aufzeichnungen, die mit dem Altaristen Waldorf, dem Maler Jan (Johannes) Wiel-
ki und der Witwe des Malers Łukasz zusammenhangen. Der Streit mit dem Altaristen ging
um die Bezahlung des zweiten, verschollenen Altars fur die Marienkirche. Der 1492 ent-
brannte Zwist zog sich lange hin, und Meister StoB verweigerte die Aufstellung des Altars in
der Kirche, bevor nicht der verlangte Betrag gezahlt war. Die Angelegenheit gelangte daher
bis hin zur Gnesener Kurie (der Ausgang ist iibrigens unbekannt). Jan Wielki, móglicherwei-
se identisch mit jenem Hanusz Pictor, dessen Signatur sich am Polyptychon in Olkusz befin-
det, war 1495 gemeinsam mit StoB Zunftaltester geworden. Trotz dieser Berufsgemeinschaft
verlangte StoB von Jan Wielki die Riickerstattung des verhaltnismaBig geringen Betrags
von drei Gulden, obwohl sich der Schuldner gerade in einer sehr schwierigen finanziellen
Lagę befand. Die Witwe des Malers Łukasz wiederum verlangte von StoB auf dem Gerichts-
wege die Riickgabe einer silbernen Schatulle im Wert von 20 Gulden, die sie ihm ais Pfand
fur ein Darlehen von... fiinf Gulden iiberlassen hatte. Der Bildschnitzer verweigerte jedoch
die Riickgabe und begriindete das damit, daB der verstorbene Maler Łukasz vor dem Tode
18 Gulden von ihm geliehen und nicht mehr zuriickgegeben habe.

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