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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 16.1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.13554#0131

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Anderm das von der „Verbindung für historische Kunst", einem
Verein hochgebildeter kunstwissenschaftlicher Autoritäten, bei ihm be-
stellte große Oelgemälde „Kaiser Rudolph zum Sterben nach Speyer
reitend". Dasselbe war in Berlin im Anfang der 60er Jahre öffent-
lich ausgestellt, zu gleicher Zeit mit dem von derselben „Verbin-
dung für historische Kunst" bestellten Gemälde Menzels' „Fried-
rich II. und Joseph II. in Neiße". Kaum hat es wohl je einen
schreienderen Kontrast gegeben als diese beiden „Historienbilder":
jenes, schwächlich kolorirt, fast wie nur untermalt, im ab-
straktesten Sinne stylisirt und bis zur Unverständlichkeit beziehungs-
reich, das andere koloristisch derb, genrehaft lebendig, nur den
konkreten Moment in seiner trivialsten Bestimmtheit fassend —
es war ein wunderlicher Anblick. Sehen wir von dem Kontrast
ab, den wir seinem Wesen nach dahin bezeichnen können, daß beide
Bilder, jenseits des wahrhaft „historischen Styls", die beiden krasse-
sten Extreme der künstlerischen Auffassung bildeten, so konnte dem
Schwind'schen Bilde eigentlich nur der Vorwurf gemacht werden,
daß es überhaupt gemalt und zwar als Staffeleigemälde gemalt
war. Wäre es grau in Grau gemalt oder als Carton gezeichnet,
höchstens als Wandgemälde in Fresko ausgeführt gewesen, so
würde man wahrscheinlich nichts Ausfallendes darin gefunden
haben und jedenfalls nicht so peinlich davon berührt worden sein.
Dies hat Schwind offenbar auch recht wohl gefühlt und darum
den etwas schwindsüchtig verblaßten Halbfarbenton gewählt. Aber
damit brachte er nur einen weiteren Widerspruch hervor, nämlich mit
der b erechtigten Forderung koloristischer Kraft und Naturwahr-
heit, die man an das Staffel ei gemälde stellen muß. „Ein Kaiser,
der zum Sterben reitet", ist an sich ein wundersames, halb mystisches
Motiv, das sich als solches schon der realen Anschauung entzieht.
Zugegeben, daß der Kaiser selbst die Vorahnung seines Todes
hatte und daß diese allenfalls in seiner Haltung ausgedrückt werden
konnte; aber auf dem Bilde Schwind's weiß nicht nur der Kaiser
selbst davon, sondern in jeder Figur seiner Umgebung prägt sich
das Bewußtsein aus, es ist ein Ritt zum Sterben. Ja, in der
Ferne sieht man schon einen Todtengräber ein Grab aufwerfen;
nicht als ob dies für den Kaiser bestimmt wäre, der ja im Dom
beigesetzt werden soll, sondern nur um überhaupt „an's Sterben"
zu erinnern. Die Landleute auf dem Felde blicken dem reitenden
Kaiser mit einer Miene nach, welche deutlich spricht, er „reitet
zum Sterben"; ja, bis auf die Steine und Grashalme herab
flüstert Alles denselben melancholischen Refrain. Nun kann man
sagen, daß dies traurig ist, daß der arme Kaiser sterben muß.
Aber, mein Himmel, der Kaiser ist ja doch auch so zu sagen ein
Mensch, und die Menschen müssen einmal sterben. Darin liegt
also, von allem Anderen abgesehen, kein bedeutendes historisches
Moment: es ist nur eine traurige Geschichte, aber kein tragischer
Akt. Wohin man also blicken, von welcher Seite man das Bild
auch betrachten mochte, so mußte man sich eingestehen, es sei ein
verfehltes Werk.

