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und Egyd Sudeler, angefertigte Originalkatalog (mit dessen Besitz sich
einst Ritter von Schönfeld brüstete) zur Hand, so würde dies der Geschichte
der Malerei und Skulptur einen unberechenbaren Gewinn und Vorschub ge-
währen. Denn es existiren in Prag über die Sammlungen leider nur frag-
mentarische Verzeichnisse in überdies jüngeren und schlechten Abschriften, und
selbst diese sind bereits nach dem Verfalle der Sammlung, das ist, nach
ihrer Beraubung (1648), Zersplitterung (1721—1724) und Verschleuderung
(1782) nicdergeschrieben worden. Die Beraubung ging — einige früheren
Unterschleife durch die Mansfelder während der Anarchie von 1618 bis
1620 abgerechnet — nicht, wie allgemein behauptet zu werden pflegt, 1631
unter Kurfürst Johann Georg von Sachsen, angeblich durch den General
Arnim, vor sich (Beweise aus Khevenhüller in dem Führer durch das
grüne Gewölbe von A. B. v. Landsberg, Dresden 1844, S. 7), sondern
cingestäudlich erst 1648 durch die Schweden, unter dem General Grafen
Königsmark - wie dies Pusfendorf (welcher schwedischer Hofhistoriograph
war) selbst bestätigt. Die damalige Zeit hat in derlei Spolien nichts Unge-
rechtes gesehen, höchstens Trophäen des Siegers. Da jedoch bei dem Trans-
porte von Prag nach Stockholm viele Kisten und ganze Wagen (z. B. in
Stralsund) abhanden kamen, so wurden die entführten Schätze theils gleich,
theils später, ja selbst erst nach hundert Jahren, unter verschiedenen Umstän-
den, nach vielerlei Wanderungen und durch die seltenste Laune des Zufalls
in Europa umhergestreut, und man darf sich nicht wundern, Gemälde und
andere Bestandtheile der Rudolphinischen Kunstkammer (außer Wien, wohin
im Allerhöchsten Aufträge noch bei Zeiten eine Partie davon überführt
wurde) in Stockholm, St. Petersburg, Dresden, München, Paris, London
und anderwärts auzutreffen. Mehrere aus Prag entführte Bilder der ersten
Meister wurden bald nach ihrer Anlaugung (wie Winkelmann berichtet) am
schwedischen Hofe unverzeihlich gemißhandelt. Man schnitt aus den Bildern
die Köpfe, Hände und Füße heraus, die man ans eine Tapete klebte, das
klebrige wurde hinzugemalt u. s. w. Der Baseler Arzt Karl Patin (Ro-
lations bist, ckos voyages, ä Lyon 1688, p. 222) versichert, noch nach
dem Westphälischen Frieden aus dem Prager Schlosse mehr als 50 Gemälde
von Tizian, ein Kabinct ganz voll Raphaelischer Werke und außerdem
mehrere große Zimmer mit Bildern höchsten Wertstes angefüllt gesehen zu
Habens!). Sei dieser außerordentlich reiche artistische Ueberbleib auch etwas
unwahrscheinlich, so ist doch gewiß, daß die Schweden von mehreren Tausend
Bildern doch nur etwa 250 Stück der (nach ihrer Meinung) besten Ge-
mälde als gefundene Beute behandelt und nebst Büchern, Handschriften und
anderen werthvolleu Dingen mit nach Hause geschleppt haben. Die Königin
Christine eignete sich die Gemälde zu, nahm jedoch, soviel davon der Ver-
stümmelung entgangen war, nach ihrer Thronentsagung wieder mit nach Rom,
wo dann die Kollektion —'darunter nicht weniger als eilf Correggio —
von dem Herzog von Orleans für 90,000 Scudi erstanden und (1722) als
Grundlage der nun in London befindlichen Oaloris Orleans nach Paris ge-
schafft ward.

