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Beilage zum Diözesan-Archiv von Schwaben — 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.17221#0019
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Statuten ein Patrizins, Litteralus ober einer des Rats, bereu
Vorgesetzten aber sonst wohlqnalifizierte Personen sein sollten.
Das Eintrittsgeld betrug 3, 4 bis 6 kr. Diese Vereinigung,
>oelehe sieh später „bramatische Gesellschaft" nannte, bestand
bis 1840, in welchem Jahre sie den Einbau deö Theaters
samt Inventar um 300 fl. der Stadt überließ. Das Theater
wird, einige wenige Ausnahmen abgerechnet, seit längerer Zeit
angeblich wegen Feuergefährlichkeit nicht mehr benutzt. Das
sog. „Rnthentheater", d. h. die Schüleranfführnngen am Rnthen-
feste, ist ebenfalls älteren Ursprungs. Memmingen hatte
gleichfalls seit Beginn des 17. Jahrhunderts ein Theater auf
dem Salzmagazin.

Unter den oberschwäbischen — das Theater pflegenden —
Reichsstädten lhat sich Biber ach am meisten hervor, wo schon
im Mittelalter das Spiel sich eingewurzelt hatte; vom Jahre
1655 an hat man Nachricbten von Schülervorstellnngen in
dieser Stadt und vom Jahre 1686 bildete sich eine eigene
Komödianten-Gesellschaft, welche sich eines reichen Repertoirs,
namentlich auch Shakespearescher Dramen rühmen kann und
als deren Direktor einige Zeit kein Geringerer als Wieland
fungierte. Und ■— als Kuriosum führen wir noch an, daß
im Herbst 1800 französische Militärbeamte, welche damals
in Biberach und Umgegend im Quartier lagen, Schillers
„Räuber" im bürgerlichen Schanspielhanse spielten. Dasselbe
Stück halten schon in der Osterwoche des Jahres 1789 einige
junge Biberacher Herren znm Beste» der Armen unter größtem
Beifall ansgeführt. Im Jahre 1796 hatten daselbst franzö-
sische Kriegsgefangene und die österreichische Bedecknngsmann-
schaft Fastnachtsspiele und am Fastnacbt-Montag und Diens-
tag Maskenzüge veranstaltet. Diesem ihrem Ruhme als treuer
Pflegerin Thalias und der Muse ist die alte ehrenfeste Stadt
Biberach, welche sich leider in den letzten Jahrzehnten bei-
nahe aller ihrer Türme, dieser stnmmen ehrwürdigen Zeugen
längst vergangener Zeiten, entledigt hat, bis auf die neueste
Zeit getreu geblieben, indem sie sich den Lupus eines hübschen
neuen Schauspielhauses gestattete.

I» dem ehemals vorderösterreichischen Städtchen Wa l d s e e*
findet man die frühesten Spuren von einem Theater um das
Jahr 1640, wo Schulmeister Spiegler auf das Fronleich-
namsfest eine Komödie dedizierte, wofür ihm ein Schaf, den
Komödietreibenden aber ein Trunk gereicht wurde. Sodann hat
im Jahre 1732 und 1740 die bürgerliche Gesellschaft daselbst
das Leiden Christi aufgeführt, was sich nachher und bis znm
Ende des vorigen Jahrhunderts wiederholte, wofür vom Säckel-
amte 5 Gulden Geld nebst einem Trunk verwilligt worden
ist. Daneben wurde die edle Mnsika nicht vernachlässigt, son-
dern ebenfalls sehr gepflegt; in den Klöstern und Reichsstädten
war über daö Amt meist figurierte Musik; die Klosterschüler
gaben von Zeit zu Zeit musikalische Produktionen und in den
letzten Zeiten verstiegen sich die von Schnssenried unter der
Direktion des vorzüglichen Biberacher Musikers Justin Hein-
rich Knecht und unter Mitwirkung von Kvnventnalen zur
Aufführung von Haydns „Schöpfung". Zu den berühmtesten
Schnssenrieder Klosterschülern zählte der unvergeßliche Kon-
radin Kreuzer von der Thalmühle bei Mößkirch, dessen Ge-
nius noch etwas in dem Schnssenrieder Liederkranze zu wehen
scheint, welcher sich allezeit und früher unter der Leitni^g des
zu Steinhaufen geborenen jetzigen Domkapellmeisters Ed. Stehle
in St. Gallen, die Pflege des Gesanges sehr angelegen sein
ließ und bei dem großen Liederfeste des schwäbischen Sänger-
bundes in Ulm im Sommer 1884 in rühmlichem Wettkampfe
sich den ersten Preis für höheren Volksgesang errungen hat.

