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36 IV. Von Karl dem Großen bis zum Ende des, romanischen Stiles

geschichtlichen Bedeutung der karolingischen Kunst, Angelpunkt zu
sein des Verlaufs der abendländischen Kunst.
Bezeichnend für die geringe Breite der die Antike übernehmenden
Schicht ist schon, daß fast alle Anregungen zur neuen nördlichen
Kunst ausgingen von den fränkischen Kernlanden zwischen Maas,
Mosel und Rhein, und daß nur der Hof selbst und die gelehrte Suite
des Kaisers samt einigen antikisch gebildeten Klöstern die neue
Kunst pflegten. Hinter allem ist uns noch heute erkennbar der Wille
des Kaisers selbst. Er befiehlt, Kirchen aus Stein zu bauen; er ordnet
die Ausmalung und die Art der Ausmalung der Bauten an; er baut
selbst Kirchen, Pfalzen; er läßt musterhafte Klosterpläne entwerfen,
er läßt Evangelienbücher abschreiben und ausmalen, er trägt
erbeutetes fremdes und befohlenes neues Kunstgut in Aachen
zusammen. Daß er in dem weltgeschichtlich bestimmten Punkt die
Macht auf Kultur gründet, das ist seine persönliche Tat und das
große historische Faktum.
Wir können nicht mehr entscheiden, ob damals ein Bewußtsein
dafür vorhanden war, daß die Fruchtbarkeit der großen Absicht
allein davon abhing, in welchem Maße die fränkischen Kräfte
imstande waren, das fremd Übernommene zum Eigenen zu ver-
derben oder ins Eigene zu steigern (beides besagt ja von verschiede-
nen Standpunkten, dem der Antike und dem des Mittelalters, das-
selbe); Karls Bemühungen um gelehrte Bewahrung des alten lite-
rarischen Volksgutes möchten uns davon ebenso überzeugen wie die
Tatsache, daß er gerade in dem ihm am meisten am Herzen liegenden
Werk, dem Aachener Münster, den Franken Odo zum Meister er-
nannte und die harte Abweichung von den Vorbildern zuließ. Aber war
ein derartiges Bewußtsein damals überhaupt möglich? Die Hand-
schriften und Elfenbeinarbeiten, die im Auftrag und in der Nähe des
Kaisers entstanden sind, sind der Antike am nächsten und kopieren
am eifrigsten. Es genügt zu wissen, daß Karl selber Franke war und
daß das Verständnis der Besten für die Antike wohl ebenso gering war
wie ihr Drang nach der entscheidenden Macht der Kultur groß.
Nennt man die karolingische Kunst Rezeption der Antike, so ist
doch wenig gesagt angesichts der Vielgestaltigkeit der antiken Kunst
und ganz besonders der Formenwirrnis der spätesten orientalisierten
und barbarisierten Antike. Was wurde aus dem riesigen Trümmer-
haufen der Alten Welt rettend übernommen? Bezeichnenderweise
nicht ein bestimmter Stil oder die Kunst einer bestimmten Gegend,
sondern Aufgaben: der Steinbau und die figürliche Darstellung.
 
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