Daun trat die Periode der Zersplitterung der noch in ihren Trüm-
mern höchst kostbaren Rudolphinischen Bildergalerie ein. Im Jahre 1721
nämlich wurden fünf, und im Jahre 1723 einundvierzig der besten Stücke
ausgesucht und nach Wien gebracht, darunter sich 4 Tizian, 6 Guido
Reui, 3 Paolo Veronese, 1 Leonardo da Vinci, 1 Gnlio Ro-
mano, 1 Andrea del Sarto, 5 Rubens, 1 Van Dyk, 1 Albrecht
Dürer, 2Teniers, 1 Holbein, 1 Quentin Messis und I Breughel
befanden, — wofür das Prager Schloß im Jahre 1732 als Gegenersatz 44
der Wiener k. k. Galerie entbehrlichen Gemälde zugewiesen erhielt. Endlich
wurde, als die Prager Burg mit Artillerie besetzt werden sollte, angeordnet,
die letzten Reste oder den vermeintlichen Bodensatz der Rudolphinischen Kunst-
kammer — welche seit dem Theresianischen Umbaue der kön. Burg (1755—
1775) in einigen Erdgeschossen und auf den Dachböden durcheinandergeworfeu
lag — im öffentlichen Auktionswege loszuschlagen. Die Auktion dieser aus
Gemälden, Skulpturen, dann Kunstwerken in Gold, Silber, Kupfer, Stein,
Glas, Holz, Bein und Thon bestehenden „alten Rumpelkammer" ge-
schah — nach abermaliger Absonderung der besseren Gemälde für die Wie-
ner und Prager Burg (iir^ welcher letzteren sich, nach dem hofbauamtlichen
Inventar noch jetzt 554 Stück Bilder vorfinden) — am 13. und 14. Mai
1782 unter der Leitung zweier Bauinspektorats-Adjuncten. Die zerbrochenen
oder stärker beschädigten Figuren, Phiolen und etruskischen Basen wurden
den Tag vor der Licitation zum Fenster hinausgeworfen, und es blieb noch
lange Jahre später die Beschäftigung der Kinder, in dem Schutte des Hirsch-

grabens nach Figurentriimmern, bunten Scherben, Metallstücken u. dgl.. zu
wühlen, wobei auch Schreiber dieses (vor nun einem halben Jahrhundert)
auf derlei Mterthumsforschuugen eifersüchtig ausging und immer mit vollge-
füllten Händen und Taschen nach Hause kam. Bei der Rudolphinischen Auk-
tion wurde begreiflicher Weise äußerst wenig gelöst, weil weder mit wissen-
schaftlichem noch mit praktischem Sinne dabei vorgegangen ward. Miniatur-
gemälde, Ahnentafeln mit Porträten, Stammbücher n. s. w. wurden unter
dem AuSrufungspreise weggegeben, Urkunden und mehr solch altes Perga-
ment gingen vollends mit in den Kauf. Und es brachte bei dieser Gelegen-
heit der böhmisch-ständische Buchdrucker Johann Ferdinand Ritter von
Schönfeld so ziemlich das Beste hievon für eine unbedeutende Summe an
sich und sein Sohn Ignaz, k. k. Hofageut, formirte zu Wien in der Preß-
qasse Nr. 488 das bekannte „Schönfeldische Museum" daraus, dessen größter
-rhcil später in den Besitz des (1856 zu Graz in Steiermark verstorbenen)
Freiherrn von Dietrich gelangt ist. Nichts ist ergötzlicher, als die
Durchsicht des damaligen Rudolphinischen Auktions-Inventars! Da ist
Premysl's (?) Herzogsmütze als eine „Tasche" eingetragen, Druidenmesser (?)
und anderes heidnisches Opfergeräth als „Garteninstrnmente," von den in
Maltern und Fläschchen zusammengepreßten Juvelen (?) z. B. Lapis Lazuli
als blaue, Chrysopasse als grünliche Steine u. s. w. Noch mehr!
Kennt ihr den Rumps des Niobiden JlioneuS, nun im Ecksaale der
Münchner Glyptothek, woraus man zu den Cornelins'schen Fresken gelangt?
Auch dieses griechische Kuustdenkmal — nun leider! weniger noch als Torso—•
war in den Maitagen 1782 zu Prag als marmorner Eckstein versteigert
worden, versteht sich, nachdem das Kostbarste davon, das göttergleiche Haupt,
abgefallen war. Der Prager Professor und Kunstforscher Franz Lothar
Ehemant erkannte die echte Antike und kaufte sie. Allein sein baldiger, ge-
waltsamer Tod am 26. Oktober 1782 spielte die Antike dem Steinmetzer
Maliusky in die Hände, durch welchen dieselbe, glücklicherweise unversehrt,
für einen Spottpreis nach München kam. Aber auch das Haupt davon (?)
fand sich am andern Tage der Auktion, und ein Landgeistlicher erstieg das-
selbe für zwei Kreuzer, ließ eine Kugel daraus drehen und hing sie als Ge-
wicht an eine Pendeluhr! Diese Mittheilung ist Referenten vor vierzig
Jahren von einem bei der verhäugnißvollen Auktion von 1782 fungireuden
Domestiken, eiueni Gedenkmanne von achtzig Jahren, gemacht und eidlich ver-
bürgt worden. L. G.

