Beilage zu M 29 der „Dioskureu".
ler mehr und mehr einer größeren Gediegenheit und fein-harmonischeren
Behandlung der Tonskalen sich zuwendet und namentlich alle specifischen Far-
bengegensätze der einen großen Wirkung der Gesammtstimmung unterordnet
und darin aufgehen läßt. Der Mittelgrund ist trotz seiner reichen Detaillirung
außerordentlich schon und stimmt mit dem Hintergründe vortrefflich zusammen,
und was den Vordergrund betrifft, so haben wir hier den bei unserer Be-
sprechung der ebenfalls sehr wirkungsvollen „Ansicht von Neapel" gemachten
Einwurf einer etwas tobten und undurchsichtigen Behandlung der Details
in Rücksicht auf Farbe nicht zu wiederholen. Im Gegentheil können wir
hier auch in dieser Beziehung anerkennen, daß das Terrain des Vordergrun-
des kräftig, klar und im Kolorit ebenso naturwahr wie harmonisch ist. Rechnen
wir hierzu die zwar etwas sehr reiche, aber doch durch ihre Großartigkeit
und malerische Schönheit imponirende Natur des Motivs, welches, obwohl
„Olevano" genannt, doch sich etwas dem Charakter des Sabinergebirges
nähert, so glauben wir dem Werke einen bedeutenden Erfolg versprechen zu
können. — Endlich kommen wir zu dem am meisten unter diesen vier Künstlern
realistischen Pape, welcher diesmal dnrck drei kleine aber allerliebste Wald-
bildchen vertreten ist, die sich neben der ungemeinen und gemüthvollen Na-
turwahrheit auch durch eine sinnige Behandlung der Motive und eine glän-
zende Technik ans,zeichnen. —
Von den übrigen Bildern nennen wir noch O. Achenbach's „Albano",
das eine etwas kokette Virtuosität zur Schau trägt, Camphausen'S „Or-
donnanzritt im Feuer", dessen Motiv aus Friedrichs des Großen Zeit ent-
nommen ist, W. Krause's „Landschaften", Klara Bötticher's „junge
Hunde", Kalchbrenners „Doversliff", ein Bild, in welchem sich die Schule
unsers genialen Meisters Hoguet bemerklich macht, und endlich Boscr's
„Gotteskasten", eine veränderte Wiederholung deö schon von der letzten großen
Kunstausstellung her bekannten schönen Bildes dieses talentvollen Künstlers.
M. Sr.
2. ^Mrmancnte Gemälde-Ausstellung von Sachse. Das große
Werk des Franzosen Dubufe: „Darstellung des Pariser Kongresses", welches
. die Mitglieder des Pariser Kongresses in lebensgroßer Figur um einen langen
Tisch gruppirt darstellt, ist bekanntlich im Aufträge des Kaisers Napoleon
gemalt und erregte bereits ans der letzten großen Pariser Ausstellung.große
Aufmerksamkeit. Und, wenigstens in technischer Beziehung, mit Recht. Denn
außer der ungewöhnlichen Routine, mit welcher die Malerei behandelt ist,
besitzt es auch mannigfaltige große Vorzüge, unter denen wir als den keines-
wegs geringsten die große Milde und Harmonie deS Gesammtkolorits her-
vorheben, welche zugleich mit einer ungemeinen Kraft und Natnrwahrheit der
Detailausführung verbunden ist. Rechnet man außerdem — was bei diesem
Gegenstände sehr in Betracht kommt — die großen und zahlreichen Schwie-
rigkeiten hinzu, welche mit dieser Aufgabe, eine Gesellschaft von Portrait-
fignren ohne eigentliche äußere Aktion in mannigfaltiger Grnppirnng und zu-
gleich so darznstellen, daß jede zu ihrem verhältnißmäßigen Recht kam, so
verdient der Künstler, welcher diese Aufgabe in solcher Weise zu lösen ver-
stand, die größte Anerkennung. Wenn wir daher trotz der großen technischen
und kompositionellen Vorzüge des Gemäldes ans einige Punkte Hinweisen, welche
uns nicht befriedigen, so glauben wir diese Mängel eben so sehr und viel-
leicht mehr noch den eben erwähnten, in der Aufgabe selbst liegenden Schwie-
rigkeiten als dem Können deS Malers selbst zuschreiben zu müssen. Vor
allem scheint es uns völlig ungeeignet, an die Koniposition den Maaßstab
