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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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12. Heft
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Rundschau - Sammlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0511
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RUNDSCHAU — sämmlungen

DER CICERONE IST STÄNDIGES PUBLIKATIONSORGAN FOLGENDER MUSEEN: WALLRAF-
RICHÄRTZ-MUSEUM ZU KÖLN / STÄDELSCHES INSTITUT UND STADT. GALERIE ZU
FRANKFURT a. M. / MUSEUM FÜR KUNSTGEWERBE ZU LEIPZIG / KAISER FRIEDRICH-
MUSEUM ZU POSEN / GROSSHERZOGL. MUSEUM ZU SCHWERIN / STADT. MUSEUM DER
BILDENDEN KÜNSTE ZU LEIPZIG / HERZOGL. MUSEUM ZU BRAUNSCHWEIG / PROVINZIAL-
MUSEUM IN HANNOVER / KAISER WILHELM-MUSEUM ZU KREFELD / STADT. MUSEUM
ZU BRAUNSCHWEIG / MUSEUM JOANNEUM IN GRAZ / KUNSTGEWERBE-MUSEUM ZU
FRANKFURT a. M. / KUNSTHALLE ZU MANNHEIM / KUNSTGEWERBE-MUSEUM ZU DÜSSEL-
DORF / ALTONAER MUSEUM / MAXIMILIANS-MUSEUM ZU AUGSBURG / FOLKWANG-
MUSEUM ZU HAGEN i. W. / DAS DEUTSCHE MUSEUM FÜR KUNST IN HANDEL UND
GEWERBE ZU HAGEN i. W / KUNSTGEWERBE-MUSEUM ZU OLDENBURG i. Gr. / GROSS-
HERZOGLICHES LANDESMUSEUM IN DARMSTADT

DIE MISERE DES PRÄDO

Es gibt wenige Mufeen in Europa, die an In-
halt gleich köftlich, an innerer Verwahrlofung
ähnlich troftlos find, wie die berühmte Galerie
des Prado, in der die Vergangenheit der fpani-
fchen Kultur wie ein Demant in edlem Reif ge-
faßt ift, deffen Glanz freilich längft unter dem
Staub der Jahrhunderte zu verglimmen beginnt.
Diefe Sammlung, die kaum einen Vergleich hat,
der ihrem koftbaren Werte nur annähernd ge-
recht wird, bietet als Mufeum für den Kultur-
menfchen unferer Zeit ein Bild jammervoller
Verkommenheit. Nicht allein, weil die Aufhel-
lung ihrer Schüße mufeumstechnifch jeder Be-
fchreibung fpottet und den reinen Kunftgenuß
faßt unmöglich macht, fondern weil die Art der
Konfervierung und der Zuftand vieler wertvoller
Objekte nach unferen Begriffen überaus be-
klagenswert find.

Nicht die Bilder der großen mittleren Galerie,
die Tizian, Tintoretto, Rubens und van Dyck,
nicht auch der fenfationelle Velasquez-Saal und
die Kabinette der Murillo, Ribera u. a. find
Grund diefer öffentlichen Anklage, fondern um
die Schäße handelt es fich, die in den Keller-
räumen, in den fchlecht beleuchteten Seiten-
gängen, in den niederen Gelaffen des erften
Stockwerks und den Dunkelkammern der zahl-
reich angegliederten Parterreräume aufbewahrt
und dem Kunftfreund zu einem fchier unmög-
lichen Studium dargeboten werden. Und diefe
Bilder find zum großen Teil Koftbarkeiten, wie
fie ähnlich kaum eine andere Galerie Europas
befißt. Faft der ganze Goya ift mit feinen nahezu
fünfzig oder mehr Nummern im Keller aufge-
ftapelt! Die Altniederländer hängen hier in er-
drückender Fülle beieinander, die Primitiven der
italienifchen und altdeutfchen Malerei, Perlen
der Kunftgefchichte jedes einzelne Stück. Wer
-garantiert dafür, daß diefe Bilder endlich nicht

dem Moderduft diefer Gelaffe anheimfallen, wer
will heute feftftellen, was an diefen Werken
dank der Unzulänglichkeit des Ortes, an dem
fie [ich beßnden, fchon vernichtet wurde. Nir-
gends und vor keinem Bilde diefer großartigften
Sammlung überkommt einen das Gefühl, als
gäbe es an diefem Orte überhaupt einen Kon-
fervator, der fich um das Wohl und Wehe der
ihm anvertrauten Schäße kümmert. Und wie
müßte faft jedes diefer Stücke an innerer Kraft
gewinnen, würde es nur erft vom Schmuße der
Jahrhunderte befreit und in verftändige kon-
fervierungstechnifche Behandlung genommen.
Wollte ich bei Einzelheiten verweilen, die mir
auf Schritt und Tritt bei einem fünfmaligen und
fehr ausgedehnten Befuch diefer Sammlung auf-
gefallen find, das Sündenregifter fände kein
Ende. Aber es bedarf ja garnicht des Beweifes
im einzelnen, weil jedem Kunftgelehrten, der
den Prado in den leßten Jahren befucht hat,
diefe Dinge nur zu bekannt find. Ift aber Spa-
nien, find die rückftändigen Zuftände diefes
Landes wirklich auf die Dauer eine Entfchuldi-
gung dafür, daß hier mit den höchften Werten
der Menfchheit va banque gefpielt wird! Soll
der Schlendrian, der einem das Reifen in diefem
Lande an fich fchon fchwer genug macht, auf
die Dauer auch verantwortungsfrei fein, wo es
fich um Befißtümer handelt, an denen die ge-
faulten Kulturvölker der Gegenwart intereffiert
find. Warum find diefe unleidigen Zuftände,
die jeder kennt und nennt, der einmal im Prado
geweilt hat, bis zu diefer Stunde nicht vor das
künftlerifch intereffierte Forum Europas gebracht
worden. Müffen wir uns etwa mit der Tat-
fache abfinden, daß es in Italien bis zu dem
Tage, als Corrado Ricci feine große und fchwere
Reorganifationsarbeit begonnen hat, nicht viel
beffer gewefen ift! (Ich beftreite übrigens diefe

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