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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 16.1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.13554#0101

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Winckelmann ist sich einer gewissen Bedenklichkeit seiner
Theorien sehr wohl bewußt, und er braucht einen großen Apparat
von Schlüssen und viel Raum, nm einige ganz kurze kritische
Bemerkungen des Anonymus zu widerlegen. Als Anonymus
sagt Winckelmann: „Durch die Anwendung der Allegorie in allen
„Vorstellungen und an allen Orten würde in der Malerei eben
„Das geschehen, was der Meßkunst durch die Algebra wider-
„ fahren ist: der Zugang zur einen Kunst würde so schwer wer-
„den, als er zur andern geworden ist. Es kann nicht fehlen,
„die Allegorie würde endlich aus allen Gemälden
„Hieroglyphen machen .. . Was die Vorstellung Desjenigen,
„was nicht sinnlich ist, betrifft, so hätte ich mehr Erklärung
„davon gewünscht; weil ich Jemand sagen hörte, es verhalte
„sich mit Abbildungen solcher Dinge, wie mit dem mathematischen
„Punkte, der nur gedacht werden kann... Eine solche Bilder-
„spräche würde Gelegenheit geben zu neuen Chimären, und
„würde schwerer als die sinesische zu erlernen sein: die Gemälde
„aber würden den Gemälden dieser Nation nicht unähnlich wer-
„den." Wenn also Winckelmann in dieser Weise gegen sich selbst
polemisirt, freilich nm seine Gegengründe nur genauer zu er-
läutern, so scheint es sehr überflüssig, heutzutage über seine
„Allegorie" so zu reden, als ob er ganz blind über die Be-
denklichkeiten derselben gewesen wäre. Nachdem er die einzelnen
Einwürfe des Anonymus durchgegangen, wobei zu bemerken, daß
er die Frage des „Kolorits", als wesentlichen Moments der
Malerei, nicht sowohl umgeht als sie eigentlich aus ein anderes
Feld hinüberspielt, nämlich auf das der malerischen Detailaus-
führung —- daher die Anführung von van der Werff, Denner
u. s. f. — und schließlich denn doch zu dem Resultat kommt,
daß „die Zeichnung bei einem Maler, wie die Action bei den
„Reden des Demosthenes, das erste, das zweite und das dritte
„Ding bleibe" — eine Behauptung, die allerdings unbewiesen bleibt
—- kommt er dann auch auf die Allegorie zurück. Die allgemeine
Tendenz seiner Auffassung dieses Begriffs ist bereits oben hin-
länglich erläutert. Dies jedoch muß noch gesagt werden, daß
er hier die Erklärung nicht ans die Wandmalerei beschränkt und
dadurch allerdings mit sich zum Theil in Widerspruch geräth.

