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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 3.1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.1196#0094
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das schon im Entstehen durch die Ungunst der Umstände dem
Verfall geweiht war und kaum ein Menschenalter nach der Voll-
endung als ein fast schon verlorenes beklagt wurde? Auf eine
Wand gemalt, die an tiefliegender, sumpfiger Stelle aus schlech-
tem Material ohne gehörige Sorgfalt aufgeführt war, dem Dampf
der Tafel und dem Qualm der Küche ausgesetzt, ging es um
so rascher der Zerstörung entgegen, als auch das gewählte
technische Verfahren vielleicht nicht ganz den Umständen ent-
sprach: — und wie vielfach vergriff sich dann auch noch muth-
williger Frevel an dem herrlichen Werk der Kunst. Das Schlimmste
war, dass es den Mönchen bald nicht mehr genügte, durch eine
etwas niedrige Thür unter dem Bilde zu der täglichen Haupt-
begebenheit ihres erspriesslichen Daseins in den Speisesaal ein-
zuziehen. Sie Hessen bekanntlich ein grosses Thor durchbre-
chen, das einen Theil des Bildes wegnahm, und bei der allge-
meinen Erschütterung der morschen Wand durch Hammer und
Brechstange, die so veranlasst wurde, fielen grosse Stücke des
Gemäldes losgelöst herab; sie wurden in der einfachsten Weise
durch Nägel wieder an Ort und Stelle befestigt. Später mussten
dann zweimal elende Maler das verblichene und immer wieder
verbleichende Bild durch neu aufgetragene Farbe wieder bunt
machen (ßellotti 1726 und Mazza 1770) und zuletzt verwandelten
die erobernden Franzosen, die der General Buonaparte siegend
von den Alpen herab in die Lombardei führte, den Saal auf
lange Zeit in einen Pferdestall — in einer der. Hauptstädte Eu-
ropa's , in der es gewiss an Stallungen für ein paar hundert
Reitpferde nicht fehlen konnte!

So war das Werk der Vernichtung fast vollendet — und
doch behielten die wenigen, schwachen Reste des Bildes einen
eigenthümlichen Zauber. Vor einem viertel Jahrhundert, wo
wohl noch etwas mehr davon übrig war, als jetzt der Fall sein
soll, war uns vergönnt, uns oft an diesen Spuren und Ruinen
zu erbauen, und der Eindruck blieb immer ein eigenthümlich
mächtiger, unvergesslicher! Zunächst regte sich natürlich ein
Gefühl der Trauer, dass so wenig verschont geblieben sei; be-
sonders da man sich gestehen musste, dass gerade das noch
am lebendigsten Sichtbare, am wenigsten Leonardo's Werk sei
— namentlich der Christuskopf, von dem wohlbeglaubigte Ueber-
lieferung berichtet, dass Leonardo ihn nie beendigt habe, weil
er sich hier am wenigsten genügen konnte. Gerade dieser Kopf
leuchtete in verhältnissmässiger Unzerstörtheit aus dem Bilde
hervor. Bei längerem und ernstem Beschauen aber wurde bald
eine andere Regung überwiegend: Staunen, dass in so ge-
ringen Ueberbleibseln noch so viel liegen könne. Man konnte
zweifeln, ob hier nicht eine durch Bildung und Studium vor-
bereitete, durch ein Gefühl der Pietät gefördete Selbsttäuschung
mit im Spiele sei; der Verfasser dieser Zeilen machte es sich
deshalb zur Aufgabe, mancher Art Fremde, auch Seeleute und
Militairs verschiedener Nationen, namentlich solche, denen die
Geschichte der Kunst nicht eben geläufig war und die von der
Bedeutung dieses Bildes keine sehr bestimmt ausgeprägten Be-
griffe hatten, vor Leonardo's zerstörtes Werk zu führen, um
den Eindruck zu beobachten. Er war fast immer über Erwar-
tung gross.

Denkt man dem Wesen dieses Gemäldes nach, so lässt
sich das auch wohl bis auf einen gewissen Grad erklären. Was
dem Beschauer in einem Kunstwerk im Allgemeinen am zu-
gänglichsten ist und ihn in der Regel ausschliesslich in An-

tigste und zarteste ausgeführt in einer andern Form zu bewahren, worin er
es hei sich zu Hause behaiten, mit sich auf Reisen nehmen und es Kunst-
genossen und Kunstbeförderern sehen lassen konnte. — Allerdings keine Un-
möglichkeit; jedenfalls aber dürfte die Frage noch eine offene bleiben und
wir haben unsern Lesern diesen interessanten Versuch zu ihrer Lösung
nicht vorenthalten wollen. D. Red.

