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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 16.1871

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https://doi.org/10.11588/diglit.13554#0133

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gegangen und die ganze Last der Familie nun auf dem armen Ge-
schöpf ruht, das, das kleinste der Geschwister auf dem Arme, die
knappe Mittagskost zu bereiten im Begriffe steht. Es wäre unbillig
zu übergehen, daß es dem Künstler trefflich gelang, die Empfindun-
gen, welche sich zwischen Hunger und Jammer bewegen auf den
Kindergesichtern lebendig darzustellen, es wäre auch unbillig, zu ver-
schweigen, daß die Mache eine sehr flotte ist, aber dabei drängte sich
mir immerhin die Ueberzeugung auf, daß es Gysis mehr auf den
technischen Theil als auf den Ausdruck des Gedankens abgesehen
hat. In dem zweiten Bilde führt er uns wieder in ein Haus
des Jammers: in einem ärmlichen Stübchen sitzt eine junge Frau
im Trauerkleide, strickend, an einem elenden Lager, in dem ein
zum Tode erkranktes Kind schlummert; ohne Zweifel hat Gysis
seine Studien zu diesem Kinde an einer Leiche gemacht. Der Ein-
druck, den wir empfangen, ist entschieden mehr der einer Kindesleiche
als der eines noch lebenden Wesens. Herr Gysis liebt es nicht,
seinen Gestalten scharfe Konturen zu geben, mag es sich um Belebtes
oder Unbelebtes handeln. Die Hauptsache ist ihm unter allen Um-
ständen die Farbe, welche in den beiden erwähnten Bildern mit dem
Stoffe jedenfalls darin vollständig harmonirte, daß sie ebenso krank-
haft war wie dieser. Auf dem ersten Bilde, wie auf dem zweiten,
fanden sich dort an der Wand, hier aus dem Bette Farben ohne
alle näher bestimmbare Gestalt. Welche Intentionen der Künstler
damit verband, das zu enträthseln, gelang mir nicht. (Forts, folgt.)

8. Wien, Mitte April. (Große internationale Kunst-
ausstellung im Künstlerhanse.) Wenn wir die Bilder der
Historie in unserer Uebersicht voranstellen, sind wir nicht nur im
anerkannten Rechte, sondern sogar für den Beginn in einer bequemen
Lage. Denn die ganze Zahl der Bilder dieser Gattung beträgt,
wenn wirSchwind's alte und bekannte Cartons zu seinen Fresken
inr Opernhause abrechnen, höchstens zwanzig. Diese Zahl unter
700 Nummern liefert einen Maaßstab für die Pflege historischer
Aufgaben in unserer Gegenwart. Feuerbach ragt durch Größe
der Intentionen und kühne Eigenheit der Darstellung über alle hier
Vertretene hervor. Viele derselben haben sich sogar mit ihren
Bildern schüchtern aus die Grenzlinie zwischen Genre und Historie
gestellt, ja auch die Größen so berechnet, daß sie die zierlichen
kleinen Salonsachen nicht stören. Feuerbach ist durch zwei, die Ent-
faltung der Lebensgröße vollkommen zulassende Bilder repräsentirt,
ein „Unheil des Paris" und „Medea's Abschied". Die Göttinnen,
welche vor Paris ihm Reize enthüllen, haben eine prachtvolle, sichere
Zeichnung; da ist Gesundheit und Lebensfülle. Wäre noch das
Kolorit ein anmuthigeres, so müßte diese Darstellung Furore machen.
Allerdings ist das Kolorit ein weniger graublaues, als der Künstler
wiederholt und wir glauben ans Caprice malte. Aber noch immer
erreicht es keineswegs jenen Glanz, jene milde Weichheit und des-
halb Einflußnahme aus das Gemüth, welche Feuerbach früherer Zeit
hervorzubringen wußte. So tritt die Caprice offenbar in „Medea's
Abschied" hervor. Neben trefflichster naturwahrster Zeichnung, wie
z. B. die Schiffer, welche das Schiff vom Ufer hinwegdrängen,
finden sich Meereswellen, welche lediglich aus einfach blauen Flächen
nnd Tünchkalkstrichen zu bestehen scheinen, hingeworfen in einer Art,
als ob der Künstler sagen wollte: so mache ich's, nnd wenn's euch
nicht recht ist, so schiert's mich wenig!