der Historie anlegen oder gar das Bild als ein historisch sehr bedeutendes
hinstellen zu wollen. Ob der Pariser Kongreß eine historisch bedeutsame
Thatsache sei, ist ganz indifferent, aber eine diplomatische Verhandlung, mögen
deren Theilnehmer noch so wichtige „historische Personen" sein, kann schon
deshalb gar kein Motiv zu einem Historiengemälde abgeben, weil in der
Komposition eine Andeutung über den Inhalt dieser Verhandlung zu geben
schlechterdings zu den Unmöglichkeiten gehört. Zweitens aber fehlt, selbst
wenn dieser prinzipielle Einwand bestritten werden könnte, der Komposition,
wie sie hier vorliegt, grade das, was etwa eine solche Andeutung über den
ideellen Inhalt geben könnte: die Einheit. Nicht die Verhandlung selbst,
sondern eine in derselben eingetretene Pause scheint der Künstler sich als Motiv
gedacht zu haben; und wir möchten ihn darum loben, daß er, statt alle seine
Figuren ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt, etwa auf die Worte eines
Redners unter ihnen, richten zu lassen, eine solche Pause, d. h. eine Zer-
splitterung der Aufmerksamkeit, gewählt hat, um wenigstens für seine Kom-
position den Vortheil der individnellcn Grnppirnng und persönlichen Cha-
rakteristik zu benutzen. Allein dieser, der materiellen Komposition angehörende
Vortheil wägt doch den Mangel an Einheit, welcher sich in der ideellen Kom-
position fühlbar macht, nicht auf. Fast alle auf dem Bilde dargestellteu
Figuren sehen nach einem andern Punkte, und zwar zumeist, ohne daß eine
Gegenseitigkeit der Beziehung deutlich wird; d. h. sie sind fast alle gegen ein-,
ander indifferent: der eine spricht, ohne daß derjenige, an den er sich wendet,
zuhört; dieser hört nach einer Seite hin, z. B. aus dem Bilde heraus, von
wo für den Beschauer Niemand ist, welcher spricht u. s. f. Diese Bemerkung be-
zieht sich hauptsächlich ans. die drei Vordergrundfiguren deS Grafen Wa-
lewsky, Lord Clarendon und Ali Pascha. Am schlimmsten ist es dein Ver-
treter Preußens ergangen. Herr von Manteuffel sitzt an der andern Seite
des Tisches und beobachtet mit finsterm Gesicht einen unbekannten Gegenstand
auf demselben, wir vermuthen eiu^. Sanduhr, welche den Ablauf der Ver-
handlung anzeigen soll und deren Sand ihm zu langsam läuft. Die.andern
Personen, welche theils stehend, theils sitzend, sich um den Tisch gruppiren,
sind (vom Beschauer ans) links: Cavonr, Cowley, von Bnol-Schanenstein,
vorn Graf Orlof, ini Hintergründe de Bourquenay, Baron Hübner, nach
rechts v. Brunnow, Graf Hatzfeldt, Mehmed Djemil Bey, Benedetti und
Villa Marina. Wenn man die Gruppirung in ihrer Totalwirkung überblickt,
so macht sie den entschiedenen Eindruck, als ob alle diese Personen, in einer
momentanen Betveguug begriffen, plötzlich, durch einen Zauberstab berührt,
unbeweglich geworden und so fixirt worden seien. Dieses Gepräge der
Fixirung verleiht dem Ganzen eine gewisse Befangenheit, welche doch wohl
hätte vermieden werden können, wenn sich die Aufmerksamkeit aller Personen
aus einen Punkt, etwa uns die Worte eines unter ihnen Sprechenden, ge-
richtet hätte. Wir glauben, daß die dabei gewonnene größere Ruhe der Ein-
zelnen der feineren Charakteristik nicht nur keinen Eintrag gethan, sondern sie
im Gegentheil erleichtert und verständlicher gemacht hätte. Auch ist kein
Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Mannigfaltigkeit der Grnppirnng
darunter hätte leiden müssen; und wenn auch vielleicht eine oder die andere
Person mehr im Profil erschienen wäre, so würde dieser kleine Uebelstand,
gegenüber dem großen Vortheil einer größeren kompositionellen Einheit, jeden-
falls zu verschmerzen gewesen sein.
