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Dehio, Georg
Geschichte des Erzbistums Hamburg-Bremen: bis zum Ausgang der Mission (Band 1) — Berlin, 1877

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https://doi.org/10.11588/diglit.43359#0061
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II. Ansgar.

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liger sondern auch, obschon er ruhig in seinem Bette gestorben, doch ein
wahrer Blutzeuge Christi wie ihn die Kirche definirt. Seine Schrist ist
in diesem Sinne eine Tendenzschrist ll Sein Wert als historischer Be-
richterstatter muß darunter leiden, daß er vor allem nach den Punkten
späht, wo die Hand Gottes in wunderbarer Weise sichtbarlich in das
Leben seines Helden eingegriffen hat, ja daß er geneigt ist, wo nicht
diesem selbst so doch dessen Fürbitte Wunderwirkungen zuzuschreiben.
Wenn es uns nun auch leicht wird, seine derartigen Erzählungen aus
ihr natürliches Maß zurückzusühren, so bringt doch seine Sinnesart da-
durch großen Schaden, daß er viele Dinge, welche historisch von größtem
Interesse sind und welche er auch sehr gut kennt, doch meistens bei Seite
läßt oder nur beiläufig andeutet, wosern sie sür seine besonderen Zwecke
nicht unmittelbar nutzbar zu machen sind. — Nun wäre andererseits
aber auch nichts verkehrter, als wenn man die Berichte über des Hei-
ligen Verkehr mit der überirdischen Welt, welchen die Ehrsurcht des Bio-
graphen einen so breiten Raum zugewiesen hat, cinsach bei Seite schieben
wollte als spuckhaste Jrrgänge eines unentwickelten Geisteslebens, über
welches unser Jahrhundert der Kritik nur lächeln könne. Die wahre
und bei weitem reizvollere Ausgabe der Kritik ist es vielmehr, die Scheide-
kunst zu sein, welche aus dem anscheinend willkürlichen Gewirr visionärer
Erregungen das reine Metall eines reichen Seelenlebens geläutert zu Tage
sördern will?.
Es ist eine geschichtliche Tatsache, daß in jeder religiös bewegten
und schöpserischen Zeit der Mensch in den Augenblicken der höchsten Span-
nung seiner ringenden Seele die Erkenntniß zur Anschauung, die abstracte
Wahrheit zum concreten Bilde steigert und verdichtet. So war es von
den Patriarchen und Propheten der alten Zeit bis herab aus die Teusels-
erscheinungen LutherP und die neueste Sectengeschichte. So wurde auch
unsern Ansgar sein ganzes Leben hindurch, so ost die Wogen seiner Seele
eine Sturmflut bewegte, durch Träume, Verzückungen, Offenbarungen des
Geistes die innere Sicherheit und Klarheit wiedergegeben. Nie haben
ihm seine Gesichte gelogen, sagt Rimbert. Natürlich! denn sie waren
eben nichts anderes als die unbewußt poetische Darstellung des eigenen
Gedankengehaltes, anscheinend Eingebungen von außen und doch von
höchster Uebereinstimmuug mit dem subjectiven Bewußtsein. Was ursprüng-
lich nur Erguß des Momentes war, hat dann in der Erinnerung un-
vermerkt allgemeinere Gestalt angenommen; das Zusällige, nur dem
Augenblick Angehörige hat sich verflüchtigt, das Dauerhaste der Gesin-
nung, das darin lag, in bestimmterer Form sich niedergeschlagen. So
besitzen wir in der langen Reihe der Visionen Ansgar's gleichsam eine
 
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