(Mit einigem Zögern nahm die Redaction.*') diesen Aufsatz auf, weil
sie. einerseits denselben nicht ganz billigen konnte, andererseits aber doch den-
selben als einen Beitrag zu der kritisch unglaublich noch vernachlässigten
Kunstgeschichte Böhmens betrachtete. Maliusky würden wir nicht siir einen
einfachen „Steinmetzer" halten, das verbietet.schon der Grabstein, den er für
sich selbst verfertigte (Kleinseituer Kirchhof), er bildete Skulpturen, die sich
wenigstens den neuen Statuen auf der Prager Brücke würdig zur Seite
stellen können, obwohl wir diese dadurch nicht für vollendete Kunstwerke
erklären wollen. Deutsche Kunsthistoriker machen wir hiemit nochmals auf
die Berichtigungen aufmerksam, die Pros. Maloch in Jicin zu den Ansichten
Professors Bocel über die bis jetzt bekannten ältesten Frescogemälde zu
zu Neuhaus in Böhmen hinzufügte und auf die dadurch entstandene, unnöthi-
gerweise bittere Polemik, die jedoch den noch sehr fraglichen Gegenstand nur
zum Besten fördern kann (Lnmir 1857. N. 52 1858. N. 1, 2). Die Lese-
art der einen Inschrift der St. Diouyskapelle: „A. D. 1331 fuerunt hic
baliste 16“ ist mehr als problematisch, wenn darunter „Wurfgeschosse" ver-
standen sein sollen, denn man wird doch nicht'die Waffen einer Rüstkammer
feierlich auf der Wand registriren, auf derselben Wand, welche einen epischen
Cyklns von Gemälden auö der Legende des heiligen Georg zu tragen be-
stimmt war, eine so außerordentliche Seltenheit in der Kunstgeschichte jener
Tage und Orte. Professor Maloch entziffert aus einer deutschen Inschrift,
daß „lllricus von dem neien Hause" diese Gemälde im Jahre 1338 „von mir
Wenzclav" hat malen lassen. — In Hinsicht des Torso des Jlioueus gab
selbst Oettinger eingehendere Notizen in seinen: Auf dem Hradschin oder
Rudolf II. und seine Zeit, Prag und Leipzig 1856. in I. L. Kober's Al-
bum VII. B. S. 278—280. Kngler nennt den JlioneuS eines der bedeut-
samsten Originale (Skopas?) griechischer Kunst. —; Professor Bocel's
Kunstgeschichte von Böhmen, über welche er in den Sitzungen der königlich
böhm. Gesellschaft zu Prag am 29. März referirte, wird wohl nicht lange
mehr auf sich warten lassen. D. Red.)

*) »Nämlich die Redaktion der „Kritischen Blätter". Red. d. Dioskureu.

Kunst-Kritik.

Kritische Wanderungen durch die Kunftinstitute und Ateliers von Berlin.

1. Die Ausstellung im Lokal des Kunstvereins ist, nachdem
vor^ zwei Monaten btc_ Vorloosnng der im verflossenen Bereiusjahr ange-
kauften Gemälde stattgesnuden, nunmehr wieder geöffnet, und bietet dem Be-
schauer manches Interessante dar. Bor Allem ist darunter das neueste Werk
des Prof. Jul. Schräder zu nennen, welches durch sein wunderschönes Ko-
lorit sowie durch seine originelle Komposition die Aufmerksamkeit in hohem
Grade auf sich zieht. Es ist betietelt: „Amor, von der Jagd ruhend" und
stellt den schalkhaften Götterknaben dar, wie er, in ein halbträumerisches
Sinnen verloren, inmitten eines Waldes stehend, an einem moosbewachsenen
Baumstumpfe lehnt. Er ist sehr jugendlich anfgefaßt, vielleicht als Knabe
von 5 bis 6 Jahren. Sein goldgelbes gelocktes Haar umwallt in wilder
Regellosigkeit die schöne, kühngezeichnete Stirn, unter welcher ein Paar dnn-
kelglühende Augen hervorblitzen, deren dunkelbraune Sterne durch die veilchen-

blauen Reflexe einen gemischten Ausdruck von durchdringender Kraft und
sanfter Milde erhalten. Es liegt etwas Geheimnißvolles in der ganzen Er-
scheinung, ein eigenthümlicher Zauber: man fühlt in diesem, mit anscheinender
Naivetät dastehenden Knaben den mitleidlosen und unerbittlichen Besieger der
Herzen, welcher seine Siegesfreude noch durch den gransamen Triumph über
die Besiegten erhöht. Vielleicht würde die tiefe und bedeutungsvolle Wirkung,
welche dies in der Farbe eines Rubens würdige Bild macht, noch verstärkt
worden sein, wenn das Kolorit, mit Rücksicht ans das mythologische, mithin
symbolisch-abstrakte Motiv, eine weniger konkrete Realität zeigte. Das,^>vas
diesem Gemälde, wenn es ein modernes oder überhaupt realmenschliches Sujet
behandelte, zur höchsten Zierde und Anerkennung gereichen würde, nämlich
vollste Lebenswahrheit und Lebensschönheit der Farbe: dies grade verdunkelt
etwas den Eindruck in dem vorliegenden Falle. Zwar ist es kein menschlicher

Fortsetzung in der Beilage.
 
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