Unter den andern, zum Theil zugleich mit diesem Bilde zur Ausstellung
gekommenen neuen Werken machen wir vor Allem auf ein meisterhaftes Bild
von Fr. Boltz: „Kühe am Wasser" aufmerksam, welches wir wegen seiner
naturwahren Komposition und der überaus großen Klarheit im Kolorit als
das gelungenste der bisher zur Ausstellung gekommenen Bilder dieses trefflichen
Meisters betrachten. Beschattet von einem mit Strauchwerk bewachsenen
Felsen, an dessen Fuße eine Quelle sich zu einem kleinen Teiche gesammelt
hat, stehen zwei Kühe, in gemüthlicher Ruhe ihren Durst löschend. Weiter
nach dem Mittelgründe zu treibt der Hirtenknabe noch mehr Vieh, darunter
auch Schaafe, die sich verlaufen haben mögen, herbei. Zn der idyllischen
Ruhe der Komposition harmonisch abgestimmt, breitet sich ein milder Himmel
über die Landschaft und verleiht dem Ganzen das Gepräge jener Natnrein-
samkeit, welche im Waldesschatten oder ans hohen Gebirgen das Gemüth des
Wanderers mit eigenthümlichem Zauber berührt. — Die „betende Nonne"
von Frau Gaggiotti-Richards ist ein lebensgroßes Kniestück von großer
malerischer Wirkung, das überdies von einer seltenen Routine Zeugmß ab-
legt. Die Figur der Nonne, welche sich auf dem weißlich grauen Hinter-
gründe der Klosterzelle kräftig abhebt, frappirt durch die Eigenthümlichkeit der
Auffassung sowie durch die Kraft des Kolorits, dessen Wirkung noch bedeu-
tender sein würde, wenn die Farbengebung etwas mehr Weichheit in der
Modellirung besäße. — Die „Briefleserin" von Jacobs ans Gotha, dessen
Richtung sich bekanntlich an die Riedel'sche anschließt, läßt durch die völlige
Jnhaltsleerheit des Motivs indifferent, obschon das Gesicht des jungen Mäd-
chens in seiner kräftigen Beleuchtung für Manchen viel Anziehendes haben
mag. Wenn solche Bilder, wie es mit diesem geschehen, von Kunstvereinen
angekauft werden, so ist dies nur ein Beweis, wie wenig den Vorständen
darum zu thun ist, das von ihnen ausgestellte Prinzip, „die Kunst zu fördern",
in Wirklichkeit zu befolgen. Salonmalerei — denn zu dieser Klasse gehört
das Jacobs'sche Gcinälde — ist in unseren Augen nur eine höhere Stnbeu-
malerei; die Kunst aber bedarf vor Allem eines ideellen Gehalts, eines poe-
tischen Gedankens zu ihren Motiven.