Spruch nimmt, das ist das dramatische Element, das in ihm
liegt, „der Ausdruck", wie das häufig etwas zu beschränkt ge-
nannt wird, — und dies dramatische Element liegt hier gros-
sentheils in dem glücklichen Motiv der ganzen Composition, in
der Gruppirung, in der Haltung der einzelnen Gestalten, in der
ruhig, massig und sinnig behandelten, aber sprechenden und
entschiedenen Bewegung, die man durch das unerwartete Wort
des Heilands in diesen so natürlich verbundenen Gruppen her-
vorgerufen sieht. Davon halten natürlich die schwachen Um-
risse, welche die Wand noch zeigte, der matte Farbenschim-
mer, der an einzelnen Stellen geblieben war, immernoch sehr
viel bewahrt.

Um so bestimmter fühlte man sich aufgefordert, zu dem
Studium des Einzelnen, vor Allem der Köpfe überzugehen, um
zu ermitteln, wie es sich zum Ganzen und gewiss erschöpfend
zur Idee des Bildes verhalte. Da war man denn freilich vor-
zugsweise an ältere und neuere Nachbildungen gewiesen, und
die Hessen vielfach im Zweifel.

Schon gleichzeitig mit dem Bilde selbst, vor dessen Voll-
endung wenigstens, war in dem Kloster zu Castellazzo, auch
im Speisesaal, eine Copie desselben angefertigt worden, die
in mehr als einer Beziehung die grösste Beachtung verdient.
Sie rührt von einem unmittelbaren Schüler Leonardo's her, von
Marco d'Oggione, und es geht sogar die Sage, am Chri-
stuskopf dieses Bildes und an dem des Judas habe Leonardo
selbst gemalt, wenn sie nicht etwa gar ganz von seiner Hand
seien. Die Kunstkenner bemerkten aber in den Nebendingen
willkürliche Abweichungen von dem Original, man glaubte des-
halb vielfach, dass man hier nicht eine eigentliche Copie
vor sich habe, sondern eher eine freiere Nachbildung im Sinne
der Alten, die in Wiederholungen nur das Allgemeine eines
Kunstwerks wiederzugeben suchten und sich nicht scheuten,
auch Eigenes, Subjectives hineinzulegen. Da nun Marco d'Og-
gione sich selbst nie zu bedeutender Höhe oder grossem Rufe
erhoben hat und in dem Bilde zu Castellazzo sich auch Fehler
der Zeichnung nachweisen Hessen, blieb es weniger als billig
beachtet. — Eine andere Nachbildung, dem unbedeutenden Pie-
tro Lovino zugeschrieben und mehr als ein halbes Jahrhun-
dert später zu Ponte Capriasca in Fresco ausgeführt, steht ge-
wiss dem Original um sehr viel ferner; am fernsten, wie man
immer vermuthen durfte und sich nun erweisen lässt, eine Co-
pie, welche der berühmte Cardinal Federigo Borromeo 1612
durch den Vespino anfertigen Hess und die in der Ambro-
sianischen Bibliothek zu Mailand bewahrt wird. Die Aufgabe,
musste wohl damals schon eine sehr schwierige geworden sein;
ohne Zweifel war der Copist dem verblichenen, vermoderten
Bilde gegenüber in Beziehung auf das Einzelne schon vielfach
auf ein glückliches Errathen angewiesen, darauf, im Geist Leo-
nardo's, durch das noch Vorhandene geleitet, das Untergegan-
gene neu zu schaffen. Und wer war Andrea Bianchi, genannt
Vespino, um diese Aufgabe zu lösen? — Ein Mann, der sich
kaum irgend über den gewöhnlichsten Copisten alter Bilder er-
hob, wie schon die Behandlung der Farbe in seinem Bilde be-
zeugt. Er hat sich durch dreiste Willkürlichkeiten geholfen,
die kein tiefes Eindringen in Leonardo's Weise erforderten.
Dennoch gaben der Ruhm des Cardinais, der diese Nachbildung
veranlasst hatte, und die Bedeutung der Sammlungen, zu denen
es gehörte, dem Werke Bianchi's einen Ruf, wendete ihm eine
Aufmerksamkeit zu, die es wirklich in keiner Weise verdiente.

Zur Zeit der französischen Herrschaft in Italien, wo man
gerne das Glänzende that und Aufsehen erregte, während das
Nothwendige und Echte sehr oft vernachlässigt wurde, verfiel
man, nachdem man aufgehört halte, den Saal als Pferdestall zu
benutzen, bald darauf, dies Abendmahl in einer Nachbildung
 
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