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2. Das antike Erbe

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durch sie asketische Heiligkeit und Jenseitigkeit starrend bedeut-
sam und zugleich dekorativ sinnlich vergegenwärtigt wurde.
In lebendiger Tradition war durch die ganze spätantike Kunst-
übung der Schatz der technischen Kenntnisse von alter Zeit her
bewahrt, ja noch bereichert durch Kenntnis orientalischer Fertigkeit,
was für die primitiven Völker höchst wichtig war. Zwar waren die
Nordvölker in der Edelmetallbearbeitung, im Schnitzen und vielen
anderen Kleintechniken längst Meister. Aber wieviel mußten und
konnten sie nun lernen: vor allem die Bewältigung der zahllosen
technischen Probleme der großen Architektur, die zum Teil mit
Zentralgrundrissen arbeitete und Stein als Material gebrauchte;
man denke allein an die schwierigsten Probleme der Wölbungen.
Es standen vor allem die alten Denkmäler selber. Sie waren die
eigentlichen lebenden Zeugen der alten Herrlichkeit, die Staunen
und Bewunderung erregten und, wenn einmal der Mut und die
Fähigkeit erweckt waren, zur Nachahmung anspornten. Doch auch
diese sichtbaren Zeugen der antiken Kunst waren vornehmlich
Zeugen der schon orientalisierten und barbarisierten Antike, jeden-
falls der spätesten Antike.
All dies heißt aber nichts anderes, als daß alles, was an Geist
und künstlerischem Vermögen und an Formen der echten Antike
in dieser späten Zeit noch lebendig war, späteste, reifste und mür-
beste Antike war. Wenn die primitiven Nordvölker unter Karl dem
Großen das Erbe der Antike übernahmen und an dieser Aufgabe
zur selbständigen künstlerischen Entwicklung erstarkten, so war
es ein bis an die Grenze der Entwicklungsmöglichkeit ausgebildeter
und schon verderbter Stil, der am Beginn der neuen Kunst stand.
Am Beginn der mittelalterlichen Kunst, im Anfang der deutschen
Kunst vollzog sich jenes merkwürdige Ereignis, daß ganz junge
unerfahrene Kräfte sich mit dem Reifsten, Reichsten auseinander-
setzten. Die deutsche Kunst beginnt mit der Nachahmung eines
überalterten Stiles.

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