Seit den letzten beiden Wochen sind noch mehre recht bedeutende Werke
zur Ausstellung gekommen, über die wir, vorbehaltlich späteren näheren Ein-
gehens in einzelne darunter, noch kürz berichten wollen. Als alten Bekannten
von der großen letzten Kunstausstellung der Akademie begrüßen wir das ge-
diegene Bild von Grün „Hagar und Jsmael in der Wüste". Die früher
in 'Etwas bemerkte Schwere im Grnndton verschwindet hier in dem überreich
mit Licht ausgestatteten Ansstellungslokal gänzlich, so daß die große Milde
und harmonische Schönheit des Kolorits zu ihrer vollen Wirkung gelaugt. —
Borckmann's „Lieblingslektüre" zeigt abermals keinen unbedeutenden Fort-
schritt zu grö ßerer Klarheit und Einfachheit. Ueberhaupt ist das Bild sehr
anziehend, obwohl es der Komposition an eigentlichem Inhalt gebricht. Die
Stellung der jungen Dame, in welcher sich, wie wir vermuthen, das Nicht-
wartenkönnen ausdrücken soll, ist etwas gezwungen oder macht, wenigstens
durch, die Fixirung. einer so unbequemen Situation, den Eindruck davon. Sehr
geschickt und mit weiser Unterordnung' sind die Nebensachen behandelt. Von
demselben Künstler ist auch ein „Männliches Portrait" ausgestellt, das. eben-
falls ein sehr verdienstliches Werk ist. — Drei andere große Portraits von
verschiedener Behandlung, aber sämmtlich als tüchtige Arbeiten anerkennens-
wertst, sind ferner von Oskar BegaS, Radtke und Clara Oenicke aus-
gestellt. Das erstere stellt den Bildhauer Süßmann dar, und ist ein mei-
sterhaftes Bild von ungemeiner Lebenswahrheit und Schönheit des Kolorits;
das zweite, das „Portrait des Professor Ehrenberg" ist unseres Wissens für
die „Galerie ausgezeichneter Männer der Wissenschaft und Kunst" in Sans-
souci bestimmt, zu welcher bereits unsere renommirtesten Künstler Beiträge
geliefert haben, und darf zu den besten Werken dieser Sammlung gezählt
werden. Es zeichnet sich neben großer und geistvoller Portraitähnlichkeit
auch durch eine große Frische deS Tons und eine seltene Detailausführung
aus, in welcher letzteren der Künstler fast zu weit gegangen ist. — Das „Por-
trait" von Frl. Oenicke verdient ebenfalls großes Lob. Es ist sorgfältig
behandelt, milde aber kräftig in der Gesammtwirknng und lebendig im Ausdruck.
Der „Pastetenbäckerjunge" von Reimer bekundet einen sehr erfreulichen
Fortschritt des Künstlers. Schon das Motiv zieht durch seinen launigen und
charakteristischen Inhalt an: ein Konditorjnnge, einen Teller mit einer großen
Pastete ans beiden Händen tragend, wird von drei Hunden attakirt, welche
bedeutende "Lust auf das Backwerk verspüren. Die halb verdießliche, halb
ängstliche Miene des Jungen, welcher den Fuß anfhebt, um in Ermangelung
ler mehr und mehr einer größeren Gediegenheit und fein-harmonischeren
Behandlung der Tonskalen sich zuwendet und namentlich alle specifischen Far-
bengegensätze der einen großen Wirkung der Gesammtstimmung unterordnet
und darin aufgehen läßt. Der Mittelgrund ist trotz seiner reichen Detaillirung
außerordentlich schon und stimmt mit dem Hintergründe vortrefflich zusammen,
und was den Vordergrund betrifft, so haben wir hier den bei unserer Be-
sprechung der ebenfalls sehr wirkungsvollen „Ansicht von Neapel" gemachten
Einwurf einer etwas tobten und undurchsichtigen Behandlung der Details
in Rücksicht auf Farbe nicht zu wiederholen. Im Gegentheil können wir
hier auch in dieser Beziehung anerkennen, daß das Terrain des Vordergrun-
des kräftig, klar und im Kolorit ebenso naturwahr wie harmonisch ist. Rechnen
wir hierzu die zwar etwas sehr reiche, aber doch durch ihre Großartigkeit
und malerische Schönheit imponirende Natur des Motivs, welches, obwohl
„Olevano" genannt, doch sich etwas dem Charakter des Sabinergebirges
nähert, so glauben wir dem Werke einen bedeutenden Erfolg versprechen zu
können. — Endlich kommen wir zu dem am meisten unter diesen vier Künstlern
realistischen Pape, welcher diesmal dnrck drei kleine aber allerliebste Wald-
bildchen vertreten ist, die sich neben der ungemeinen und gemüthvollen Na-
turwahrheit auch durch eine sinnige Behandlung der Motive und eine glän-
zende Technik ans,zeichnen. —
Von den übrigen Bildern nennen wir noch O. Achenbach's „Albano",
das eine etwas kokette Virtuosität zur Schau trägt, Camphausen'S „Or-
donnanzritt im Feuer", dessen Motiv aus Friedrichs des Großen Zeit ent-
nommen ist, W. Krause's „Landschaften", Klara Bötticher's „junge
Hunde", Kalchbrenners „Doversliff", ein Bild, in welchem sich die Schule
unsers genialen Meisters Hoguet bemerklich macht, und endlich Boscr's
„Gotteskasten", eine veränderte Wiederholung deö schon von der letzten großen
Kunstausstellung her bekannten schönen Bildes dieses talentvollen Künstlers.