Durch das Eingehen der geistlichen Stifte und Reichs-

städte, in welch' letzteren vielfach ein lebensfrohes Wesen
herrschte, durch die Jahrzehnte andauernden Kriege und die
darauf folgenden großen politischen Veränderungen war das
„G'spiel" allenthalben in Süddeutschland, auch in Ober-
schwaben ganz in Abgang gekommen und halte sich in die
stillen abgelegenen Thäler der Hochgebirge zu beut einfachen
in Sitte und Glauben unwandelbar gebliebenen Gebirgsvolke,
wo es von jeher zu Hause war, zurückgezogen. Von den
weltbekannten Passionsspielen in Oberämmergan, Brixlegg
>lnd Vorderthiersee bei Kufstein und neuerdings (im Jahre
1893 und 1894) zu Höritz im Böhmerwald abgesehen, gab
und giebt es znm Teil noch in Schwaben, Bayern und Tirol
eine ganze Reihe von Ortschaften, welche dergleichen geistliche
Spiele und ihre eigenen „Banernbühnen" auf welchen auch
Vorstellungen weltlichen Inhalts vorgeführt wurden, hatten,
so Endorf, Kieferfelden, Seebruck, auf dem „Dreisesselstein"
an der bayerisch-böhmischen Grenze, Mittenwald, die originellen
neueren Bauerntheater zu Pradl, Jnzing im Oberinnthal
(Sebastiansspiel), Wattens Buch, Ebbs und im Innsbrucker
Lowenhans, vor Allem aber von Schliersee, welches sich so-
gar auf Großstadtbühnen produziert, unb das Volkstheater
von Meran, zu Erl a. I., wo die Bauern im Sommer 1891
daö biblische Volksschanspiel: „Moses" re. mit Bildern, Chören
und Musik in einem Vorspiel und 6 Akten anfführten, Waal,
wo schon seit dem Jahre 1796 und seitdem siebenmal, im
Jahre 1894 von gegen 100 Mitwirkenden aus dem Dorfe in
einem eigenen, im Jahre 1886 neu erstellten, gegen 400 Per-
sonen fassenden Theatergebände, „Passion gespielt" wurde re.
Und — heute noch trotz deö kolossalen in der Jetztzeit vor
sich gehenden Zersetznngsprozesses zeigt sich die dramatische
Produktionskraft dieser Aelpler von einer unverwüstlichen
Dauer und Haltbarkeit; so spielen sie nicht bloß in den
Vorbergen ihre ihnen ans Herz gewachsene,! „Passion und
anderes", nein! weit drinnen in den hintersten Bergen, wo
schier nichts als Berg und Himmel ist, dahinten am Hinter-
rhein im Lngnetzthale, in Lnmbrein, dessen Heldenweiber einst
in grauer Vorzeit (im Jahre 1355) unseren schwäbischen
Rittern unter Graf Rudolph v. Montfort einen bösen Em-
pfang bereiteten, führen die naturwüchsigen „Pompelnser" unter
Anleitung ihres wackeren Pfarrers Casanova ihren „Passion"
auf, zu der das Hirtenvolk von allen Bergen und Thälern
erwartungsvoll herbeieilt; und als der Schreiber dieses einst
im Herbst 1873 von Italien heimwärts zog und in dem auf
herrlich grünem Wiesenplan inmitten des großartigsten Hoch-
gebirges gelegenen Alpendorfe Bergün, also an einer der
äußersten deutschen Sprachgrenzen, wo schon mehr roma-
nisch gesprochen wird, Halt machte, durfte er sich daselbst
nicht nur wieder deutscher Laute erfreuen, sondern die im
Dorfe herrschende, lebhafte Bewegung ließ ihn noch größeres
erwarten, wie denn bei näherer Umschau Theaterzettel allent-
halben ankündigten, daß abends ein deutsches Schauspiel von
Kotzebne durch die Dorfjugend mit Unterstützung deö Orts-
geistlichen Andeer anfgeführt werde.

Ueberhanpt scheint in der als so materialistisch verschrie-
enen Schweiz, wo das Mittelaller sich noch in manchen Er-
scheinungen bis auf den heutigen Tag, so in uralten Ge-
bräuchen in dramatischer Form, wie zum Beispiel in den dra-
matischen Aufzügen beim sogenannten „Sechseläuten" in Zürich
erhallen, >vo die Spuren der alten theatralischen Spiele nie
ganz ansgestorben, im Gegenteile aus den nationalen Inte-
ressen immer wieder Nahrung gezogen haben, die alte Neigung
zu seenischen Darstellungen wieder kräftig erwacht zu sein.
Noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wurden zu
 
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