Andrerseits aber faßt er auch den Begriff der „Allegorie" selbst
demgemäß, wie es scheint, etwas enger: sie ist ihm hier mehr
nur das geistige Element der Malerei überhaupt. Indem
er nämlich bemerkt, daß, da man „Kolorit, Zeichnung, Per-
„spektive und Komposition, da sie sich auf festgesetzte Regeln
„gründen, erlernen" könne, und „blos sinnliche Empfindungen
„nur bis auf die Haut gehen und wenig auf den Verstand
„wirken", so gewähre „die Betrachtung der Landschaften, der
„Frucht- und Blumenstücke nur ein Vergnügen solcher (sinnlichen)
„Art"; aus demselben Grunde könne die blos äußerliche ge-
schichtliche Wahrheit, die „bloße Nachahmung" der Thatsachen,
die Malerei „nicht zu dem Grade erheben, den eine Tragödie
„oder ein Heldengedicht, das Höchste in der Dichtkunst, hat".*)
Hier werden wir nun wohl nicht fehlgehen, wenn wir die Ber-
muthung aufstellen, daß er damit das „Historische", sofern es
Gegenstand der Malerei ist, als das innerlich Geschicht-
liche, im Gegensatz zum blos äußerlich Thatsächlichen, das ideell
Historische zum blos Charakteristischen, hinstellen will. — Nur
der Umstand, daß es ihm an dem scharfen Ausdruck für diesen
Gegensatz fehlt, so daß er gezwungen ist, die Sache auf Um-
wegen zum Verständniß zu bringen, führt ihn selbst wider Willen
auf Um- und Abwege: aber unsre Aufgabe ist es, den aus einem
richtigen Instinkt für das Wahre stammenden Kern seiner An-
schauung ans der Hülle verworrener Vorstellungen herauszu-
schälen. — Wenn er daher im Weiteren, von dieser nahe an
die Wahrheit streifenden Erörterung wieder in den früher ein-
geschlagenen Weg einlenkend, die „Allegorie" abermals als ab-
strakte Symbolisirung allgemeiner Begriffe vermittelst antiker
Formen faßt, so haben wir keine gegründete Veranlassung, ihm
daraus zu folgen, wohl aber unser Bedauern darüber auszu-
sprechen, daß er trotz des im wahren Grunde richtigen Erfassens
des Wesens durch bloße Ungewohntheit im logischen Denken sich
wieder davon entfernt, ohne es in voller Schärfe sich zum Be-
wußtsein gebracht zu haben. (Schluß folgt.)

*) S. Erläuterung der Gedanken von der Nachahmung. (Werke I.
S. 167.)

Korrespondenzen.

üfseldorf, Mitte März. (Bertling's „Loreley").
Die Schulte'sche Ausstellung enthielt vor Kurzem eine
„Loreley" von C. Bertling, welche viel Schätzbares
als Malerei enthält, wogegen die ideelle Behandlung des
Motivs eine falsche, wenngleich herkömmlich gewordene
Auffassung zeigt. Man kann wohl mit Recht behaupten,
daß das Motiv der „Loreley" eines der beliebtesten und allgemein
verbreitesten in unseren Tagen geworden ist. Namentlich giebt es
wohl kaum einen deutschen Bildhauer, der nicht eine Statue oder
doch wenigsten ein Basrelief der „Loreley" riskirt hätte, und dennoch
scheint es, daß das eigentliche Wesen dieser mythologischen Gestalt
verkannt wird.

Die allgemein beliebte Auffassung derselben ist die einer locken-
den, Verderben bringenden Sirene, und das Bestreben der
Künstler geht darauf aus, in den Gesichtszügen der Gestalt das
„Dämonische" (in der schlimmen Bedeutung des Wortes), nämlich
den Mckischen Charakter einer schönen Unholdin, auszusprechen. Diese

Auffassung jedoch muß als eine irrige bezeichnet werden. „Loreley"
ist eine Gestalt der deutschen Sage und zwar eine ächte, alte und
keine phantastisch erfundene, die von der Poesie nur neubelebt worden
ist. Die deutsche Sage aber kennt wohl Wassernixen, Schwanjung-
frauen und Walkyrien, aber keine Sirenen im Sinne der hellenischen
Sage. —

Unsere echt-germanische Gestalt ist — um es mit einem Worte
zu sagen — die Hulda-Freya, die Liebesgöttin und oberste weib-
liche Gottheit unserer ehrenfesten Altvordern. — Nach den Ueber-
lieferungen der Edda zieht Hulda-Freya in der Welt umher, um
ihren verlorenen Gemahl Odur zu suchen, sie singt Klageliederund
weint goldene Thränen. Dieser Charakterzug ist so bezeichnend für
die Figur, daß die Edda ihr sogar den Namen „Die Thränenschöne"
beilegt. Aber nicht allein die Edda hat diesen mythischen Zug aus-
bewahrt, auch au einigen Orten Deutschlands und besonders im
Herzen desselben, am Main, lebt die Sage im Munde des Volkes.
Hulda läßt sich hier aus einsamen Felsen sitzend zuweilen sehen,
 
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