M. Sr.
2. ^Mrmancnte Gemälde-Ausstellung von Sachse. Das große
Werk des Franzosen Dubufe: „Darstellung des Pariser Kongresses", welches
. die Mitglieder des Pariser Kongresses in lebensgroßer Figur um einen langen
Tisch gruppirt darstellt, ist bekanntlich im Aufträge des Kaisers Napoleon
gemalt und erregte bereits ans der letzten großen Pariser Ausstellung.große
Aufmerksamkeit. Und, wenigstens in technischer Beziehung, mit Recht. Denn
außer der ungewöhnlichen Routine, mit welcher die Malerei behandelt ist,
besitzt es auch mannigfaltige große Vorzüge, unter denen wir als den keines-
wegs geringsten die große Milde und Harmonie deS Gesammtkolorits her-
vorheben, welche zugleich mit einer ungemeinen Kraft und Natnrwahrheit der
Detailausführung verbunden ist. Rechnet man außerdem — was bei diesem
Gegenstände sehr in Betracht kommt — die großen und zahlreichen Schwie-
rigkeiten hinzu, welche mit dieser Aufgabe, eine Gesellschaft von Portrait-
fignren ohne eigentliche äußere Aktion in mannigfaltiger Grnppirnng und zu-
gleich so darznstellen, daß jede zu ihrem verhältnißmäßigen Recht kam, so
verdient der Künstler, welcher diese Aufgabe in solcher Weise zu lösen ver-
stand, die größte Anerkennung. Wenn wir daher trotz der großen technischen
und kompositionellen Vorzüge des Gemäldes ans einige Punkte Hinweisen, welche
uns nicht befriedigen, so glauben wir diese Mängel eben so sehr und viel-
leicht mehr noch den eben erwähnten, in der Aufgabe selbst liegenden Schwie-
rigkeiten als dem Können deS Malers selbst zuschreiben zu müssen. Vor
allem scheint es uns völlig ungeeignet, an die Koniposition den Maaßstab
der Historie anlegen oder gar das Bild als ein historisch sehr bedeutendes
hinstellen zu wollen. Ob der Pariser Kongreß eine historisch bedeutsame
Thatsache sei, ist ganz indifferent, aber eine diplomatische Verhandlung, mögen
deren Theilnehmer noch so wichtige „historische Personen" sein, kann schon
deshalb gar kein Motiv zu einem Historiengemälde abgeben, weil in der
Komposition eine Andeutung über den Inhalt dieser Verhandlung zu geben
schlechterdings zu den Unmöglichkeiten gehört. Zweitens aber fehlt, selbst
wenn dieser prinzipielle Einwand bestritten werden könnte, der Komposition,
wie sie hier vorliegt, grade das, was etwa eine solche Andeutung über den
ideellen Inhalt geben könnte: die Einheit. Nicht die Verhandlung selbst,
sondern eine in derselben eingetretene Pause scheint der Künstler sich als Motiv
gedacht zu haben; und wir möchten ihn darum loben, daß er, statt alle seine
Figuren ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt, etwa auf die Worte eines
Redners unter ihnen, richten zu lassen, eine solche Pause, d. h. eine Zer-
splitterung der Aufmerksamkeit, gewählt hat, um wenigstens für seine Kom-
position den Vortheil der individnellcn Grnppirnng und persönlichen Cha-
rakteristik zu benutzen. Allein dieser, der materiellen Komposition angehörende
Vortheil wägt doch den Mangel an Einheit, welcher sich in der ideellen Kom-
position fühlbar macht, nicht auf. Fast alle auf dem Bilde dargestellteu
Figuren sehen nach einem andern Punkte, und zwar zumeist, ohne daß eine
Gegenseitigkeit der Beziehung deutlich wird; d. h. sie sind fast alle gegen ein-,
ander indifferent: der eine spricht, ohne daß derjenige, an den er sich wendet,
zuhört; dieser hört nach einer Seite hin, z. B. aus dem Bilde heraus, von
wo für den Beschauer Niemand ist, welcher spricht u. s. f. Diese Bemerkung be-
zieht sich hauptsächlich ans. die drei Vordergrundfiguren deS Grafen Wa-
lewsky, Lord Clarendon und Ali Pascha. Am schlimmsten ist es dein Ver-
treter Preußens ergangen. Herr von Manteuffel sitzt an der andern Seite
des Tisches und beobachtet mit finsterm Gesicht einen unbekannten Gegenstand