Ehe wir, nach dieser Abschweifung ans die in der Schwind'-
schen Romantik begründeten Verirrungen seines Genius, zu seinen
letzten Hauptwerken übergehen, d. h. zu der glänzendsten und
furchtbarsten Periode seines Schaffens, jener Periode, in welcher
die herrlichen Kompositionen für das wiener Opernhaus
und die „Melusine" entstanden, müssen wir nachtragsweise

noch einer Komposition erwähnen, welche nicht nur als Denkmal
seiner Freundschaft für Franz Lachner, sondern auch durch
die Fülle geistvoller und interessanter Beziehungen, die er darin
niedergelegt hat, Aufmerksamkeit verdient. Da dieselbe einen Theil
der kürzlich im „Oesterreichischen Kunstverein" zu Wien eröffneten
Schwind-Ausstellung bildet und es nicht nur wünscheuswerth,
sondern auch möglich wäre, wenn diese dem Andenken des dahin
geschiedenen Meisters gewidmete Ausstellung auch noch an andern
Orten die Kunstfreunde erfreuen dürfte, so möchte eine etwas
detaillirtere Beschreibung der umfangreichen Komposition nicht un-
willkommen sein.*)

In Form eines langgestreckten Frieses rollt sich — und
zwar im eigentlichsten Sinne des Wortes, denn das Werk ist
eine Rolle von nahe an 40 Fuß Länge — diese Epopoe „Aus Franz
Lachner's Leben" in den bedeutendsten Momenten desselben ab.
Anfang und Ende zu finden, war jedenfalls das Schwerste: aber
grade hier zeigte sich Schwind's Kraft ideeller Erfindung wieder
im schönsten Lichte. Der Umstand, daß Lachner in demselben
Jahre (1804) geboren wurde, in welchem Beethoven seine
Sinfonia eroica schuf, bot ihm einen ebenso gedankentiefen wie
kompositionell wirksamen Ausgangspunkt. Die Reihe der Bilder
beginnt daher mit der Darstellung Beethov en's, welcher zwischen
dem Doppelstamm einer mächtigen Eiche sitzt, an deren Fuß die
Douau-Nymphe und die Figur des Lech lehnen. Das begeistert
zum Himmel blickeude löwenähnliche Antlitz des Jupiter tonans
der Musik läßt uns ahnen, daß er eben mit der Konception
eines seiner gewaltigsten Werke beschäftigt ist. Aus dem Nebel
des Hintergrundes aber erhebt sich das Städtchen Rain, der
Geburtsort Lachner's, nach Merian's bekanntem Buche abkonterfeit.
Das erste Erscheinen Lachner's zeigt denselben als Kind am
Klavier thätig und leidend zugleich unter der Führung seines
mnsikkundigen Erzeugers, dessen unerbittliche Hand ihm in die
Haare fährt. — Da ändert sich rasch die Scene: der eine der
beiden bekappten Frauenthürme, seinen Zwillingsbruder mit
breitem Leibe deckend, erhebt sich in voller Wucht und auf ihn
zu fährt ein Bauernwägelchen, auf dem unser junges Musikgenie
seine erste Reise thut. — Des würdigen Lehrers Ett Hand er-
schließt ihm ein neues Leben, während Haydn's und Mo zart's
Geister ihn freundlich umschweben. — Die Zeit der Prüfungen
beginnt: in sternebesäetem Mantel senkt sich eine wunderbar schöne
Gestalt, die „Göttin der Nacht", herab und leitet unfern Blick
auf ein in voller Thätigkeit befindliches Theater-Orchester, dessen
Mitglieder alle wundersamer Weise Lachner's Züge tragen, der
den Dirigentenstuhl einnahm und, wo es eine Lücke gab, dort
die Violine und den Contrebaß, hier das Fagott und die Klari-
nette ergriff, auch wohl die Pauken bearbeitete. — Doch die
Extreme berühren sich: der junge Mann, der dort eilfertigen
Schrittes die Stufen einer durch den Ungeschmack ihres Styls
jedem Münchener leicht erkenntlichen Kirche — sie ist der Drei-
faltigkeit geweiht — hinansteigt, es ist Lachner, durchdrungen vom
Pflichtgefühl im Dienst des Herrn. Die Kirche bringt ihm
Glück. Ein katholischer Pfarrer, dem jungen Künstler entfernt

*) Wir haben dieselbe, aus der Feder unsres Münchner Herrn ^-Kor-
respondenten bereits im Jahre 1863 (Nr. 18) unter „Kunstliteratur und
Album" veröffentlicht und geben hier die Hauptpunkte derselben wieder.

D. Red.
 
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