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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921

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Heft 18
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0563
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Neue Bücher

KußnsBucb über die neuerePia}tik trifft zweifel-
los den Radius der 3eit. denn irgendwo über-
kommene Bildung zu falfcßen dertbegriffen und
Einfteiiungen verführt bat, dann gegenüber dem
biidbauerifcben Schaffen in der leßten und vor-
letzten Vergangenheit. Nach dem Barode ver-
fällt die plaftifcbe Schöpfung jenem tiefen Ab-
ftieg, aus den uns eigentlich erft der Expreffio-
nismus wieder berausgefObrt hat. ßwifchen
Gßorwaldfen und Rudolf Beding klafft eine delt
voll Gegenfä^licßkeit des Gefühls, aber auch der
primären Berufung auf die plaftifcbe Miffion.
Maillol auf der einen, Fjoetger auf der anderen
Seite find die Bahnbrecher des neuen Stils ge-
worden. Das eigentliche Problem aber des biid-
bauerifcben und plaftifchen Geftaltens ift von
keinem Künftler begrifflich fo fein ausgedeutet
worden wie von Fjoetger, der zuerft in diefer
3eitfcßrift dem Cßema leßte Formung gab (vgl.
€ic., Jahrg. Xi, ijeft 7). Vielleicht angeregt durch
die Antithefe Rodin-Qoetger, unternahm es Kuhn,
das Buch über die neuere Plaftik zu febreiben
und man muß gefteben, daß diefer gedanklich
fein difziplinierte Kopf dabei im ganzen mit
einer Leiftung aufwartet, der wir auch dann
unfere Hochachtung nicht verfagen können, wenn
ßcß binßcbtlicb der Klertung im einzelnen hier
und dort auch polare Gegenfäßlichkeiten der
Auffaffung ergeben. So empßndet man in Kuhns
Darlegungen oft noch eine zu ftarke ßiftorifeße
Bindung. Der Drang nach Objektivität legt feinem
Cemperament in Momenten zu ftarke 3ügel an
und man bedauert vielleicht gelegentlich, daß
der Mut zu leßter Subjektivität verfagt. Denn
was unferer 3eit vor allem fehlt, ift Bekenner-
tum. Eine Epoche wie die unfrige, die wie
kaum eine andere in der Gefcßichte der Völker
von innen heraus durch neue Ideen und Er-
kenntniffe gefpeift wird, die vordem außerhalb
unferes rationaliftifchen Begriffsvermögens lagen,
braucht mehr als jede frühere jene Überzeugt-
heit, die auch vor dem Fjobn der Maffe nicht
zurückfchreckt. Mit dem Calent allein ift es
nicht getan, Perfönlichkeit allein bringt Frucht-
barkeit. Die ftebt zwar auch hinter diefem Buche,
aber nicht fo ftark und bezwingend als man
fid) vielleicht gewünfeßt hätte. Croßdem: Das
Buch ift als Ganzes genommen unbedingt ein
großer Klurf. Schon die Gatfache, daß dies
wichtige Gßema von einem Manne bearbeitet
wurde, der von Fjaus aus das richtige Organ für
plaftifches Schaffen hat und begrifflich außer-
ordentlich gut zu definieren weiß, muß doppelt
unterließen werden und noch weniger darf der
Kritiker die Solidität der aufbauenden Arbeit und
der feinen Gliederung des Ganzen verkennen.

Klir haben hier ein Clerk vor uns, daß der mo-
derne Kunftfreund wirklich mit reichem Genuß
lefen wird, eine Arbeit, die notwendig war und
viel auch zum Verftändnis der neuen Kunft bei-
tragen wird, ein Buch voll Giefgründigkeit, von
vorzüglicher Diktion und einem Ernft der Über-
zeugung, der in den Gagen fcblimmfter feuille-
toniftifeßer Scßaumfcßlägerei auf der einen, und
jener mit Empßafe vorgetragenen Befferwifferei
fterilerKunftpäpfte auf der anderen Seite dop-
pelt zu H^zen Sprießt; alles in allem ein er-
frifeßendes Buch, dem aucß der Verlag feine
Liebe ßinpchtlicß der Ausftattung nicht ver-
fagt hat.
Ähnliches gilt von Ragnals neuem kleinen
Clerk über Braque, mit dem der Verlag der
„Valori plastici" eine Serie moderner Kunft-
büeßer einleitet, denen verwandt, die Klinkßardt
& Biermann unter dem Citel „Die junge Kunft"
herausgeben. Diefem ausgezeichneten Franzofen
wurde kürzlich die vortreffliche Picaffo-Alono-
grapßie gedankt, die auch an diefer Stelle ge-
würdigt worden ift. Der neueBraque-Band hält
die gleiche Ricßtungsacbfe inne. Er ift Bekenntnis
zum Kubismus, durch den fich jene neue Clelt-
anfeßauung manifeftiert, die in Küppers feinem
Büchlein zuerft ißre geiftige Ausdeutung erfahren
ßat. Braque ift neben Picaffo vor allem zu
nennen, wenn es fich um den „Kubismus" fcßlecßt-
ßin handelt. Ragnal ßat dem Gßema die gren-
zenlofe Bekennerfcßaft 'zugewendet, oßne die
weder die Kunft der Moderne noch unfere 3eit
felbft befteßen können. Er fießt in Braque mit
Recht den Clegweifer zu neuen Höhen und bis-
her nicht gefühltem künftlerifcßen Erlebnis. Ein
Buch alfo, dem Liebe begegnet, weil es felbft
Liebe ausftrömt.
Neben folcßen Dokumenten perfönlicßften Be-
kennertums wirkt das Buch von Gßde-Bernags
weniger zeitgemäß. Möglich, daß ißm nach der
Anpreifung des Verlages vielleicht die Freunde
bagrifeßer Berge reinere Freude abgewinnen
können, die auf dem Gipfel der Gletfcßer ißren
expreffioniftifeßen Gott noch nicht entdeckt haben.
Denn foviel ftebt feft: Der liebe Gott ßat eine
herrlichere Natur gefeßaffen als fie die ganze
verfloffene Münchner Landfcßaftsmalerei wieder-
geben konnte, der Ußde-Bernags ein wenig zu
feßr mit Empßafe fein Loblied fingt. Morgen-
stern und Rottmann in Ehren, Spi^weg, Schleich,
Lier und Seidel e tutti quanti anerkannt, kann
man heute noch ernftlicß über die Dinge fpreeßen,
wenn man das Kriterium reiner Kunft überhaupt
gelten laffen will, marurn fehlte diefer 3eit
der Photograph, der die Aleijter des kleinen
Formates (aud) im Geiftigen) ad absurdum führte.

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