auf demselben, wir vermuthen eiu^. Sanduhr, welche den Ablauf der Ver-
handlung anzeigen soll und deren Sand ihm zu langsam läuft. Die.andern
Personen, welche theils stehend, theils sitzend, sich um den Tisch gruppiren,
sind (vom Beschauer ans) links: Cavonr, Cowley, von Bnol-Schanenstein,
vorn Graf Orlof, ini Hintergründe de Bourquenay, Baron Hübner, nach
rechts v. Brunnow, Graf Hatzfeldt, Mehmed Djemil Bey, Benedetti und
Villa Marina. Wenn man die Gruppirung in ihrer Totalwirkung überblickt,
so macht sie den entschiedenen Eindruck, als ob alle diese Personen, in einer
momentanen Betveguug begriffen, plötzlich, durch einen Zauberstab berührt,
unbeweglich geworden und so fixirt worden seien. Dieses Gepräge der
Fixirung verleiht dem Ganzen eine gewisse Befangenheit, welche doch wohl
hätte vermieden werden können, wenn sich die Aufmerksamkeit aller Personen
aus einen Punkt, etwa uns die Worte eines unter ihnen Sprechenden, ge-
richtet hätte. Wir glauben, daß die dabei gewonnene größere Ruhe der Ein-
zelnen der feineren Charakteristik nicht nur keinen Eintrag gethan, sondern sie
im Gegentheil erleichtert und verständlicher gemacht hätte. Auch ist kein
Grund zu der Annahme vorhanden, daß die Mannigfaltigkeit der Grnppirnng
darunter hätte leiden müssen; und wenn auch vielleicht eine oder die andere
Person mehr im Profil erschienen wäre, so würde dieser kleine Uebelstand,
gegenüber dem großen Vortheil einer größeren kompositionellen Einheit, jeden-
falls zu verschmerzen gewesen sein.
Unter den andern, zum Theil zugleich mit diesem Bilde zur Ausstellung
gekommenen neuen Werken machen wir vor Allem auf ein meisterhaftes Bild
von Fr. Boltz: „Kühe am Wasser" aufmerksam, welches wir wegen seiner
naturwahren Komposition und der überaus großen Klarheit im Kolorit als
das gelungenste der bisher zur Ausstellung gekommenen Bilder dieses trefflichen
Meisters betrachten. Beschattet von einem mit Strauchwerk bewachsenen
Felsen, an dessen Fuße eine Quelle sich zu einem kleinen Teiche gesammelt
hat, stehen zwei Kühe, in gemüthlicher Ruhe ihren Durst löschend. Weiter
nach dem Mittelgründe zu treibt der Hirtenknabe noch mehr Vieh, darunter
auch Schaafe, die sich verlaufen haben mögen, herbei. Zn der idyllischen
Ruhe der Komposition harmonisch abgestimmt, breitet sich ein milder Himmel
über die Landschaft und verleiht dem Ganzen das Gepräge jener Natnrein-
samkeit, welche im Waldesschatten oder ans hohen Gebirgen das Gemüth des
Wanderers mit eigenthümlichem Zauber berührt. — Die „betende Nonne"
von Frau Gaggiotti-Richards ist ein lebensgroßes Kniestück von großer
malerischer Wirkung, das überdies von einer seltenen Routine Zeugmß ab-
legt. Die Figur der Nonne, welche sich auf dem weißlich grauen Hinter-
gründe der Klosterzelle kräftig abhebt, frappirt durch die Eigenthümlichkeit der
Auffassung sowie durch die Kraft des Kolorits, dessen Wirkung noch bedeu-
tender sein würde, wenn die Farbengebung etwas mehr Weichheit in der
Modellirung besäße. — Die „Briefleserin" von Jacobs ans Gotha, dessen
Richtung sich bekanntlich an die Riedel'sche anschließt, läßt durch die völlige
Jnhaltsleerheit des Motivs indifferent, obschon das Gesicht des jungen Mäd-
chens in seiner kräftigen Beleuchtung für Manchen viel Anziehendes haben
mag. Wenn solche Bilder, wie es mit diesem geschehen, von Kunstvereinen
angekauft werden, so ist dies nur ein Beweis, wie wenig den Vorständen
darum zu thun ist, das von ihnen ausgestellte Prinzip, „die Kunst zu fördern",
in Wirklichkeit zu befolgen. Salonmalerei — denn zu dieser Klasse gehört
das Jacobs'sche Gcinälde — ist in unseren Augen nur eine höhere Stnbeu-
malerei; die Kunst aber bedarf vor Allem eines ideellen Gehalts, eines poe-
tischen Gedankens zu ihren Motiven.