Der historische Styl, die saubere Zeichnung und koketterielose
Farbe berechtigen Lössler-Radymno, mit seinem „Herzog Alba,
von der Gräfin Schwarzburg auf Rudolstadt gefangen und bedrängt"
(Schiller erzählt den Vorfall in seinen kleinen Schriften) zunächst
genannt zu werden. Hier zeigt sich der Wille, einer größeren ernsten

Aufgabe mit der ganzen Würde gerecht zu werden. Nicht Brillantiren
der Gewänder und Nebendinge herrscht vor, sondern die einheitliche,
den Gedanken koncentrirende Komposition, welche auch gleichzeitig das
Koloristische beherrscht. — Von solchen Gesichtspunkten ging weniger
Franz Rüben, der Sohn des Akademie-Direktors aus, welcher
wohl mit großer Geschicklichkeit, aber wie eine Art Maskenscherz
einen „Maximilian I. im Turnier" darstellte, bei dem sämmtliche
andere Köpfe und Gestalten dem nächsten Künstlerkreise entnommen
sind, er selbst steht als Lanzknecht vorne. Das ist pikant, aber thut
der historischen Aufgabe Abbruch; umsomehr hier, da neben dem
blassen, schlichten, scharfkantigen Ritter die Buntheit der Gewänder
und des Lichtes doppelt auffällig wird. Aber es zeigt sich ein Können
in dem Ganzen und dies prägt sich auch in „Tillys Rückzug" des-
selben Künstlers aus, das vorzügliche Zeichnung enthält, aber in
dem Streben nach Ausdruck des grauen Tages zu sehr diesem die
Farben assimilirt. — Ein Kolorist von vorzüglicher Begabung ist
Jos. Fux in Wien, der einen lebensgroßen „Cardinal Khlesl" dar-
stellte, inr Kloster betend über Büchern, Schränkchen, mit Rosenkranz
in Händen, Kruzifix auf dem Tische, all' dies in einer Weise, daß
man unwillkürlich ausrufen muß: „Matejko!". Daß Fux dem Ge-
nannten so nahe kommt, ist Lob und Tadel zugleich. Aber des
Künstlers Aufgabe ist Selbstständigkeit, und wir sehen gerade Herrn
Fux bald ganz wie Mackart, bald wieder ganz anders malen, und
so bleibt uns die Hoffnung, daß er aus allen Kreuz- und Querzügen
heraus einmal zur Objektivität und dann zu desto gewandter Selbst-
ständigkeit gelangen werde. — R. G eylings „Kirchenschänder",
deren räuberischen Thun Nonnen vergebens wehren, ist ein tüchtiges
Bild, und die Aufmunterung durch Ankauf desselben aus Staats-
mitteln ist eine verdiente. Es hält sich wacker vor blendenden Mitteln
und von exagerirter Ausdrucksweise ferne, die hier verlockend werden
könnten.

Schlicht und doch auch recht wirksam ist ebenfalls Julius
Berg er's (Wien) „Kaiser Rudolf II. und Johannes Keppler im
Studirzimmer", sauber gemalt und sorgfältig gezeichnet, wenn auch
ohne größere Intention, aber der Ermunterung des Künstlers werth.
Der Größe des Bildes nach gebührt Ad. Schmitz in Düsseldorf
noch besondere Erwähnung, der den verschmachtenden Kaiser Max
auf der Martinswand darstellt. Die Stimmung des Ganzen ist
sehr charakteristisch und gut, das Bild bewegt den Beschauer. —
F. Piloty hat sich mit „Kaiser Karl V. im Kloster" eine kleine
Ausgabe gestellt, deren Ueberwindung den: Meister nur leicht sein
konnte. — Wenn wir noch Pechts „Heinrich VIII. mit Anna Boleyn
aus einem Feste Cardinal Wolsey's" erwähnen, als eines zwar
kleinen, aber historisch getreuen und sehr sorglich, auch anmuthig
durchgeführten Bildes, stehen wir nur noch vor den Schlachten-
bildern und vor Schauß's „Callisto", (ein nacktes Mädchen
und ein Hund könnten auch zum Genre gehören) einem der in Berlin
bekanntlich „beanstandeten" Bilder, welches seltsamerweise hier für
die akademische Gallerie angekauft wurde. ■— Vorzüge besitzt es. —
L'Allemand's „Gefecht bei Veille" zeigt große Virtuosität in
Soldaten-Darstellungen und übersichtlicher Anordnung. Diesmal ist
noch mehr Einzelleben zum Ausdruck gelangt, und was der Künstler
bei ungehemmter Entfaltung leisten würde, zeigt sein prächtiger „Kurier
auf dem Scheidewege", mit psychologischer Charakteristik. — B randt' s
(München) „Polnische Kavallerie im Schwedenkriege" ist ein vor-
züglich geordnetes und gemaltes Bild (angekauft für die Akademie).
F. Adam's (München) „Oesterreichische Soldaten in Italien 1848"
eines der am virtuosesten durchgeführten, durchaus typischen Bilder
des in diesem Fache bekanntlich hervorragenden Künstlers.

(Fortsetzung folgt.)
 
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