Seit den letzten beiden Wochen sind noch mehre recht bedeutende Werke
zur Ausstellung gekommen, über die wir, vorbehaltlich späteren näheren Ein-
gehens in einzelne darunter, noch kürz berichten wollen. Als alten Bekannten
von der großen letzten Kunstausstellung der Akademie begrüßen wir das ge-
diegene Bild von Grün „Hagar und Jsmael in der Wüste". Die früher
in 'Etwas bemerkte Schwere im Grnndton verschwindet hier in dem überreich
mit Licht ausgestatteten Ansstellungslokal gänzlich, so daß die große Milde
und harmonische Schönheit des Kolorits zu ihrer vollen Wirkung gelaugt. —
Borckmann's „Lieblingslektüre" zeigt abermals keinen unbedeutenden Fort-
schritt zu grö ßerer Klarheit und Einfachheit. Ueberhaupt ist das Bild sehr
anziehend, obwohl es der Komposition an eigentlichem Inhalt gebricht. Die
Stellung der jungen Dame, in welcher sich, wie wir vermuthen, das Nicht-
wartenkönnen ausdrücken soll, ist etwas gezwungen oder macht, wenigstens
durch, die Fixirung. einer so unbequemen Situation, den Eindruck davon. Sehr
geschickt und mit weiser Unterordnung' sind die Nebensachen behandelt. Von
demselben Künstler ist auch ein „Männliches Portrait" ausgestellt, das. eben-
falls ein sehr verdienstliches Werk ist. — Drei andere große Portraits von
verschiedener Behandlung, aber sämmtlich als tüchtige Arbeiten anerkennens-
wertst, sind ferner von Oskar BegaS, Radtke und Clara Oenicke aus-
gestellt. Das erstere stellt den Bildhauer Süßmann dar, und ist ein mei-
sterhaftes Bild von ungemeiner Lebenswahrheit und Schönheit des Kolorits;
das zweite, das „Portrait des Professor Ehrenberg" ist unseres Wissens für
die „Galerie ausgezeichneter Männer der Wissenschaft und Kunst" in Sans-
souci bestimmt, zu welcher bereits unsere renommirtesten Künstler Beiträge
geliefert haben, und darf zu den besten Werken dieser Sammlung gezählt
werden. Es zeichnet sich neben großer und geistvoller Portraitähnlichkeit
auch durch eine große Frische deS Tons und eine seltene Detailausführung
aus, in welcher letzteren der Künstler fast zu weit gegangen ist. — Das „Por-
trait" von Frl. Oenicke verdient ebenfalls großes Lob. Es ist sorgfältig
behandelt, milde aber kräftig in der Gesammtwirknng und lebendig im Ausdruck.
Der „Pastetenbäckerjunge" von Reimer bekundet einen sehr erfreulichen
Fortschritt des Künstlers. Schon das Motiv zieht durch seinen launigen und
charakteristischen Inhalt an: ein Konditorjnnge, einen Teller mit einer großen
Pastete ans beiden Händen tragend, wird von drei Hunden attakirt, welche
bedeutende "Lust auf das Backwerk verspüren. Die halb verdießliche, halb
ängstliche Miene des Jungen, welcher den Fuß anfhebt, um in Ermangelung